Monday, December 15, 2008


Scott Fields
"Drawings"
(Creative Sources Recordings)

Der Chicagoer Gitarrist Scott Fields, in Köln lebend und mit diversen musikalischen Formationen wie z.B. dem James Choice Orchestra im experimentellen Improvisationsbereich arbeitend, hat mit »Drawings« eine Solo-CD veröffentlicht. Er spielte im Loft in Köln Miniaturen mit einer Gibson-E-Gitarre ein. Die 99 Kompositionen, keine länger als eine Minute, wirken wie Improvisationen, in denen Free-Jazz-Einsprengsel aufleben, einsame, schwermütige Bluesriffs angeschlagen werden, für Momente Heavy-Metal-Gitarrenattacken losbrechen, sich atmosphärisch-dröhnende Soundflächen einstellen, Garagenrocksound-Versatzsücke sich Raum verschaffen, Geräusch- und Tonexperimente eingebaut sind. In den kurzen Stücke nimmt sich Fields die Freiheit von Extemen, sich einerseits ruhig in eine sanfte Melodie einzufühlen und andererseits einem fahrig-heftig-harten Gestus von Rhythmus nachgehend. Wobei eine zutiefst lebendige, in sich stimmige Dynamik entsteht.
Auf dem Cover von »Drawings« sind die weißen Linien einer Grafik auf schwarzem Grund abgebildet. Die kurzen Tracks der CD haben auch den Charakter von freier, ungegenständlicher Zeichnung. An abstrakten Expressionismus erinnernd. Und im speziellen geht es um den in Basel lebenden deutschen Künstler Thomas Hornung, der Inspiration für die Kompositionen war. Er verbringt so manchen Abend in seinem kleinen Wohnatelier am Zeichentisch. Minutenzeichnungen herstellend mit Kreiden auf schwarzem DIN-A4-Papier. Dabei Wein trinkend, Musik hörend. Cellostücke von Dvorak etwa. Blätter von Hornung waren Vorlagen für Scott Fields Partitur.
www.scottfields.com

veröffentlicht: skug #77/1-3/2009
www.skug.at

Saturday, December 06, 2008

Elliott Sharp bei "processing 2" mit Go Guitars, Klanggalerie t-u-b-e, 18.11.08
(Foto: Tina Karolina Stauner, 2008)

SIX - Jacques Demierre [Klavier], Dorothea Schürch [Stimme und Singende Säge], Urs Leimgruber [Saxofon], Charlotte Hug [Viola], Anne Gillot [Klarinette, Flöten], Thomas Lehn [Analog Synthesizer]
Klanggalerie t-u-b-e München, 13.11.09
(Foto: Tina Karolina Stauner)
"Speak Easy" - Thomas Lehn [Analog-Synthesizer], Ute Wassermann [Stimme], Phil Minton [Stimme], Klanggalerie t-u-b-e, 04.12.08
(Foto: Tina Karolina Stauner)

Monday, December 01, 2008

(Foto: Tina Karolina Stauner, 2008)

Brötzmann-Pliakas-Wertmüller, Unterfahrt, München, 07.11. 2008

Strukturalismus und New Jazz

Brötzmann-Pliakas-Wertmüller beginnen zu spielen und es ist erst einmal für einige lange Momente so, als würde die sofort druckvolle Rhythmusarbeit von Schlagzeug und Bass von der genauso kraftvoll einsetzenden Saxofonlinie absolut getrennt sein. Peter Brötzmann ist von der ersten Sekunde an geradezu brachial hochenergetisch und wie nur sich selber wahrnehmend seiner Melodie nachgehend. Schnell beginnt sich das Trio jedoch aufeinander einzustellen und perfekt als Einheit zu wirken. Marino Pliakas am E-Bass schafft Klangflächen aus dichten Strukturen und Pattern, mal Soundbasis im Hintergrund, mal sich intensiv in den Vordergrund drängend. Auch das Schlagzeug von Michael Wertmüller ist oft stereotyp-hämmernde Rhythmusstruktur. Steigert sich aber immer wieder zu überlauten, wilden, regelrecht gewalttätigen Trommeleruptionen. Bis in ein Extrem, das über die Schmerzgrenze geht. »Full Blast« – wie der CD-Titel sagt. Es kommt zu kurzen Songteilen, in denen die ungemeine Kraft der Band auf einmal an die nicht ersetzbaren Last Exit erinnert. Obwohl der Strukturalismus und die agressive Härte von Brötzmann-Pliakas-Wertmüller ganz anders arbeiten. Fast irritierend sind manch eingebaute Wechsel ins Gegenteil geradezu lyrischer, dabei fast in sich gebrochen scheinender Passagen. Brötzmann zeigt dabei ein Gespür für Zerbrechlichkeit. Latent bemerkbar ist immer ein Bewusstsein für die Harmolodics Ornette Colemans. Und ganz explizit fügt Brötzmann ein Melodiefragment aus Colemans »Lonely Woman« vom Ende der 50er Jahre ein, dessen Schönheit und Stärke auf einmal im Raum schwebt. Die beiden Schweizer Pliakas und Wertmüller, wesentlich jünger als Brötzmann, auch im Kontext Jazzcore, Grindcore, Postrock zu verstehen, sind ein geniales, Neues forcierendes Pendant zu den facettenreichen Saxofon- und Klarinetten-Klangkaskaden Brötzmanns, der sich so kontrolliert wie hysterisch, genauso zornig wie sinnlich geben kann, dabei immer rau und ungeschliffen und zutiefst eigensinnig und berstend lebendig. Legende des Free Jazz, aber ständig weiterforschend und aufregend.

veröffentlicht: www.skug.at

Sunday, November 23, 2008



Installation, Derek Jarman Ausstellung 2008, Kunsthalle Wien
Foto: Tina Karolina Stauner, 2008

www.kunsthallewien.de

Tuesday, November 11, 2008

Elliott Sharp/Scott Fields
"Scharfefelder"
(Clean Feed)

"Scharfefelder": Ausschließlich zwei akustische Gitarren: left channel Elliott Sharp, right channel Scott Fields. Und freie Improvisation. Das faszinierende der Aufnahmen: Sie führen in ihrem unruhig Experimentellen zu so konzentriert klarem spirituellen Raum wie man es eigentlich von reiner Folkmusik gewohnt ist, die schon Musikgeschichte ist. Es entsteht ein Gefühl von Essenzialität. Das sich auf das ganze mögliche Spektrum von Free Jazz, Improvisation, Blues und Folk bezieht. Mit dem souverän gespielt wird. Um zu Destilliertem zu gelangen. Zu einer Art Purismus von Traditionellem und Avantgardistischem.
Man könnte zwar von der Fingerfertigkeit der beiden Gitarristen mit analysierenden Worten sprechen. Unvermutete Breaks, sperrige Akkorde, verquere Melodieläufe, nervöse Tonfolgen, extremen Wechsel von Sanftheit und Härte benennen. Doch mit Eloquenz könnte man vor allem der Grundstimmung, die sich beim Hören einstellt, nicht leicht nahekommen. Vielmehr passen dazu innere, lanschaftsartige Bilder, sich synästhesieartig einstellend. Jamais-vu- und Déjà-vu-Fragmente ineinandergeblendet.
"...Improvised duos are like a good conversation. Double guitars are a special case: reflections, counterpoints, figure and ground...", kommentiert Elliott Sharp in den Liner Notes. Scott Fields hingegen fügt hinzu: "...Although this material is flexible, it can be misunderstood..." Eher umgekehrt wirkt das bei den Songtiteln: Sharp benennt mit großem Assoziationsspielraum: "Branedrane" etwa läßt an D-Branen denken, die man sich als dynamische Objekte in einer höherdimensionalen Raumzeit vorstellt. Die unendlich ausgedehnt sein, aber auch ein endliches und sogar verschwindendes Volumen haben können. Das reisst auch gedanklich Raum auf. Wie auch einer der weiterern Sharp-Titel: "Freefall". Fields Songnames hingegen klingen einfach verspielt und greifbar: "Between Octopus And Squid", "Fresh Red Flea" oder "Big, Brutal, Cold Raindropes".
Die beiden Akteure sind sonst auch in diversen Band-Projekten zu finden: Sharp, der Multi-Instrumentalist, der als Komponist auch für Ensembles arbeitet, in Downtown New York City. Und Fields, der Chicagoer, in Köln lebend in diverse musikalische Gruppierungen involviert.

