Thursday, September 29, 2011

John Vanderslice, Kranhalle München, 20.09.11

Nenn es halt weiße Wildnis, wie Vanderslice
Seit Wochen ist mir nach purem amerikanischem Songwriting live. Doch kein Konzert weit und breit in der Stadt. Schließlich John Vanderslice in der Kranhalle des Feierwerk. Vanderclice ist nicht hundertprozentig was ich will. Aber annähernd. Also gehe ich hin.

Vanderslice befindet sich bereits auf der Bühne als ich reinkomme. Kleine Besetzung. Nur er mit Gitarre und der Schlagzeuger Jason Slota. Der nebenbei auch Moog spielt. Vanderslice wechselt zwischen E-Gitarre und akustischer Gitarre. Und es ist genau das, was ich erwarte: ein hübsches Konzert. Für einen kleinen Kreis von Zuschauern. Für substanzielles, oder wenigstens tendenziell substanzielles amerikanisches Songwriting gibt es in München offenbar nicht immer Publikum. Es sind grade mal etwa 30 Leute da. Die Generation in Vanderslices Alter Mitte 40 oder auch darüber fehlt fast völlig. Irritierenderweise haben sich nur einige der Generation der 20-somethings im Konzert versammelt.
Gab es nicht auch schon früher diese Konzerte für Insider?! John Martyn mit akustischer Gitarre solo und zwei Dutzend im Saal. Aber exzellentes Konzert.

John Vanderslice hat nicht ganz die Klasse eines John Martyn. Aber Vanderslices Texte sind nicht belanglos und er beherrscht mindestens passabel seine Gitarre. Er leitet in eine poetische Welt, in der auch politische Aussagen Platz bekommen. Er ist manchmal offen regierungskonträr, thematisiert gern provozierend, wie z.B. Pornosucht, und zeigt sich nicht mainstream-kompatibel: "The sky was growing pale / So we held on to the twisted trail / The ground was getting cold / It was too far out to turn around and go home // The moon rose dim above / It was impossible to tell what time it was..." ("White Wilderness")
Beim letzten Song werden Percussioninstrumente unter den Zuschauern verteilt, Vanderslice und Slota gehen zum Spielen mitten ins Publikum und um alle kreisen lauter Lichtpünktchen. Nettes Konzert.

www.johnvanderslice.com

veröffentlicht: www.skug.at

Monday, September 12, 2011


"Noisy Love Songs" Okkyung Lee (Tzadik/Sunny Moon, 2011)
Pastellartig-klangliche düstere Kontemplation

"Nach dem Regen fällt ein Tropfen - Grün!"

