Saturday, February 23, 2013

Harmolodic und der Vertrautheitsfaktor - James Blood Ulmer

James Blood Ulmer Black Rock Experience bzw. Odyssey feat. Queen Esther, Unterfahrt München, 29.01.13

Gitarrist und Sänger James Blood Ulmer hatte beim Konzert in der Unterfahrt die Sängerin Queen Esther mit dabei, die wie er aus den Südstaaten der USA kommt. Anders als angekündigt war am Schlagzeug G. Warren Benbow und an der Violine Charles Burnham. Die Formation Black Rock kennt man in anderer Besetzung. So sollten auftreten Mark Peterson und Grant Calvin Weston.
Reizvoll fand ich sofort, dass der Violinist Charles Burnham mit auf der Bühne war. Das ist dann aber eigentlich nicht Black Rock, sondern das 1983 gegründetes legendäre Trio Odyssey, stellte ich fest. Von dem auch einige besonders nenneswerte Alben stammen. Charles Burnham kennt man auch vom Zusammenspiel mit z.B. Cassandra Wilson, Henry Threadgill und Warrren Benbow spielte mit Nina Simone, Betty Carter u.a. Queen Esther, die eine Vier-Oktaven-Stimme hat, sang beispielsweise für Hubert Sumlin.
Aufregend neu ist die Mixtur aus Blues, Rock, Funk, Soul, bei der James Blood Ulmers speziell für Harmolodic gestimmte Gitarre wesentlich ist, nun nicht mehr wie damals, als Harmolodic erstmals aufzutauchen begann. Aus dem Ungestümen und Rohen von Odyssey-Zeiten ist etwas gut und als altbekannt Eingespieltes, Versiertes geworden.  Harmolodic ist mittlerweile in weiteren Kreisen bekannter und konnte dabei so manchen Ohren vertrauter werden. Nicht nur Insidern. Harmolodic klingt vielleicht auch selber etwas gemäßigter. Und weniger ungestüm und wild. Vielleicht ist das aber auch nur bei mir so, die Harmolodic über die Jahre beobachtet und ständig gehört hat. Natürlich auch das Werk von Ornette Coleman, von dem James Blood Ulmer einst in Zusammenarbeit entscheidend inspiriert wurde. Und durch den Ulmer stilprägend seinen Free-Funk entwickeln konnte.
Autonomie und alternative Strukturen waren zu Beginn der Harmolodic tonangebend. Doch dass die Musiker der Harmolodic Teil des Musicbussines wurden und durch die Institutionen gingen ist auch an deren Musik nicht ganz spurlos vorbeigegangen. Ornette Colemans Theorien waren so ziemlich das Gegenteil dessen, was allgemein an Musiktheorie gelehrt wurde. Und frei behandelt auch Ulmer die Stimmung und das Spiel seiner Gitarre. Bevorzugte Gitarren von Ulmer sind seit einer Weile schon Gibson und Steinberger.
Aber auch wenn bei der Harmolodic das, was man als Feeling bezeichnet, entscheidend ist, so ist die Harmolodic doch ein Gedankengebäude. Wenngleich kein integrales System im Europäischen Sinne. Nicht kodifiziert, nicht hierarchisiert. Man kann Harmolodic ein offenes Reservoir an Verfahren nennen. In dem Ulmer seinen ureigenen Weg geht.
James Blood Ulmer betont in diesen Jahren gerne den Blues und nicht mehr so sehr den exzessiven Free-Funk. So sah ich den jetzt 71-jährigen bei Shows öfter zurückhaltener als früher. Diesmal aber ging er nun auch wieder in extrovertiertere Spielarten seiner Persönlichkeit. Und ließ dabei an seiner Seite ergänzend Queen Esther als Vocalistin eine wichtige Rolle. Die diese auch souverän wahrnahm. Und Ulmers Songs gekonnt bereicherte. Den Sound von Odyssey kennzeichnet vor allem auch das starke und besondere Einsetzen der Violine und macht ihn zusammen mit Ulmers schroffer Gitarre völlig unverwechselbar.
Im verhalteneren Anfangsteil des Konzerts bot Ulmer gleich nach "White Man Jail" dann "I Can' t Take it Anymore". Später dann ging er bei "Devil Got to Burn" aus sich heraus wie von mir lange nicht mehr gesehen und spielte darauf "Show me Your Love". Ulmer beendete den Set dann mit "America". Natürlich: Harmolodic ist made in America. Ulmer gehört zu den Jazzrevolutinären und seine Einzigartigkeit steht nicht in Frage. Er zelebriert dies. Aber viele begreifen dabei vermutlich nicht, dass die Bedeutung von Harmolodic eine ganze Musikphilosophie ist. Sogar eine soziale Utopie. Sogesehen ist Ulmer eigentlich mit einigen anderen Mitstreitern Verbreiter einer Mission.