www.elliottsharp.com
www.scottfields.com

veröffentlicht: www.textem.de

Saturday, October 11, 2008


Reaktorhalle, München
Foto: Tina Karolina Stauner, 2008

Reaktorhalle

Thursday, October 09, 2008

Herbstmusik 2008/Echtzeithalle, Schwere Reiter, München, 05.10.08

Wilfried Krüger, Wolf-Dieter Trüstedt

Elmar Guantes, Hans Wolf

Hans Rudolf Zeller

Gunnar Geisse

Fotos: Tina Karolina Stauner, 2008
Gunnar Geisse, Hans Wolf

www.echtzeithalle.de

Wednesday, October 08, 2008

Rogall & The Electric Circus Sideshow

Was für eine vielfach schillernde Angelegenheit Songwriting sein kann, läßt einen Rogall mit seiner Electric Circus Sideshow erleben: Verschrobene Verspieltheit, die Stärke prägnanter Aussagen, Begeisterung am Geschichtenerzählen und Freude am Songschreiben, die in jedem Detail spürbar ist. Zwar ahnt man zuweilen hier Tom Waitssches nicht weit entfernt und dort Captain Beefheartesques und auch Gallianos Coolness als Vorbild, aber mit langweiligem Epigonentum hat Rogalls Sideshow dann doch nichts zu tun. Zu eigenwillig sind die Charaktere, die sich zusammengetan haben um ihren ureigenen Songkosmos zu schaffen. In dessen Sounds von Folk bis Dub und clubbigen Grooves beseelte Saxophontöne und Oudklänge zuweilen eine besondere Kraft ausstrahlen. Die Musiker lassen sich als Freaks der anderen Art bezeichnen. Das Wesen des ganzen Projekts ist wie das eines Zwitters. In "After Last Night" verkünden sie: "I dreamt I was an angel / but that was just some lies / I know I'm a demon / who dreams through angel's eyes". Das Hübsche in dem eine unheimliche Kraft wirkt...Spieglein, Spieglein an der Wand, was ist los im Märchenland? Das erzählt die Liebeserklärung "Crime Baby": "...there's points to prove but this ain't one / put it down brother I got songs for guns / I think fast but the traffics slow / she's my crime baby and I love her so..." oder einem Psychogramm ähnlich: "Rising Star": "...you're a dangerous sign / you cut yourself loose / when you catch fire / you're a virgin scar / you're an open wound / you're a rising star..." Und beschwörungsformelartig ein Satz wie "...only you can save you from yourself..." in "After Last Night".
Die Gruppe hat sich im Laufe der Zeit um den Berliner Produzenten Rogall, genannt "Electric Mysterious Wonder", Mitbegründer vom Sonarkollektiv, von Nylon und auch Dj, zusammengefunden zu einem internationalen Projekt. Über die Jahre ist bemerkenswertes Songmaterial in Sessions gewachsen. Unter dem knappen Dutzend Akteuren sind Hugo Race, Steve Moss und Henry Rollins die bekannteren Namen und Spuren führen zu den Bands Universal Congress Of, Rockers HIfi, Medieval Babes, Black Flag, Nick Cave & The Bad Seeds und Galliano.
Im Booklet sind neben den Lyrics künstlerische Porträts der Protagonisten abgebildet, die als expressionistische Holzschnitte angefertigt wurden. Bereichert wird dann alles noch durch eine Kurzgeschichte.

veröffentlicht: www.satt.org

Tuesday, October 07, 2008

The New Year
"The New Year"
The Ugly Suit
"The Ugly Suit"

Diese Art von neuer Leichtigkeit, die im Songwriting grassiert, will ich nicht. Und man braucht sie so auch nicht. Zwei CDs, die ich kürzlich zugeschickt bekam, geben mir Gelegenheit dies zu verdeutlichen. Hätten The New Year aus ihrem gleichnamigen Album nur "Seven Days And Seven Nights" als Single veröffentlicht und das gesamte andere Songmaterial nochmal durchdacht, überarbeitet, gekonnt weiterentwickelt, dann hätten sie vielleicht eine Chance aus der Beliebigkeit herauszukommen, in der sie untergehen. Hätten sie. Auch bei The Ugly Suit wäre ich gewillt gewesen, wenigstens einen außergewöhnlich guten Song ihres Debut-Albums zu nennen. Und hätte ich. Jedoch fand ich keinen, den ich für besonders erwähnenswert hielt und nichts, was mich wirklich entscheidend interessieren konnte.
Meine Hörgewohnheiten haben exzellente Bands wie The Triffids mit geprägt. Es ist eine Messlatte gesetzt. Und die sollte auch hoch bleiben.

Thursday, October 02, 2008

Robert Forster (Foto: Tina Karolina Stauner, 2008)

Pop nach "The Evangelist" - Robert Forster & Band

In Konkret 04/08 schrieb A. Kasbohm über "The Evangelist": "...Und "From Ghost Town", der letzte Song der Platte, ist vielleicht eines der besten Stücke, die Forster je geschrieben hat. Der Versuch, einen Menschen zu verstehen, dessen Ausweg aus dieser Welt der Selbstmord war. Glasklar, immer mit der gebotenen literarischen Distanz. Auch das Bemühen um Objektivität läßt den Schmerz nicht verschwinden..." - Vor zwei Jahren schrieb ich: "Wenn überhaupt Pop- und Rockmusik dann uneingeschränkt Pere Ubu..." Ich füge nach dem Konzert vom 01.10.08 in München im Ampère mal einen Namen hinzu: Hübscher Pop über die Härten des Lebens, Mr. Robert Forster.

Wednesday, October 01, 2008

Elliott Sharp's Terraplane, Porgy & Bess, Wien, 29.09.08

Elliott Sharp (Foto: Tina Karolina Stauner, 2008)

www.elliottsharp.com

Tuesday, September 16, 2008

Elliott Sharp
"Concert In Dachau"
(Intakt)

Im Mai 2007 tauchte der New Yorker Downtown-Avantgardist Elliott Sharp im ausgwählten Programm des feinen Jazzclubs im Café Teufelhart in Dachau auf. Sonst auch mit diversen Bandprojekten und als Kompomist für Ensembles arbeitend bot Sharp dort einen Live-Remix aus Themen seiner Programme außschließlich für elektroakustische Gitarre. Mittlerweile ist der Konzertmitschnitt "Concert In Dachau" veröffentlicht. Und findet sich gerade auf der Bestenliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik 3/2008. Unter dem Stichwort "Grenzgänge".
Sharps freie Bearbeitung von Material der Solo-CDs "Velocity Of Hue" (2003) und "Quadrature" (2005) war bei dem Konzert ein Spiel von geradezu magischer, mesmerisierender Kraft. In den Set eingetaucht wirkte Sharp wie introspektiv versunken in sein Songmaterial. Das hatte phasenweise Meditatives, lotete tranceartige Tiefen aus und ging aber mit dem gleichzeitig experimentellen Element offensiv nach aussen. Offener imaginärer Raum entstehend aus hypnotischen Klangebenen aus Minimalismen, Wiederholungen, Glissandi, Arpeggien, Overtone-Drones, unruhig freien Improvisationen, sphärischen Melodien. Auch mit manch Passagen schwer zugänglicher, uneinheitlicher Stimmung. Wiederkehrend rein folkige, bluesige und jazzige Anklänge standen im Kontrast zu laptop-assistiert leicht Verfremdetem und unter fernöstlichem Einfluss stehendem. Die ursprünglichen Songtitel wurden ersetzt durch Nummerierung von 1 bis 4. Das Original war nur Ausgangspunkt für Neues mit extremem Assoziationsspielraum. Der die Holocaust-Vergangenheit Dachaus inkludiert, wie Sharp, Sohn jüdischer Eltern, in den Liner Notes zeigt. Der interpretierbar ist, wie der merkwürdige, goldtonige Raum des Coverphotos mit einem Licht, das ein böses Gleißen wie ein verheißendes Aufleuchten sein kann. Als Abschlussstimmung entschieden ein kantig geslideter, manirierter Country-Blues. Sharps Blues wird von manchen futuristic Blues genannt und passt zu seiner Erforschung der Grenzen von Improvisation und Komposition und freidenkerischen Wegen.
www.elliottsharp.com

veröffentlicht: www.satt.org

Sunday, September 14, 2008

Tuxedomoon, Ampère, München, 17.07.08

"Many are cold but few are frozen"