"Noisy Love Songs" als Teil der New Yorker Avantgarde tendiert stärker zum Ruralen, zum Vergangenen als zum Urbanen, Zukünftigen. Die Gegenwart ist dabei als eine Atmosphäre erlebbar, die sich der Langsamkeit, Introspektion, Introvertiertheit mehr annähert als dem Hektischen, Extrovertierten, Exzentrischen. Nicht aus avantgardeistischer Perspektive sondern der der Romantik muß man die Songs vielleicht noisy nennen. Es herrschenen vor Filigranes, Feinheiten, Gedämpftes, nicht Grobes, Hartes, Lautes. Es geht hier um Sanftes aus heutiger Großstadtsicht. In Farben wären diese Klänge möglicherweise Schattierungen in Weiß- und Gelbtönen. Darauf spielen auch Adjektivfragmente der Songbezeichnungen an. Die Stücke klingen aber auch manchmal düster und dunkel. Den Kompositionen ist verhalten experimentierend Improvisierendes hinzugefügt.
Okkyung Lee ist eine 1975 in Korea geborene, in Amerika klassisch ausgebildete Komponistin und Cellistin. Doch sie ist schon seit einem Jahrzehnt in der New Yorker Avantgarde des Jazz und Free Jazz heimisch. Spielte mit in der Szene anerkannten, namhaften Musikern/Musikerinnen wie z.B. Derek Bailey, Carla Bozulich, Nels Cline, Anthony Coleman, Laurie Anderson, Fred Frith, Thurston Moore, Jim O'Rourke, Evan Parker, Zeena Parkins, John Zorn. Auf "Noisy Love Songs" sind folgende Mitmusiker zu finden: Cornelius Dufallo (Violine), Christopher Tordini (Bass), Satoshi Takeishi, Ikue Mori, John Hollenbeck (Percussion, Electronics), Peter Evans (Trumpete), Craig Taborn (Piano).
Der Grundstimmung und den Bewegungen der Musik von "Noisy Love Songs" sind asiatische Sport- und Meditationsübungen mit ihren eigenen rhythmischen und inhaltlichen Gesetzen in Zeit und Handlung durchaus verwandt. Ein Song heißt auch "Kung".
Andere Songs der CD lehnen sich an an Worte wie Nacht, Regen, Baum, Karussell, Fluss, Stahl, Stille, Körper. Sprechen die körperliche Sinnlichkeit mehr an als das mental Aanalysierende. Weitere Worte wie Morgen, Antwort können vielleicht evozieren, dass es wert ist den Morgen zu verbringen abseits der Mühlen eines effekthascherisch grell-bunten Weltgetriebes. Mit Abwarten, Tee trinken, Musik und Literatur. Man trinkt Tee, um den Lärm der Welt zu vergessen. Bestens zu dieser Aussage passt "Noisy Love Songs". Musik für Menschen, die nicht den Lärm der Welt herausfordern wollen sondern einen asiatisch-amerikanischen Klangraum der Zurückgezogenheit. Dabei aber jederzeit bis über die Grenzen zum Atonalen gehen. Alles kann dabei Selbstgegenstand des Absoluten sein, alles Seiende kann in sich gespiegelt sein. Musik die durchaus auch Zen-Gedichten entspricht. Musik, bei der man feine Unterscheidungen wahrnehmen können muß wie bei dem Spektrum asiatischer Tees.

Sollte ich der CD Text hinzufügen wollen, dann denke ich an den Zen-Literaturkontext.
"...Am frühen Morgen / Höre ich / den Gesang / Der Fischer / Auf dem Izumi-Fluß" (Otomo no Yakamochi)
"Frühlingsregen! / Reden und gehen / Zusammen mit Regenmantel und Regenschirm" (Buson)
Okkyung Lee hingegen hat ein Zitat aus Samuel Becketts 1946 geschriebender Kurzgeschichte "First Love" verwendet.

Buddhismus und Zen wurde in Korea im 9. Jh. durch den Mönch Toui eingeführt. Der chinesischen Tradition der Tang-Zeit folgend errichteten weitere Gründermönche Tempel in den Bergen Koreas, weshalb ihre Schulen „Berg-Schulen“ genannt wurden.

Okkung Lee Blog
Okkyung Lee-Filme von Andrew Lambert
Zen und Buddhismus in Korea
Teegeschichte

veröffentlicht: www.skug.at www.culturmag.de

Sunday, September 04, 2011


Qluster "Fragen" (Bureau B/Tapete, 2011)

