Friday, July 28, 2006

21.07.06 Doch kein Filmfestbesuch

Der Himmel über der Stadt ist rosa gefärbt von Gewitterstimmung im Abendlicht. Eine seltsame Atmosphäre macht sich zusammen mit der Sommerhitze breit. Ich begebe mich auf den Weg in die Innenstadt zum Filmfest um den neuen Film von Kitano anzusehen. Von der Straße aus blicke ich direkt in die tiefhängende Gewitterwolkenfront vor mir, die nun ganz dunkellila heruntersinkt. Windböen frischen die Luft auf, in der auch jetzt abends um neun Uhr schwer die Hitze steht.

Ich fahre bis zum Isartor und will sehen in welchem Kino dort der Film läuft. Als ich das eine der Kinos betrete, finde ich mich in einem total verlassenen Gebäude. Kein Mensch im Foyer, niemand im angrenzenden Café, kein Kinosaal wird genutzt. Es ist noch nicht zehn Uhr und es sieht aus als hätten alle aus einem unerfindlichen Grund das Filmfest verlassen. Beim Hinausgehen treffe ich auf jemanden, der beginnt die Türen zu verriegeln. Ich frage nach dem Maxx. Der Typ sagt: Mit zwei X. Das hier ist das Forum. Das Maxx ist ein Stück weiter auf der anderen Seite der Isar. Dort also mitten ins Filmfest. Ich erfahre, daß "Takeshis'" von Kitano ausverkauft ist. Als ich am Eingang frage, ob noch jemand ein übriges Ticket hat, bekomme ich nur für einen anderen Film eine Karte angeboten. Ich gehe die Treppe hinunter in die Tiefe des Foyers und sehe mich im Raum um. Auch hier hat noch jemand Tickets für irgendeinen Film abzugeben. Ich blicke auf die Leute, die vor den Türen auf Einlaß warten. Auf einmal denke ich, daß das, was ich jetzt sowieso nicht will, ist, in einem bis auf den letzten Platz besetzten Kino sitzen in einer Menschenmenge. Ohne zu zögern gehe ich wieder nach draußen. "Takeshis'" wird demnächst in einem Wochenprogramm gezeigt werden, dann wird genau der richtige Tag dafür sein. Ich mag mit Menschenansammlung auf einem Fest nichts mehr zu tun haben und informiere mich auch nicht mehr über American Independents, obwohl mich das interessiert, sondern gehe.

Alle, die in der Stadt unterwegs sind, sind spärlich hochsommerlich gekleidet: Kurzes Kleid, Minirock, Trägershirt, Shorts, Bermudas, sonst lauter nackte Haut. Mir gegenüber eine Frau in einem dünnen, türkisfarbenen Abendkleidchen mit Pailetten am Ausschnitt. Und spitze beigefarbene Riemenschühchen an. Mich nerven jetzt auch die Leute, die mir begegnen.
In meinem Wohnviertel am Rande der Innenstadt stelle ich fest, daß nun völlige Windstille herrscht, die stundenlang drohenden Gewitterwolken sich an den Horizont entfernten und auch nachts um elf überall nur die erdrückende Hitze hängt.
Wäre ein Kneipenbiergartenabend. Wenn man wollte.