Tuxedomoon, ehemals eine Klasse für sich im New Wave, sind mit Neuveröffentlichungen und Tour nach längerer Pause der 90er Jahre jetzt wieder aktiv und waren kürzlich im Ampère in München. Die Band, 1977 in San Franzisco gegründet, wurde in den 80ern zu einer europäischen Band, Blaine L. Reininger Kultfigur. Der Avantgarde und dem Jazz verbunden waren sie nie einfach nur Pop. Von Avantgarde kann man nicht mehr so leicht reden. Bei Tuxedomoon jetzt umsomehr aber von der Nähe zu Fusion-Jazz. Dem ich immer mehr als skeptisch gegenüberstehe.
Die Band wirkte oberflächlich betrachtet selbstgefällig und reserviert. In den besten Momenten überzeugte sie stark im Repetetiven und durchaus in gewisser Weise mit der Minimal Musik korrespondierend. Wobei besonders spürbar war, dass ohne Schlagzeug gespielt wurde und Peter Principle am Bass aber um so mehr vermitteln konnte, dass er über die Kraft verfügt die Rhythmusarbeit alleine zu tragen. Die Zwei-Mann-Bläsersection Steven Brown und Luc van Lieshout bemerkenswert bis ins Detail aufeinander eingespielt. Wie auch der Wechsel gelegentlich zum Keyboard. Und Blaine L. Reiniger: Er konnte sich früher schön narzistisch und exzentrisch in Coolness zeigen. Doch selbet als sein Gesang gegen Ende des Konzerts schreiend wurde, erschien das nur irritierend schaurig kalt und leer. Auf seiner aktuellen Myspace-Page "Blaine" der Satz: "Many are cold but few are frozen." Dazu passte der Klangraum seiner schönen Violinmelodien. Es herrschte Perfektion. Es dominierte saubere Gitarrenarbeit. Und besonders eben die Verwendung exakter Bläsersätze. Dabei entfaltete sich ein Gefühl von Leere. Als ein Raum, der zwar für etwas Fehlendes steht aber auch als eine beabsichtigt eingesetzte Aussage interpretiert werden kann. Und auch als ein Teil der künstlerischen Weiterentwicklung. Als wäre da bewußt eine leere Mitte. Als Imaginationsraum. Die Band arbeitet deshalb wohl oft mit Diaprojektion. Diesmal nicht.
Absolut im Heute legen Tuxedomoon betont Wert auf das neue Songmaterial und lehnen sich nicht auf ihre Songklassiker zurück.
www.tuxedomoon.co
www.tuxedomoon.com
veröffentlicht: www.skug.at

Thursday, September 11, 2008


Jackie Leven, Ampère München, 2008
Foto: Tina Karolina Stauner

Wednesday, September 10, 2008

Neue CDs von Nonesuch - Geschichtsbefrachtetes:

"...Somewhere in the distance
Northern lights will shine..."
(aus "Beyond The Great Devide",
Emmylou Harris)

BILL FRISELL, »HISTORY, MYSTERY«: Dieses Doppelalbum ist wie eine Einladung zu einem Tanz, dessen Ausgangspunkt ein Nadir inmitten von Melancholie ist und in der Geschichte traditioneller amerikanischer Musik wurzelt. Die sich entwickelnde Stimmung changiert zwischen bodenlos Schwermütigem und lächelnd fliegender Leichtigkeit. Einfach gesagt: die perfekte Dichotomie traurig - froh. Kaum besinnt man sich auf schweres Bluesfeeling wird dann doch wieder alles in Bewegung voll Lebensfreude abgefangen. Am Abgrund entlang balancierend. Dem man aber trotz der Interpretation von Sam Cookes »A Change Is Gona Come« mit CD 1 zu nahe käme. Auf CD 2 gelingt es eine größere Dimension Optimismus lebendig werden zu lassen durch verstärkte Hinzunahme von Sphären aus Free Jazz und zeitgenössicher Kammermusik. Bei den insgesamt 30 Miniaturen, live und im Studio in namhafter Oktett-Besetzung eingespielt, ergreift der Gitarrist Frisell die Möglichkeit sich von seiner stärkeren Seite zu zeigen.
T-BONE BURNETT, »TOOTH OF CRIME« : Kurz Geschichte: 1975 Bob Dylans »Rolling Thunder Revue«, dann Alpha Band, Soloalben. Danach etwa 15 Jahre Rückzug. Produzententätigkeit und Filmmusik. Nun, nach dem exzellenten »The True False Identity« (2006), das neue, aus Musik für Sam Shepards Bühnenstück »Tooth Of Crime« (1972/96) hervorgegangene, geichnamige Album. Burnett, mit einer Art Psycho-Blues, der Tradition schrägen Rock'n'Rolls nahe, etwas countryesk, ist und bleibt einer der erstklassigen Songwriter und Produzenten. Mit dem schon 1988 zusammen mit Roy Orbison und Bob Neuwirth geschriebenen »Kill Zone« scheint er dann sogar perfekt Macht über einen geradezu übersinnlich funkelnden Kosmos auszuspielen. In einer sonst eine harte, düstere Welt widerspiegelnden CD-Atmosphäre. Hochkarätig immer die Lyrics von speziellen Beziehungsdingen bis zu politischen Überlegungen.
EMMYLOU HARRIS, »ALL I INTENDED TO BE«: Der erste Eindruck des etwas zu Süßlichen und Pathetischen nicht gleich gewinnend, wobei es nicht das betont traditionelle Element der Songs ist, das stört. Denn deshalb hört man dann doch weiter, so dass man die Qualität der CD entdecken kann. Und das darf auch sein. Denn Harris ist nicht irgendwer: Sie begann mit keinem Geringeren als Gram Parsons. Ihre Duette sind Musikgeschichte: Harris mit Bob Dylan, Johnny Cash, Willie Nelson, um nur einige zu nenen. Sie hat also Größe zu zeigen. Und das gelingt ihr schließlich gerade noch. Zusammen mit Musikern mit Rang und Namen in der Countryszene. Insbesondere bei den beiden Liedern mit Mike Auldridges Backing Vocals und John Starling im Duett : »Beyond The Great Devide« und »Old Five And Dimers Like Me« : »...too far and too high and too deep ain't too much to be / too much ain't enough for old five and dimers like me...« So manche Country-Überzeugung und -Handlungsgewohnheit in Songs fast zu schön um wahr zu sein.
STEVE REICH, »DANIEL VARIATIONS«: Die Autobahn Minimal Musik. Die bei Reichs Kompositionen auf die hohe Ebene führt und in spirituelles Gebiet. Reich ist nie seichter Esoteriker. Der erste Teil, die »Daniel Variations«, mit dem Los Angeles Master Chorale, haben vier Themen und gehen vom Biblischen ins Profane. Die angestrengt wirkenden Chorstimmen ständig wie auf einen angesetzt um zu beunruhigen. Der zweite Teil, »Variations For Vibes, Pianos & Strings« mit der London Sinfonietta, fängt einen in einem bewegungsarmen Mittelteil geradezu mit Entdecken von Langsamkeit ein. Vorübergehend. Denn Reich wirkt sonst hauptsächlich stark vorwärtsstrebend und vorwärtstreibend. Wie meist. Aber beim Zuhören kann gleichzeitig ein Gefühl tranceartigen Stillstands und Ruhe entstehen. Einfallen kann einem Paul Virilios »rasender Stillstand«... Steve Reichs Stücke als eine Form des Reflektierens von Erscheinungsformen und Wirkungsweisen sozialer Beschleunigung auf individueller wie kollektiver Ebene.

www.billfrisell.com
www.tboneburnette.com
www.emmylouharris.com
www.stevereich.com

veröffentlicht: www.skug.at
(skug 76, print, 10-12/08)

Tuesday, July 22, 2008

"Dichter Nebel"/"Dawu", Regie: Han Tao, Hongkong, 2007, 110 Min.