Info James Blood Ulmer

veröffentlicht: www.kultura-extra.de

Friday, February 22, 2013

Eine blasse musikalische Sache -"Pale Green Ghosts" von John Grant

John Grant sagt mir mit "Pale Green Ghosts" musikalisch überhaupt nichts. Das 80s- und New Wave-ige in seinen Arrangements kann ich zum einen nicht ab. Und zum anderen ist es bei ihm auch tatsächlich nicht überzeugend eingesetzt. Wenn er das Elektronik-lastige zurücknimmt beginnt er als Singer-Songwriter zu wirken und man könnte sich für das, was er wahrscheinlich zu sagen hat, interessieren. Sein Potential zeigte er jedenfalls bei Solo-Performances. Zu Zeiten seiner früheren Formation The Czars konnte er noch als mehr als ein farbloser Geist halbwegs stimmig sein. Wenigstens für völlige und ausschließliche Indie-Rockfans. Zu denen ich aber nicht unbedingt gehören wollte. Grant lebte in u.a. New York, London, Berlin bevor er nach Reykjavik in Island zog. Um dort dann eingeladen von Birgir Þórarinsson, a.k.a. Biggi Veira von Iceland’s electronic pioneers Gus Gus das Album "Pale Green Ghosts" aufzunehmen gemeinsam mit diversen isländischen Musikern. Vielleicht eine gute Idee, aber das Ergebnis ist so aufregend nicht. Grant erzählt über sich und sein Leben: “I’d take the I-25, between Denver and Boulder, which was lined with all these Russian olive trees, which are the pale green ghosts of the title: they have this tiny leaves with silver on the back, which glow in the moonlight...The song is about wanting to get out of a small town, to go out into the world and become someone and made my mark.” Es ist ihm nur leider mit "Pale Green Ghosts" nicht gelungen wie gedacht. Vintage synth-pop und industrial dance gehen mit seinem Songwriting nicht wirklich zusammen. Mag Electronica ein Teil seiner Persönlichkeit sein, wie er sagt, so zeigt er doch nicht Stärke in diesem Genre. "Pale Green Ghosts" bleibt eine blasse Angelegenheit. “Moving to Reykjavik, at the age of 43, was incredibly risky and scary,” teilt Grant mit. Es hat ihn musikalisch nur nicht weitergebracht.

www.johngrantmusic.com

Thursday, February 21, 2013


Folksongs wie Wachträume von Luai

Da hält sich offensichtlich ein unbekleidetes weibliches (oder androgynes?) Wesen tagträumend mit geschlossenen Augen über Wasser in einer merkwürdigen Siedlung in der die ganzen Straßen überflutet sind und dürre Rauch-Zweige von Kaminen aus in den Himmel emporstreben. Jedenfalls auf dem gezeichneten Coverdesign von "Boulder Thicket", der aktuellen Veröffentlichung von Luai. Luai ist die Finnin Saara Markkanen zusammen mit  Mitmusikern.
Auf "Boulder Thicket" hört man fragile und spröde Folkmusik. Zwar wie man sie immer wieder von allen möglichen mehr oder weniger interessanten Leuten angeboten bekommt. Doch: Luai ist eine herausragende Ausnahmeerscheinung. Es gibt Momente, da möchte man fast an Nick Drake denken. Introspektiv versponnen oder auch verhalten swingend klingen die Songs von Luai. Hübsch und manchmal leicht schräg. Und jeden Moment wie kleine Kostbarkeiten.  Luais Lieder konnten mich vom ersten Kontakt an in den Bann ziehen.
Saara Markkanen lebt derzeit in Berlin und spielt erst seit einigen Jahren akustische Gitarre, was sie sich einfach beim Songschreiben beigebracht hat. Die Lyrics handeln von Befindlichkeiten. So etwas verarbeiten auch andere Musiker zu Stücken, aber nicht immer so schwebend schön wie bei Luai.  Markkanen schreibt über nebensächliche Kleinigkeit oder große Gefühle gleichermaßen. Klingt dabei altklug naiv. Weiß beispielsweise etwas über Einsamkeit: "...I knew how to give / but not to receive / Lonely as alone can be / I am full of empty sounds laying around / Lonely as alone can be." ("Lonely As Alone Can Be") Oder etwas, das mit dem Coverbild korrespondiert: "...too much of everything / enough of nothing / I stand still as the rivers flow by / In the middle of it all I forgot to ask why // I travelled far to meet all my tomorrows / only one greeting me was my past / running away from all the sorrow / I travelled far and I travelled fast..." ("Nobody Is An Island") Und weiß noch vieles mehr zu berichten. Das zu akustischer Gitarre, Bass, Perkussion,  Piano, Cello und Holzblasinstrumenten erzählt wird. Luai ist ganz sicher etwas Besonderes im Meer des Songwriting.