Die Geschichte einer der entscheidenden deutschen experimentellen Elektronikgruppen mit über 40-jähriger Tradition ist betitelt mit Kluster, Cluster, Qluster: KLUSTER (Hans Joachim Roedelius, Dieter Moebius, Conrad Schnitzler), CLUSTER (Roedelius, Dieter Moebius) und QLUSTER (Roedelius, Onnen Bock).
Die bisherige Kollaboration Cluster gibt es nicht mehr. Die neue Formation heißt Qluster und ist Roedelius (u.a. mit Kluster/Cluster, Harmonia, Aquarello und als Solomusiker im Krautrock und Ambientspektrum) und Onnen Bock (u.a. mit Zeitkratzer, Christina Kubisch im Avantgardebereich und Tontechniker für die Berliner Philharmoniker und die Volksbühne).
Derzeitiges Konzept von Qluster ist die Veröffentlichung einer Trilogie "Rufen - Fragen - Antworten" mit einer Klavier-, einer live-, einer analogen Synthesizer-Aufnahme. Das Instrumentarium dafür Piano, Elektroakustik, analoge Synthesizer z.B. Roland Jupiter 4, Jamaha CS 70 M, Korg MS 20.
Die CD "Fragen" ist Improvisation und Abstraktion von Roedelius und Bock mit analogen Keyboards. Instrumente, die die Erzeugung jeder Klangart, auch bläser- und streicherartig, mit einschließen. Vordergründig sind bei "Fragen" oft horizontale Klangschichten über mehr oder weniger oder gar nicht betonten vertikalen Klangrhythmen.
"Fragen" veranlasst einen regelrecht Räume zu visualisieren. Große, helle Räume. Eher geschichtsträchtige. Klangräume der Rockmusik oder durchaus des westlichen oder östlichen Sakralen. Manchmal tauchen in der Vorstellungswelt Fragmente von Kirchenraum auf oder von Tempel. Manchmal Konzertsaalarchitektur. Eigentlicht wirken manche Klangpassagen eher abweisend, fast sogar schroff. Motivieren dann aber wieder freundlich und sanft sich treiben zu lassen in fließenden Tonsphären. Es ist ein Wechselspiel zwischen zurückstoßen, annehmen und auffordern, zwischen Härte und Weichheit. Und es ist auch ein Zwischenraum. In dem der Versucht möglich ist zu visualisieren was war, was ist, was sein könnte, was sein wird. Intendiert ist bei dieser Musik das Visualisieren. Nicht kurze Momente. Sondern große Zeiträume. Nicht New Age. Sondern Ambient als Klangarchitektur für Räume mit spirituellem Charakter oder der Rockmusikgeschichte. Der Psychedelik mehr klangfremd. Dem Atonalen der Geschichte der elektroakustischen Musik doch immanent. Qluster sind spröder, irrealer, unnahbarer, zurückhaltender, widerspenstiger Partizipient dieses Genres. Sie sind ein "Zartbitter", wie auch ein Song der CD sagt.


www.qluster.info

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Saturday, September 03, 2011


Birgit Ulher "choices" (Another Timbre, 2011)

Konsequent experimentell in der internationalen Improvisationsszene ist Birgit Ulher mit ihrer Trompete. Oft in einem vollkommen freien Bereich, in dem ohne Themen und Absprachen aus dem Moment improvisiert wird, real time music genannt. Töne wie in einem Kontext einer ureigenen Schrift mit eigener Grammatik und Rechtschreibung.
Auf "choices" mit Trompete, Tondämpfer und Radio und in Kollaboration mit Lucio Capece an Sopransaxophon, an Bassklarinette und an Minimegafon sind drei Stücke, die "physical", "chance", "orbital" bezeichnet sind.
Dem Stück "physical" ist ein vorsichtiges, aber auch hart werdendes Pulsen und Vorwärtsbewegen integriert neben den oft wie schwirrenden, klirrenden Tönen und es wirkt insgesamt beinahe zerbrechlich. Die Klänge des lang ausgedehnten "chance" sind auch versehen mit nervös sirrendem Kreischen und Scheppern neben leisen, sinnlichen, manchmal auch stark spitzen hellen oder dumpf dunklen Unter- und Obertönen. In dem kurzen "orbital" ist Fiepen, Dröhnen in sich besonders räumlich entfaltenden Klangschichten zu finden.
Blasinstrumente können brummend, murmelnd, keuchend, kratzend, klopfend und in vielen weiteren oft unüblichen Schattierungen erklingen und experimentell eingesetzt werden. Statt konventionelle Musik kann man damit alle möglichen Geräuschklangwelten produzieren.
"choices" ist wie Textur in der bildenden Kunst. Ulher studierte ursprünglich Malerei. Nur wenn man unbedingt will kann man mit der Musikwelt von "choices"auch Realismus absolut oder relativ frei assoziieren in einem Strom der Ideen, der der freien Improvisation entspricht und mentale Entspannung oder Irritation evozieren kann.


www.birgit-ulher.de

veröffentlicht: www.culturmag.de