Der Veranstalter kündigt beim Filmfest "Dichter Nebel" als einen radikalen Film an. Was sich aber nicht sofort offenbart.
Zwar liegt von Beginn an über allem eine bedrückende Stimmung, die zunehmend bleiern lastet. Doch die Handlung bleibt unspektakulär. Kameraeinstellungen mit Betonung auf Licht und Raum. Langer Fokus auf Zimmer mit Bett und Tisch in diffusem Stehlampenlicht, oft auch flackerndes Bildschirmlicht. Buchhandlung mit der Atmosphäre hermetischer Abgeschlossenheit. Indifferente Beleuchtung in riesiger Fabrikhalle, durch deren weit im Hintergrund entfernte Tore man in der Ferne gleißendes Licht ahnt. Dunkelheit und kleine, entfachte Feuer verlöschen gleich wieder. Und ständige Beobachtung menschlicher Körper: Am Tisch sitzend trinkend und rauchend. Auf dem Bett liegend. Vor dem Bücherregal stehend. Harte einfache Arbeit verrichtend. Eine Rede haltend. Ein Kleidungsstück anprobierend. Duschend im Gemeinschaftswaschraum. Beim Sex auf einer am Boden liegenden Matratze. Der direkte, rohe Blick auf ungeschönte Körper in Alltagssituationen. Han Tao, der Regiseur, ist auch bildender Künstler. Ruhig die Kamera gerichtet auf Szenen, die dann fast spröden Realismus in der Malerei evozieren. Dabei kaum je mehr als lapidar lieblose Gespräche.
Spürbar wird mehr und mehr, dass keiner eine Sphäre von Freiheit erreichen kann. Geistiges, Spirituelles, Emotionales wirkt wie abgewürgt. Chancenlos. Oder gar nicht vorhanden. "In 2006, during the organization of the art exhibit "Breathing" in Shangdong, I finished the script of "Big Fog"", informiert Han Tao. Im Film wird so etwas wie langsam der Atem abgeschnürt.
Wozu es gut sein kann, daß es Literatur gibt, steht in Frage. Klar ist, dass zensiert wird. Schließlich liegt ein Mann auf einem Badezimmerboden wie ein verendendes Stück Vieh. Er hatte vorher noch so etwas wie einen Weinkrampf. Suizid. In dieser Schlussphase wird dem radikalen Realismus auf einmal Grenzen gesetzt. Der Film bekommt ansatzweise experimentelle Züge. Es fallen Schüsse und es gibt wohl Tote. Bruchstücke von Bildern momentweise eingeblendet in andere, bestehende Handlungen. Bildfetzen im Kontrast zu totalen Ausblendungen. Tode, die man nicht mehr sieht. Körperliche, geistige und psychische Tode. Die Synchronisation von Ton und Bild stimmt nicht mehr immer überein. Unerträgliches wie auseinandergerissen. Da waren drei Geschichten. Ineinandergeschnitten. Die von dem Arbeiter, der Selbstmord beging. Die von dem Intellektuellen, der sich ins innere Exil begab. Die von dem Studentenprotest, der blutig endete.

www.skug.at

Monday, July 14, 2008


Trio Sowari (Foto: Tina Karolina Stauner, 2008)

Trio Sowari, Klanggalerie t-u-be, München, 20.06.08

"Do we need a dedicated space?"

Phil Durrant (Laptop, Software Sampler), Burkhard Beins (Percussion, Objekte) und Bertrand Denzler (Tenorsaxophon) bilden die Formation Trio Sowari. Der Auftritt des elektroakustischen Trios mit zeitgenössisch Experimentellem wird als disziplinierte und fokusierte Musik angekündigt. Ich komme in den Tunnelraum
t-u-b-e, in dem der Verein "Offene Ohren" in München Improvisationsmusik veranstaltet, als die Musiker schon angefangen haben zu spielen. Auffallend die sehr reduzierte Lautstärke. Und dies bleibt während des Konzerts so. Freie Improvisation als ein Spiel mit minimalsten Geräuschen, leisesten Tönen und feinsten Nuancen in monotonem Summen. Eine Atmosphäre bestens korrespondierend mit der Raumakustik der t-u-b-e, die gleichzeitig starke Konzentration fordert und völlig entspannt. Der Laptop integriert als akustisches Instrument, ins Saxophon oft gerade mal mit Distanz zum Mundstück rhythmisch gehaucht, manchmal bloß das Knistern von aneinandergeriebenem Styropor statt Schlagwerk und Percussion. Irgendwann nur das Geräusch einer kleinen Kugel, die in einer Schale Runden läuf wie bei Roulette. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als ums Zuhören bei experimentellen Soundversuchen und Klangspielereien. Und mehr um Introspektion als um lautes, spektakuläres Aufsprengen nach außen. Von "Ausloten von Vielschichtigkeiten und Ambivalenzen in musikalischen Kommunikationsprozessen" schreibt Beins in dem Text "Politische Relevanz und subversives Potential" (Rom, 2006). Denn Trio Sawari bietet auch Theorie zur Musik. Diskursives. In einem kleinen schwarzquadratigen Faltblatt speziell die "27 Questions For A Start" (2007). Denkanstöße. Sich abspielend wie die Musik zwischen: "To what degree is this kind of music experimental?" und "Do we need a dedicated space?" So auch: "Does our musical scene simply reproduce capitalistic structures?" und "Are there different levels of listening?"

www.burkhardbeins.de/groups/trio_sowari.html
www.skug.at

Wednesday, July 02, 2008

Elliott Sharp, Tectonics - electroacoustic music, Loft, Köln, 26.05.08
(Foto: Tina Karolina Stauner, 2008)
Bill Callahan, Orangehouse, München, 23.05.08

Bill Callahan coldblooded

"A River Ain't Too Much To Love" (2006) von Smog, Bill Callahans früherer Band, war eine Weile eine meiner favorite CDs. Gefolgt von einer Zeit, in der ich sie auf einmal überhaupt nicht mehr hören wollte. Sogar das absolut geniale "Say Valley Maker" hatte seltsamerweise seine Magie verloren. Callahans Solo-Veröffentlichung
"Woke On A Whaleheart" (2007) nahm ich dann gerade mal mit Skepsis zur Kenntnis.
Erst jetzt beim Konzert im Orangehouse erreichte mich Bill Callahan wirklich wieder. Er an der E-Gitarre, ein weiterer E-Gitarrist, Basser und Schlagzeuger spielten einen extrem auf vereinfachten, straighten Rhythmus fixierten Sound. Roher als auf den CDs. Starker Rhythmus bis in die Gitarren-Riffs getrieben. In manche Stücke regelrecht hineigehackt, hineingehämmert. Auf diese Weise fand ich erneut Zugang zu Callahans Songs. Besonders bei "Say Valley Maker" direkt auf eine härtere Art. Und gleich darauf "Rock Bottom Riser", in dem einige veränderte Gitarrenphrasen durchbrachen. Und dann in "Coldblooded Old Times" - Callahan, abgeklärt, entschieden, die Perspektive eines über 40-jährigen.
Eigenartig überzeugend auch im Vorprogramm Alasdair Roberts: Text und die Akustische. Neues Folksinging & Storytelling. Astreines Fingerpicking auf den hohen Saiten, satt und exakt klingend die Bässe, beim Sliden ein Glas benutzend.

www.myspace.com/toomuchtolove
www.alasdairroberts.com
www.skug.at

Monday, June 16, 2008

Phonola für »Study No. 41« von Conlon Nancarrow bei der Musica Viva
Foto: Tina Karolina Stauner, 2008