Luai
"Boulder Thicket"

www.saaramaija.tumblr.com

veröffentlicht: www.culturmag.de

Friday, February 15, 2013

Dem Jazz total ins Netz gegangen - junge deutsche Jazzband, alter Herr des amerikanischen Jazz und außerdem eine internationale Jazzlabelgeschichte: Ebene Null, Wayne Shorter Quartet und ECM.

"Ebene Null ist die Summe seiner Einzelteile. Sie ist oberhalb und unterhalb, überall und nirgendwo zugleich. Sie verteilt sich wie blauer Dunst. Sie ist einfach sie selbst ohne zu fragen. Wenn ich ein Stein wäre würde ich mich zu ihr legen" (Lucas Leidinger)

"Ich meine ja, dass nichts wirklich zum Ende kommt (...) Wir versuchen das Beste der Klassiker als eine Art Licht zu nutzen, das den Weg ins Ungewisse erhellt." (Wayne Shorter)

"Musik ist das Zentrum, und alles verzweigt sich von hier aus, hierher kehre ich immer wieder zurück: in die Konzertsäle, Kirchen und Studios...Bei Musikaufnahmen sollte jene unverwechselbare Atmosphäre entstehen, die den Wunsch weckt, etwas zu verändern oder, wenn notwendig – besser, vollkommener zu machen..." (Manfred Eicher)

Leichtes Kaliber - Ebene Null

Ebene Null nennen sich die Kölner Jazzer Lucas Leidinger, Christoph Möckel, Stefan Berger, Max Andrzejewski. Pianist Leidinger sagt über die erste CD "Wandertrieb" der Band: "Sicher ist es Jazz. Aber es könnte auch etwas ganz anderes sein...." Ist es aber nicht. Aber dass es Jazz ist genügt in diesem Fall tatsächlich eigentlich. Nullebene, ein Bautechnikfachbegriff, ist die Oberkante von  Erdgeschossfußboden. Oder im Speziellen was die Band betrifft inspiriert durch Ebene Null einer Tiefgarage. Im Jazz von Ebene Null ist das dann musikalisch eine gradlinige Klarheit mit einer ständig wachsenden Summe von Möglichkeiten, kann man so definieren. Aber die Stücke entspannen beim Anhören einfach und können fast gute Laune machen. Man kann bei "Schwarzes Wollknäuel" sich vielleicht verspielt wie eine Katze fühlen. Oder sich bei "Traumfänger" an einem Nachmittag in Gedanken verfangen. Und die Musik auch einfach ins Ohr stöpseln wenn man ziellos Straßen entlangspaziert auf Nullebene...einfach nur Jazz, ganz gut und: ein leichtes Kaliber.

Drahtseilakt - Wayne Shorter Quartet

Eine eher schwere  Ladung Musik und ein starkes Pegel im Jazz ist Wayne Shorter mit seinem Quartet. Seine aktuelle CD "Without A Net" ist nach 43 Jahren eine Rückkehr zum Label Blue Note bei dem seine ersten Aufnahmen schon 1959 für Art Blakey auftauchten. Wayne Shorter ist mittlerweile 80. Und man sollte sich die älteren Herren des Jazz anhören jetzt, wenn sie leben, dachte ich mir. Und pickte Shorter aus dem CD-Stapel. Ich, die von Shorter immer nur nebenbei Kenntnis genommen hatte. Denn: Ich habe mir schon immer viel Free Jazz gegönnt, aber habe noch nie Fusion gemocht. So habe ich bis jetzt Shorter jedenfalls am Rande als Sideman von Miles Davis hören können und habe halt zufällig hie und da von seiner Arbeit mit Weather Report was mitgekriegt.
Bei Wayne Shorter und seinem seit Jahren bestehenden Quartet wird Jazz schon mal Drahtseilakt genannt. Musik, bei der es um eine Sphäre völliger Offenheit gehen kann mit Raum zwischen den Tönen, um Höhen und Abgründe , Neugierde, Geheimnisse, Bewegung, Suche, "Wenn wir rausgehen um zu spielen, kennen wir die Antwort nicht", so Shorter. Es bereichert die Sensibilität die Perfektion des Quartets, bei dem Danilo Pérez, John Patitucci und Brian Blade mitspielen, zuhörend zu erforschen und deren musikalische Wege und so manche Hochseilakrobatik mitzuverfolgen. Einmal ergänzt auch durch das klassische Bläserquintett Imani Wind. "Whitout A Net " sind Live-Mitschnitte aus dem Jahr 2011. Neben gerade entstandenen Stücken taucht auch Material früherer Jahre auf wie "Orbits" vom Album "Miles Smiles" und "Plaza Real" von Weather Report. Und zwar in absolut spannend-heutiger Improvisation. Harmonischen Jazz mag ich selten hören, aber ein Tenor- und Sopransaxofonspieler wie Shorter ist zugegeben jedenfalls genug abenteuerlich und fesselnd. Kennt im Ton mit einfühlsamer Wärme und extremerer Schärfe, Details und Leerstellen und gut auch die einen oder anderen Sprödheiten faszinierend gekonnt umzugehen und sich Freiheiten zu nehmen und anzubieten. Und eine Nachmittagsstunde profan gesagt zu verschönen. Sollte man wohl zu schätzen wissen. Sich genießend in so einen edlen Klangraum zu begeben. Anspieltipp das kurze und neue "Myrrh".