Experiment und Avantgarde / Musica Viva 2008, München

Experiment und Avantgarde...1913 veröffentlichte Luigi Russolo das Manifest »L'arte dei rumori«/»Die Kunst der Geräusche«. 1972 hielt Karlheinz Stockhausen den Vortrag »Die vier Krieterien der Elektronischen Musik« in dem als viertes Kriterium »Die Gleichberechtigung von Ton und Geräusch« genannt wird. Dies nur kurz zur Orientierung, Man sollte wissen wann das Terrain definiert und abgesteckt wurde. Denn das sind nicht so leicht wirklich neue Wege, die in der E-Musik (und auch der U-Musik) noch gegangen werden können. Aber es geht um die eigenen Wege, die findbar sind. Wo im Jahr 2008 solche Pfade, Stege, Spuren sind, zeigt mein Blick auf das Musica Viva Festival, das Anfang diesen Jahres an vier Wochenenden in München stattfand. Die Musica Viva präsentiert Exponenten der Neuen Musik und auch verkannte Außenseiter. Von Grenzüberschreitungen war seitens des künstlerischen Leiters Udo Zimmermann die Rede. Von Baustelle und Großlabor des musikalischen Fortschritts. Und es fiel das Wort Kulturpolitik. Bei einem Wochendsymposium, das unter dem Motto »Kunst und Experiment« stand, gab es ergänzend auch viel Theorie, also Denkstoff.
Hier einige Anhaltspunkte:

Karlheinz Stockhausen

Karlheinz Stockhausens Stück »Mixtur 2003« (2003), eine Neubearbeitung einer Komposition aus dem Jahr 1964, spielte sich als Klangereignis ab mit Extremen in der Dynamik im Spektrum von Passagen leisestem Zurückgenommenseins, bei denen kaum mehr als ein Knistern, ein fragiles Klimpern wahrnehmbar blieb und Parts, in denen die ganze Wucht eines Orchesters wie das Zerbersten einer Glasfront wirkte. Das Stück für fünf Instrumentalgruppen, vier Sinusgenerator-Spieler, vier Klangmischer mit vier Ringmodulatoren und Klangregisseur hatte eine extreme Sogwirkung in sein breites Klangspektrum.
Als Einschub vor dem zweiten Teil der Partitur der kurze »Gesang der Jünglinge« aus dem Jahr 1956 mit Klang von allen Seiten.
»...sich die klanglichen Qualitäten der menschlichen Stimme via Analyse und Synthese als kompositorisches Material verfügbar zu machen.« War auch wie Exotik von Menschenstimmen wie in einem riesigen Terrarium, als das ich mir die Welt dabei auf einmal vorstellte. Bevor die Rückwärstversion der Partitur, also die Teile 1 - 20 von »Mixtur 2003« in umgekehrter Reihenfolge, erklangen: »...erlebe ich es wie die Fahrt nach dem körperlichen Tod: weißes Hohes C - Pizzicato-Spieler transparent alternierend - Schichten von Klangskelett in Ton-Hagelsträhnen - Dialog zwischen Schreischüssen und Bronzeschlägen - und so weiter: rückwärts in die verträumte Erinnerung...«, so Stockhausens eigene Worte. Fast beängstigend und gespenstisch die Stimmung, die sich entfaltete, in deren irritierende Dynamik ich mich nicht ziehen lassen wollte. Ich ließ nun vorbeigleiten und nahm mit beobachtendem Abstand wahr.
Die Aufführung von »Mixtur 2003« war schon deshalb etwas Besonderes, da sie als eine Art musikalisches Vermächtnis Stockhausens gesehen werden kann.

Conlon Nancarrow

Es ist immer wieder spannend wie sich inmitten zeitgenössischer Musik »Studies For Player Piano« von Conlon Nancarrow behaupten können. Wie als eine Art Parallelschiene, die die Erinnerung in der Gegenwart ist. Stücke gespielt auf historischen Instrumenten: In Papierrollen gestanzte Partituren, Lochstreifen, steuern Selbstspielklaviere. Nichts ist mit den Arpeggien und Glissandi von Player Pianos, die mit den Händen auf Tasten nicht gespielt werden könnten, vergleichbar. Bei »Study No. 41« (1981) für zwei Phonolas, spezielle Player Pianos mit Spielern, die die Geschwindigkeit und Lautstärke über Fußpedale mit Saugluft regeln, entstanden spannungsreiche, irrationale Temporelationen dadurch, daß sich nach den zwei Teilen mit Solointerpretationen im dritten Teil die zwei Spieler gleichzeitig aufeinander einzustellen hatten auf ihren Phonolas, die, da keine high-tech-Maschinen, nicht exakt synchronisierbar sind.

Erwin Stache

Erwin Stache funktioniert in seinen Stücken alle möglichen und unmöglichen Gegenstände zu Musikinstrumenten um. Viel Spielerei und nicht immer Substanz. Aber wirklich merkwürdig faszinierend seine Licht- und Klanginstallation »Bewegungen - Momente« (2007) mit Saitenkästenmatrix, Murmelzither, elektromechanischen Röhrenwasserobjekten und Waschmaschinenprogramm-
scheibenorchester. Auf dem Holzmosaikboden im Zentrum eines Zimmers ein Rechteck aus aneinandergestellten Kommodenschubfächern, jede mit einer Saite bespannt, die mit Elektromotor zum Schwingen und zum Erklingen gebracht werden konnte während zugleich ein Lämpchen aufleuchtete. Manchmal waren Klangmuster aus einzelnen, manchmal mehreren Schubfachinstrumenten hörbar und mit aufblitzenden Lichtern dazu, manchmal entstand ein dichtes Klang- und Lichtfeld. Dazu entlang der Wände aufgestellte Metallstangen mit sich drehenden Waschmaschinenprogrammscheiben daran, die ein klickendes Geräusch verursachten. Das Ganze einerseits zwar nur amüsiert ansehend ließ ich mich jedoch in dem dunklen Raum und dem Geräusch- und Tonfeld für einige Zeit aus der Realität in einen regelrecht meditativen Gedankenraum und darin in freie Assoziation driften. Gelang perfekt.

Persische Trommler und Gesänge der Sufis aus Oberägypten

Die Persischen Trommler Trio Chemirani und die Gesänge der Sufis von Ensemble Sheikh Ahmad Al Tuni, ein Publikumsmagnet, schufen eine mystische Insel, einer anachronistischen Idylle tranceartiger Rituale nahe. Konventioneller Faltenwurf als Bühnenrückwand und die Halle getaucht in lila- violettes Licht. An diesem kalten, grauen Vormittag war es wie spirituelle Kraft und Wärme tanken tief im Inneren. Doch hatte ich den Gedanken, das Stagedesign hätte den Raum kraß aufreißen müssen, um zu zeigen auf welchen eher unidyllischen Boden sich diese traditionellen Musikdarbietungen in unserem Land tatsächlich hineinwagen.

Gérard Pesson, Beat Furrer, Iannis Xenakis

In die Dramaturgie des Abends mit Kompositionen von Gérard Pesson, Beat Furrer und Iannis Xenakis einzutauchen, machte mir wieder einmal klar, daß man die Wirkung von Orchestermusik bestens für sich einsetzen kann um seine Stimmung zu beeinflussen.
Gérard Pessons »Aggravations et Final« (2002) für Orchester mit Tönen wie hingehaucht und Fragmentarisches hingegezupft und hingeklopft, mit viel Gespür für Freiraum von Pausen und kaum Wahrnehmbarem und immer wieder nur der Ansatz von Melodien im Klangmeer, das auch aufwühlend werden konnte.
Beat Furrers Konzert für Klavier und Orchester (2007) war wie Unruhe pur, die langsam nachlassend sich dann doch wieder steigerte. Extreme Spannung vermittelte welch verquere Räume wie architektonische Gliederung entstanden zwischen den Klavierparts und dem gesamten Orchester.
Iannis Xenakis »Antikhthon« (1971) für Orchester wirkte regelrecht aufreibend und treibend. Klang von Saiteninstrumenten, der direkt und bis zu agressiv und wie gezielt auf's Nervensystem ging mit einer Dosis und Substanz, wie sie kaum etwas anderes als ein exzellentes Orchester vermitteln kann.

Adriana Hölszky, Michael Lentz und Uli Winters

Amüsant, bizarr, grotesk, aberwitzig, wie der Protagonist im szenischen Stück »Countdown« (2007) von Adriana Hölszky nach Texten eines Obdachlosen für Countertenor, acht Alphörner, vier Trompeten, vier Posaunen, vier Konzertflügel und acht Schlagzeuger in der Raummitte alleine auf einer Bühne sich vokal eine autonome Welt schuf. 20 Instrumentalisten getrennt davon außen herum an den Raumwänden verteilt, nicht mit dem Countertenor kommunizierend. Das führte mich zu der Frage: Welch abstruse Gedankenwelt also mag sich im ruinierten Leben von obdachlosen Alkoholikern oftmals wirklich abspielen? Lächerlich, absurd und faszinierend skurril und wie die Verzweiflung selbst. Hölszky bedeutete die musikalische Antwort einiges, wie sie dann beim Applaus offen auf der Bühne zeigte.
Und ich stellte mir am selben Abend noch die Frage, ob das Stück »Boxgesang über 12 Runden« (2006/07) für einen Boxer, klingende Boxsäcke, Piccoloflöten, Bassklarinetten, E-Gitarre, Schlagzeuger, Subwoofer, einen Beatboxer und zwei Sprecher, von Michael Lentz und Uli Winters in irgendeiner Weise weiterführte: Schauspieler auf einen Boxsack eindreschend. Schläge, Schritte, Atem hörbar, Sprachkommentare, im musikalischen Ensemble eine sauberer Rockgitarre. Wirkte auf mich nur wie eine einfache musikalische Trainingsrunde.

Bernhard Lang, Karl Amadeus Hartmann, Giacinto Scelsi

An der Kombination von Kompositionen von Bernhard Lang, Karl Amadeus Hartmann und Giacinto Scelsi war für mich erst einmal das 70 Jahre alte Stück von Hartmann (im Jahr 1945 Musica Viva-Gründer) nicht nachvollziehbar.
Doch dann beim Hören von »Symphonie L'Oeuvre« (1937/38) von Hartmann und Erleben wieviel tiefe Bitterkeit ohne kitschiges Pathos im Ton von Schönheit sein kann bekam das Ganze zeitlose Qualität. Der Ton seiner Musik als Widerstand unter extremen Bedingungen. Selbsreflexion in düsterer politischer Lage in entfremdeter Zeit.
Giacinto Scelis »Uaxuctum« (1966) für sieben Schlagzeuger, Pauker, Chor und Orchester, Untergangsepos nennbar, das rituelle Handlungen von der Selbsthypnose bis zu psychedelischen Zuständen spiegeln soll, mit seiner eigenartigen, fast verstörenden Dynamik besonders der Chorstimmen, kann es schaffen eine böse, unbestimmte Angst aufzurühren, wovor ich plötzlich regelrecht meinte zurückweichen zu wollen. Und wäre es weit ins lebenslange Außenseitertum wie Scelsi. »...Klang«, so seine Überzeugung, »sprengt die Dimension von Raum und Zeit...« Ja, Klänge, die im Innern etwas aufbrechen und weiter in unbekannte Dimensionen führen können.
Mit das stärkste des Festivals war das erste Stück dieses Abends »Monadologie I« (2007) für E-Zither und Orchester. Daß klar Meditatives und absolute Härte in einem Stück in einem Paradoxon vereint sein und wirken können machte dessen Faszination und absolute Stärke aus.

Dieter Schnebel, Peter Ablinger

Beim Symposium war wirklich interessant den fast 80ig-jährigen Dieter Schnebel, dessen aktuelle Oper »Majakowskis Tod«
im vergangenen Jahrzehnt von zwei Bühnen inszeniert wurde, die Geschichte der experimentellen Musik vortragen zu hören, besonders für die, die damals in den 50er bis 70er Jahren nicht dabei waren wurden hier noch einmal Schlaglichter auf zentrale Prozesse der Ereignisse geworfen. Und von allen Symposiumteilnehmern nennen will ich noch Peter Ablinger. Ihm zuzuhören bedeutete auch, mich auf seinen vom Band eingespielten Track »Weißes Rauschen« einzulassen, das wie brachlag für meine sich dabei einstellenden Gedanken und durch Ablinger der Frage nachzugehen, ob wir das Neue oder Erneuerung brauchen. Im Infoheft zum Symposium steht zum Vortrag von Peter Ablinger nur der Satz: »Würde die Wirklichkeit an unser Bewußtsein rühren, so wäre die Kunst überflüssig.« (Bergson, »Das Lachen«)

Veranstaltungen der Musica Viva finden regelmäßig in München statt.

musica viva
veröffentlicht: www.skug.at
Marc Ribot's Ceramic Dog
»Party Intellectuals«
(Enja/Yellowbird)


Der New Yorker Marc Ribot informiert explizit: Ceramic Dog ist eine wirkliche Band, nicht ein Projekt. Mit Ches Smith, mittlerweile ein Name der Westcoast-Szene, am Schlagzeug und dem Autodidakten Shahzad Ismaily aus der NYC-Szene an Bass und Synthesizer. Ribot spielt Gitarre, Trompete, Horn, Melodica.
Ceramic Dog ist ein »free/punk/funk/experimental/psychedelic/
post electronica collective«, das sich mit »Party Intellectuals« zwischen genialem Songwriting, coolen Latinklängen und härterem Rock angesiedelt hat. Fast Hardcore-Crossover-mäßig brechen die beiden ersten Stücke der CD »Break On Through« und »Party Intellectuals« herein. Wie auch alle weiteren Songs wie ein sich Besinnen auf Qualitätsmerkmale wirken, die in früheren Jahren gesetzt wurden. Und wieder erneuert oder zu einem Neuen zusammengefügt werden. Ribot verwendet dabei konsequent einen Gitarrenton, der im Inneren aufreibt, aufkratzt, auf der Schneide fast nervend zu werden, aber im positiven Sinn so tief gehend, daß er auf eine bestimmte, sehr gewollte Art sich einprägt. Da ist viel bewußte, kontrollierte, harte Unmittelbarkeit mit manch vorsichtig einfühlsamen, dabei oft verzerrten, manchmal auch ironisch gebrochenen Momenten in Verbindung oder im Kontrast.
Was für erstklassiges Songmaterial Ribot bietet zeigt besonders »When We Were Young«. Traumhaft. Assoziationen blenden sich ein: »...hazy eyes...«... Ein Tag mit flirrender Hitze. Zu heiß für jede Anstengung. Jemand lehnt sich an ein Auto. Irgendwo unterwegs angehalten. Erinnert sich... »when we were young and we were freaks«... Messerscharf analysieren, was früher war. Aber der Zustand in dieser Hitze an diesem Tag ist nicht wirklich ein klarer Wachzustand... »...sleepwalking...« ... - Alles reflektieren und doch dabei nie mehr wirklich herauskommen können aus einem Leben in das man einmal aus einer Entscheidung oder einem Zufall heraus hineingeraten ist.

www.marcribot.com


Scott Matthew
»Scott Matthew«
(Glitterhouse/Indigo)


Wenn Scott Matthew, ein in Brooklyn lebender Australier, singt, scheint es, als wäre er mit engelartigen, übersinnlichen Wesen in Verbindung. Vielleicht ist er vom Himmel gefallen. Er riskiert extrem überspanntes Pathos und theatralischen Kitsch. Und auf wundersame Weise hat er das alles tatsächlich mit seinen Musikern perfekt im Griff. Auf seinem Debut »Scott Matthew«. Sich selber als »quiet noise maker« bezeichnend. Mit preziösen Folkminiaturen wie Kammermusik. Die Betonung auf Piano und Gitarre, oder auch mal Cello, Ukulele, Akkordeon oder Banjo. Kleine einfache Songs, aber lässig die große Geste. »I no longer can rely / On a friend who once kept me alive« ist der Satz mit dem er einen mit dem wunderschönen zweiten Song der CD in seinen Bann ziehen kann. Und weiter: »...God it's weird / God it's strange / To be the only one to talk to / God it's weird / God it's strange / To be the only one to dance with...« (»Abandoned«). Er hat einen Weg gefunden andere mit Worten zu erreichen: »...There are so many of us / Who'd rather play dead / It's easier to run than explain ourselves...« (»Ballad Dear«). Und er bewegt sich frei in abgehobenen Sphären: »...Like you he's been and gone...« (»Prescription«) Die elf eher kurzen Songs sind fast zu schnell zu Ende. So als wäre eine Vision plötzlich vorbei. Die allerdings auf CD wiederholbar ist. Wollte man bösartig werden, könnte man sagen: Kann süchtig machen wie Zuckerzeug.