"Alles, was gesagt worden ist,  ist offen für Veränderung" (Wayne Shorter) - eine metaphysische Diskussion...
 

"Jazz kann so vieles sein. Und manchmal ist Jazz eben einfach nur Jazz. Nicht mehr, nicht weniger, und fertig! " (Ebene Null)

www.ebenenull.de
www.wayneshorter.com

Aber schon bin ich wieder bei Free Jazz, Improvisation und Avantgarde...

veröffentlicht: www.culturmag.de

Monday, February 11, 2013

ECM-Ausstellung
Foto: © Tina Karolina Stauner


Repeating - "a cultural archaeology": ECM


Am letzten Ausstellungstag ging ich noch in die ECM-Ausstellung im Haus der Kunst. Aus einem eisig-kalten, sonnigen Februarnachmittag kommend geriet ich als erstes als zufällige Auswahl in das schmale, abgedunkelte Klangkabinett mit Musik von Wadada Leo Smith. Und ließ mich dann von Eindruck zu Eindruck durch die Ausstellung treiben. Ich erlebte in knapp zwei Stunden meine eigene Collage aus Bild und Musik entstanden aus der Ästhetik, die ECM anbietet.
Dunkle Klangkammern mit Filmen und Installationen und kleine Klangkabinette mit Musik gab es bei ECM im Haus der Kunst. Und zu sehen waren auch Mastertapes, Notenblätter, LP-Cover und Cover-Entwürfe und natürlich Fotos von z.B. Roberto Masotti von Jazzgrößen wie z.B. Carla Bley, Keith Jarrett, Keith Rowe und und und. Das Ganze ein akustischer, audiovisueller Zugang zum ECM-Label und wie der kulturelle Austausch zwischen Europäern und Amerikanern durch die Jahrzehnte funktioniert hat.
Das Label ECM (Edition of Contemporary Music) gibt es seit 1969. Gegründet von Manfred Eicher in München um improvisierte und Avantgarde-Musik einzuspielen.
Repeating ist ein Stichwort zur Ausstellung, das ich aus dem Video Essay von The Otolith Group "People To Be Resembling" von 2012 habe. Wir sind mit dem Codona-Trio, bestehend seit 1978, nun bei Post-Free Jazz und Pre-World Music. Im Nebenraum Free Jazz der 60er Jahre mit Albert Aylers "Spirits Rejoice" aus dem Jahr 1965. Und in einem anderen Bereich der Film "Ellis Island" von Meredith Monk von 1981.
An einer Vitrine steh ich dann vor dem aufgeschlagenen LP-Cover von "Dolmen Music" von Meredith Monk. Ich erinnere mich an den Stapel Platten auf meinem Schreibtisch, den ich von Bekannten von Bekannten hatte, und in dem ich auf "Dolmen Music" stieß. Das ich fortan als Cassettenmitschnitt hatte und wieder und wieder hörte. "Dolmen Music" wurde 1981 bei ECM veröffentlicht. Eine LP, die meine Hörgewohnheiten mit prägte.

Zur Ausstellung veröffentlichte ECM ein Buch mit umfangreicher Fotopräsentation und informativen Texten: "ECM - Eine kuklturelle Archäologie" herausgegeben von Okwui Enwezor und Markus Müller (Prestel Verlag, München)


www.hausderkunst.com
www.ecmrecords.com

Weißer Morgen eines Februarwintertags
Foto: © Tina Karolina Stauner