www.scottmatthewmusic.com

(skug 75 (print), 7-9/08)
www.skug.at

Friday, May 23, 2008

(Foto: Tina Karolina Stauner, 2008)

Scout Niblett, Die Registratur, München, 14.05.08

Kontrollierte Extreme und Ungeschliffenheit

Scout Niblett stellt sich allein mit ihrer E-Gitarre auf die Bühne, versetzt sich in ihrer Vorstellungswelt in eine Stadt namens Himmel und verkündet: "but I am your queen and you are my king". Sowas geht auch nur noch bei Niblett gut. Wahrscheinlich weil sie in irgeneiner Sache mit dem Captain konspiriert, auf dessen Schiff sie da also geraten ist, wie wir auch gleich erfahren haben. In "Do you Want To Be Buried With My People". Und wir wissen auch: Sie könnte umgebracht worden sein. Nicht nur wegen eines Kusses. Statt dessen hat sie aber ihr viertes Album "This Fool Can Die Now" veröffentlicht. In München war da irritierenderweise beim Soundcheck bei ihr und dem sie begleitenden Drumer eine Explosion im Kopf, erzählt sie, die eine tödliche Thrombose hätte sein können. Aber dann war das eben glücklicherweise eine Explosion im Hirnstoffwechsel, die in ein wunderbares Konzert führte. Faszinierend wie sie schon im ersten Song in ihrem ganzen Ausdrucksspektrum ist. Ihre helle, gefühlvolle aber durchsetzungsfähig dominante Stimme steigert sich oft in ein fast agressives Schreien, bei dem sich ihr Gesicht verzerrt anspannt. Sie kann aber auch einfach vielsagend schweigend, elfenhaft vor sich hin sehen. Und mal wirkt sie verschlossen, fast wie verbissen, im nächsten Moment dann erstrahlt ein übertrieben breites Lächeln. Ihr lautes Vorsichhinlachen immer wieder zwischendurch klingt lieblich entrückt wie böse zugleich. Sie hält Extreme und Ungeschliffenheit unter Kontrolle. In ihrem Verhalten und in ihrer Musik. Der Minimalismus ihrer Songs, einzelne, meist langsam hingezupfte, angerissene Gitarrentöne und -akkorde, mündet immer wieder in besonders hübsche Melodien oder aber im Gegenteil in schräge Krachattacken und Lärmorgien. Und der Schlagzeuger steigt mal sparsam einfühlsam, mal mit plötzlichen Schlagzeuggewittern in manche Songs mit ein. In "Moon Lake" sitzt sie selber an den Drums und baut sicher ihren Gesang mit ein. Ihr Auftreten aus der Nähe beobachtend und analysierend muß ich auf einmal doch denken, daß da etwas zu viel Banalität und Naivität ist, in dem was sie mitteilt und spielt. Aber mit der Intensität, mit der sie alles zur Schau stellt, steht sie über so kritischen Gedanken. Und im Grunde stimmt einfach, daß es Spaß macht zu sehen und zu hören mit welchem Charme und in welchen Gefühlsfacetten diese eigenwillige Songwriterpersönlichkeit in ihren Songs präsent ist und agiert.

www.scoutniblett.com
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Friday, May 09, 2008

(Foto: Tina Karolina Stauner, 2008)

Nik Bärtsch's Ronin - Ampère, München, 16.04.08

Zen und Funk, kein Widerspruch

Nik Bärtsch bezeichnet seine Arbeit mit Ronin von Beginn an mit Zen-Funk. Und steht nach eigener Aussage nicht so sehr dem Jazz als der rituellen/sakralen Musik und der neuen Klassik nahe. Zen-Funk: Ein Paradoxon. Zen, das wäre die Stille. Funk, das ist Rhythmik von Grooves.
Bärtsch sagt die Stücke aus »Holon«, von ihm Module genannt, ironisch mit »Lieder aus unserer Heimat« an. Wohl eine Anspielung auf Japan, wo er Zeit verbrachte. Ronin ist die Bezeichnung für herrenlose Samurai Japans.
Man findet sich anfangs aus eher konventionellen Positionen, denen ich sonst nicht zuhöre, noch kaum zu einem wirkenden Ganzen zusammen. Noch ist mir nicht klar, ob mit nur oberflächlichen esoterischen Ebenen gespielt wird oder ob dieses energetische Feld aus Reduktivem, Repetetivem und Improvisation zu funktionieren beginnt, wie ich es von Ronin erwarte. Das auch dem philosophischen Begriff Zen gerecht wird und bei dem die Härte des Funk spürbar ist. Doch genau auf dieses Level bringen die Musiker das Konzert. Ronin sind Nik Bärtsch, piano & fender rhodes, Kaspar Rast, drums, Andi Pupato, percussion, Björn Meyer, bass, Sha, bass-,
contrabass clarinets. Was zuerst wie einfache, virtuose Technik und nur perfekte Phrasierung, wie ein Ineinanderfließen, Ineinanderdriften von Harmonien und Soli scheint, wird dann zu komplex arbeitenden Strukturen und Motiven, wird zum Greifen von Pattern bei Entstehen von konzentrierter Energie, der Minimal Music, der japanischen Ritualmusik nahe und bewußt werden die verzahnten Rhythmen des Funk mit eingesetzt. Der Gedanke des Gestylten nur manchmal eine Idee zu nah. In den Modulen öffnet sich regelrecht auch eine bestimmte Sphäre räumlicher Erfahrbarkeit, wenn man die Sensibilität dafür hat, in dem in sich sehr geschlossen wirkenden Set, bei dem das Lightdesign gezielt mit eingesetzt wird.
Mit Beginn der Zugabe, einem Modul aus dem Vorgängeralbum »Stoa«, kommt dann mehr metallische Kantigkeit ins Spiel und ich meine, daß eigentlich erst dadurch tatsächlich auch so etwas wie ein Moment tranceartiger Qualität freigesetzt werden kann. Doch bei den vorher eher klareren, ruhigeren »Holon«-Modulen war das wohl latenter, wirkten bestimmte Kerne unterschwellig auf feinere, subtilere Art.
Und da war dann auch die Musik-Businessfrau, der das Konzert durch die Zugaben zu lange dauerte, wegen des bestellten Tisches für danach. Warum so jemand, dem es offensichtlich nicht um den Effekt und die Tiefe der Musik geht, in einem Roninkonzert ist, weiß ich nicht. An dieser Stelle werfe ich jetzt eine Frage in Sachen Zen und Musikhören auf, indem ich aus »Methaphern (Wenn die Klänge die Klänge wären)« (2004) von Peter Ablinger zitiere, der wiederum ein Zitat eingebaut hat: "...Der Zen ist kein Ziel. Das Nichts ist kein Ziel. Sie sind Voraussetzungen für das was ist, das Leben. - »Es ist für den kultivierten Menschen schwer zu glauben, daß seine Art der Wahrnehmung von Musik in der Tat die niedrigste Stufe der Möglichkeiten darstellt, die der Musik innewohnen.« (Hatim el-Askari)...««

www.nikbaertsch.com

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Friday, March 28, 2008



»Lucie & Maintenant« - Journal Nomade

Unmittelbares Erleben zwischen Aufbruch und Ankommen

Nach ihrem bislang bekanntesten Film »Step Across The Border« (1990, u.a. mit Fred Frith) führen Nicolas Humbert und Werner Penzel wieder filmisches Experiment und freie Improvisation ineinander.


Inspiriert von der literarischen Vorlage »Die Autonauten auf der Kosmobahn« von Julio Cortázar und Carol Dunlop begeben sich die Filmemacher mit dem Künstlerpaar Océane Madelaine und Jocelyn Bonnerave auf die autoroute du soleil. Die Reise von Paris nach Marseille, als Versuchsanordnung, damals 1982 ursprünglich mit der Spielregel versehen, 33 Tage nur auf der Autobahn und auf Raststätten zu leben. Das bedeutet für die jetzige Zeit auch, sich in der Tradition der Roadmovies zu bewegen.
Filmeinstieg von »Lucie et Maintenant« mit kurzen Schnitten – Zeichen, Farben, Strukturen, Licht, Schatten, Rhythmus. Ein Spiel auf formaler Ebene. Die Schnitte bleiben kontrastreich. Beobachtungen von Straßen- und Parkplatzszenen. Die Kamera auf den Spuren des Flüchtigen, des Ungreifbaren. Die Autobahn als Klangteppich. Momentaufnahmen an unwirtlichen Durchgangsorten und Zwischenräumen im Transitraum. Metamorphosen der Nomadologie. Stilleben und Porträts in gemeiner Rastplatzatmosphäre. Einfachheit wie ein bunter Feldblumenstrauß, ein heißer Automatenkaffee oder ein herumliegendes Buch beginnt man als edle Dinge wahrzunehmen. Und beim Campieren mit dem Auto erscheint der Mikrokosmos des Liebespaares wie ein Inbegriff an Lebensgenuss ungebrochener, bewusster Wahrnehmung bei unzerstörbarer Idylle. »Wächter der offenen Räume«, ein poetischer Gedanke, der auftaucht – »auf den Spuren ihrer Inspiratoren und gleichzeitig auf der Suche nach dem Hier und Jetzt.«, so Nicolas Humbert.
Madelaine schreibt nebenbei Tagebuch und liest daraus vor. Ihre Gesichtszüge sind dabei in Nahaufnahme analysierbar. Leben und Literatur wirken wie direkt ineinandergespiegelt, wie eine produktive Einheit. Worte und Schriftkultur erhalten einen überbetont hohen Wert. Der Philosoph Vilém Flusser wird ins Spiel gebracht, der die heutige Gesellschaft auf einem Weg in eine nachalphabetische Phase der nulldimensionalen technischen Bilder sieht, bei der die Texte ihre Funktion verlieren.
Und als Gedanke von ihm wird erwähnt: »Unsere Wohnung ist die Weltmitte, der Verkehr zwischen Wohnung und Welt ist das Leben ...«. Es geht um unmittelbares Erleben zwischen Aufbruch und Ankommen. Und Linien ziehen und nicht Punkte setzen. Somit wird auch Gilles Deleuze zitiert. Parallelen zum Ausnahmezustand der Zeit auf der Autobahn sind visualisierbar und Wege darüber hinaus. Und das Schreiben, die Literatur wird gleichbedeutend mit Unterwegsein ins Bewusstsein gebracht.

»Lucie & Maintenant« (CH/F 2007, R: Nicolas Humbert, Werner Penzel, Simone Fürbringer, Balzli & Fahrer Filmproduktion, Bern)

website von Nicolas Humbert und Werner Penzel: www.cinenomad.de

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(SKUG 74 (print), 4-6/08)
Joe Lally
»Nothing Is Underrated«

(Dischord)

Ein dunkles Cover mit Joe Lally's wenig erkennbaren, verschlossenen Gesichtszügen, auch sein Name und der CD-Titel
»Nothing Is Underrated« in dunklen Buchstaben auf dunklem Grund kaum zu sehen, nur das weiß geschriebene, herausstechende Wort nothing sofort lesbar. Um nun gleich auf einen Song hinzuweisen, bei dem jeder Satz mit I'm not beginnt: »...I am not defined by terms of belief...I am not a profile based on statistics.« (»Mistaken Identity«). Sich Verweigerung leisten: »...I have no address the place I am living one step up from death...« (»Motora«). Aber auch die Fähigkeit zu Klarsicht und Entschlossenheit: »Painfully aware something's wrong I know I don't belong years on years nothing's changed my resolve remains« (»Painfully Aware«). Aus Verneinung heraus entsteht eine eigene Haltung voll ungemein positiver, unkorrumpierter Kraft. Joe Lally's sprödes Songwriting, eher sparsam instrumentiert, mit perfekten Arrangements, paßt sich keinem Trend an, ist kompromißloser Ausdruck von Persönlichkeit und Meinung. Bei dem Fugazi-Bassisten spürt man die Wurzeln im Post-Core. Obwohl die Songs Folk sind. Aber eher mit Changes und Dynamik wie im Math-Rock. Und oft mit jazzigem Touch. Lally's zweite Solo-CD besticht durch dominierende, schöne Basslinien und
-figuren, prägender, einfacher Schlagzeugarbeit, eckigen, dissonanten Gitarrenmelodien und manchmal atmosphärischen Keybordebenen. Zu diversen Mitmusikern gehörten auch Ian MacKaye und Guy Picciotto von Fugazi.

Bob Mould
»District Line«

(Beggars)

Bob Mould, ehemals Hüsker Dü und Sugar, ist auch, dies auf seine sehr gitarrenlastig rockige Weise, in die derzeitige neue Leichtigkeit im Songwriting geraten. »District Line« sei seine Art gewesen »etwas in ein Tagebuch zu schreiben«, sagt er. Ja, Notizen wie nebenbei. Zwar manches mitteilenswert gelungen, aber so manches auch unspektakulär belanglos. Er spricht von den vergangenen Jahren als »sehr positive Erfahrung«. Umgesetzt dann also zu etwas mit eingängigem Pop-Appeal, wenngleich reflektiert: »...the slow romantic decay....« (»Shelter Me«), durch Amy Domingues' Cellomelodien in einigen Songs verfeinert und kantig durch die Drums von Brendan Canty von Fugazi.

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(SKUG 74 (print), 4-6/08)
("Venus at the Forge of Vulcan" by Jan Breughel the Younger)

Elliott Sharp's Terraplane
»Forgery«

(Intuition)

Terraplane ist eines der diversen Bandprojekte von Avantgarde-Downtown-NYC-Größe Elliott Sharp. Derzeit mit schnörkellosem,
urbanen Blues mit Free Jazz-Elementen. Auch futuristic Guerrilla Blues genannt. Sharp besann sich als Basis für das neue Album »Forgery« auf eine alte Weisheit des R&B und läßt Wirkung beruhend auf einer funky Rhythmusgruppe (David Hofstra: Bass, Tony Lewis: Drums) und einer jazzy Horn Section (Curtis Fowlkes: Posaune, Alex Harding: Baritonsaxophone) entstehen. So gelingt es Terraplane geballte Energie freizusetzten, die zusammen mit Gitarre, Steel Guitar und Tenorsaxophon von Sharp und der emotinalen Stimme von Eric Mingus zu einer immensen Kraft wird. In einem Spektrum von merkwürdig beunruhigender Stimmung, die aktuelle Situation nach nine-eleven widerspiegelnd - »War Between The States«, bis zu einem dem alten, warmen Blues nahen Feeling - »How Much Longer Blues«. »Katrina Blues« über New Orleans bekommt durch den Gesang von Poetin Tracie Morris eine besondere Atmosphäre. Der CD-Titel »Forgery« bezieht sich auf den derzeitigen Zustand von New York, »jener Stadt, die immer noch vorgibt, der Puls der Welt zu sein, aber in Wirklichkeit längst zu einem Museum ihrer selbst verkommen ist.« - »...Von dem New York, das ich einst liebte, ist nichts mehr übrig.«, wird Sharp im Label-Info zitiert. Und in dieser Lebenssituation entstanden Aussagen über Politisches und Zwischenmenschliches - auf dem Cover teilt er mit: »...to move or advance against strong resistance...«.

www.elliottsharp.com

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(SKUG 74 (print), 4-6/08)

Wednesday, February 27, 2008



Architektur in Wien, 2008
Foto: Tina Karolina Stauner

Das Ausstellungsgebäude der Wiener Secession, 1897/98 von Joseph Maria Olbrich errichtet.

https://www.secession.at/