Thursday, July 13, 2006

Substanz und Tiefe

Kürzlich konfrontierte ich eine Musikjournalistin damit: "Du erinnerst explizit an die 90er, Beasts of Bourbon etc...Manchmal scheint es, als ob von der Substanz der 90er einiges umsonst war." Im folgenden Wortwechsel an mich die Frage, was ich unter Substanz verstehe.
Beasts of Bourbon erinnerten mich an die Substanz der 90er. Dabei waren sie eine Rockband, die ich grade mal gelten ließ. Substanz, das war für mich eher Townes van Zandt, einerseits, andererseits durfte es Henry Rollins sein, oder die Godbullies. Substanz in der Musik fand ich gerne im klassischen Songwriting oder im Hardcorerock.
Einfach zwei, drei weitere Namen nennen, um zu definieren, was ich unter Substanz verstehe? Sagen wir: Dem kommt die Band Califone nahe. Finde ich verstärkt im Jazzcore.
Auf'm Tisch liegt ein Artikel der SZ vom 3./4./5. Juni 2006 von Joachim Kaiser mit dem Titel: "Tiefe - Wagen wir uns in diesen wunderbaren Abgrund: Über ein unlösbares, doch unabweisbares ästhetisches Geheimnis". Tiefe dürfte mit Substanz vergleichbar sein, denke ich. Und dann folgen Stichworte wie: "elitärer Bezirk", "profunde Substanz", "Komplexität", "arroganter Hochmut". Und ein Text, der beim ersten Lesen regelrecht konservativ wirkt, geradezu schulmeisterlich scheint und mit einem Foto kombiniert ist, das ausgerechnet ein Klischee, einen Weg, zeigt. Beidseitig von einem schmalen Holzpflockzaun gesäumt, auf einen dunklen Wald zuführend bei dem man an nur einer Stelle in helles Licht durchsieht. Neben diesem Bild "Weg im Hornerpark" von Eduard Arning die Anmerkung: "Tiefer Gedanke ist ein Gedanke von gleicher Mächtikeit wie ein Gongschlag in einem gewölbten Saal. Er läßt Räume spüren, wo Dinge vorhanden sein mögen, die man nicht sieht und die vielleicht da sind: aber die Stärke des Widerhalls läßt sich notwendig vermuten. Wenn dieser Saal nicht begrenzt wäre, würde der Schlag sich ohne Widerhall verlieren: es gibt also keine Tiefe, die zu irgendeinem Unbegrenzten Beziehung hätte." (Paul Valéry)
Mache ich mir klar, was Substanz ist, ließe sich vielleicht einfach sagen: die wesentlichen Grundlagen, das Innerste, Essentielles. Also auch Tiefe.
Wenn "etwas an die Substanz geht", wird das Grundlegende angegeangen, dann greifen die inneren Schutzmechanismen nicht mehr. Am Gegenpol von Oberflächlichkeit.
Aber geht man davon aus, wie Descartes oder Spinoza, daß es nur eine Substanz gibt, meinetwegen Natur oder Gott in vielerlei Anschauungen, dann kann man dem entgegensetzen, wie Leibniz oder Kant, daß es viele verschiedene Substanzen gibt. Und: "In der modernen analytischen Philosophie wird der Begriff der Substanz weitgehend vermieden. Statt dessen besteht die Tendenz, alle singulären Terme zu eliminieren und sie durch Quantoren, gebundene Variablen und rein prädikative Terme zu ersetzen (Goodman, Ayer). Diese Tendenz entspricht der empirischen Tradition, der zufolge ein individuelles Ding nur eine Summe (ein Bündel) von Eigenschaften ist." (Lexikon der Philosophie, Uwe Wiedman)
Über die Kurzbeschreibung zu "Substanz und Identität" von Winfried Löffler finde ich: "Eine Standartantwort seit der Antike lautet: Die Welt besteht aus Substanzen mit ihren wechselnden Eigenschaften. Die gegenwärtig analytisch-philosophische Ontologiedebatte stellt jedoch auch Alternativen zur Substanzontologie bereit - etwa die sogenannten 'Tropenontologien', die individuelle Eigenschaftsvorkommnisse als letzte Bausteine der Welt annehmen."
Leicht dürfte es sein, wenn man sich orientiert an dem Satz von Ludwig Wittgenstein: "Die Gegenstände bilden die Substanz der Welt."
Auch die Gegenstände der Musiker...
"...Tiefe entsteht anders.", schreibt die SZ. "Zum gegebenen, nachvollziehbaren Verlauf muß ein neues Moment hinzutreten. Das sollte dem vorausgegangenen verbunden sein: nicht unbedingt demonstrativ überdeutlich, aber doch subkutan, nachprüfbar, zumindest erahnbar. Ein Element der Überraschung, der anspielenden Verwirrung, des Nicht-Geheuren, der symbolischen Beziehung müßte gleichfalls hinzukommen..."

Thursday, July 06, 2006

Musiclist - 2005/2006 - für mich entscheidende CD-releases der vergangenen Monate:

Tortoise & Bonnie Prince Billy - "The Brave And The Bold" (2006)
John Cale - "Black Acetate" (2005)
Smog - "A River Ain't Too Much To Love" (2005)
T-Bone Burnett - "The True False Identity" (2006) http://www.tboneburnett.com
Scott Walker - "The Drift" (2006)
Bill Bourne - "Voodoo King" (2006)

Wednesday, July 05, 2006

01.07.06 "Schwarz auf Weiß"/Heiner Goebbels/Ensemble Modern - Prinzregententheater München - Festspiel+

Musiktheater mit Lichtregie als starke Parallelwirkung zur Musik: kaltes, weißes Licht, oft stechend auf Metallenem aufblitzend, dann warmes Feeling suggerierende Szenen in verhalten gelbem Leuchten, im Wechsel von längeren Intervallen in die man eintauchen kann. Auch in das organisierete Chaos, das sich entwickelt aus Musik und Geräusch, das nicht nur durch Musikinstrumente sondern ein Herumgespiel mit allerlei Dingen entsteht. Das kratzende Geräusch einer Schreibfeder, Bälle krachen auf Blech und herumgeworfene Sachen scheppern auf'm Boden. Die Musiker des Ensemble Modern in scheinbar ungezwungenem, verspielten Treiben auf der Bühne in einem Bühnenbild, das aus einfachen, klaren, streng angeordneten Formen und Bankreihenen besteht, die auf japanische Architektur und Zen verweisen und ein Schattenspiel auf einer weißen Rückwand, das mich an Fotos und Plattencover der Jazzszene Amerikas etwa der 50er Jahre von Hard Bop bis New Thing erinnert.
Die Komposition "Schwarz auf Weiß" von Goebbels (1952) ist aus dem Jahr 1996. Teilstückhaftes aus Jazz und E-Musik und Folkmusik ineinandergreifend. Stilebenen von Rockmusikstrukturen über vorsichtig leise, einfache Soloklänge einer Geige oder einer Koto, kleine Streichersätze, Bläsergruppe und bis zu Passagen im Grenzbereich des Experimentellen. Und schön inmitten darin immer wieder Momente aus Bildern und Musik die ins poetisch Absurde gehören . Dies 1996 noch zum Genießen, heute für die Erinnerung daran? Das Heute kann aussehen wie die Bühne im Mittelteil der Aufführung: die Rückwand auf dem Bühnenboden herumliegend wie eine hingeworfene Plane. Stehleitern aufgestellt auf einer Art Baustelle. Kulissenteile brechen schließlich herunter.
Und in die Tiefe des nun ganz offenen Bühnenraums seltsame Choreografie, eine Gruppe, später ein Einzelner, wie marschierend. Verschwindend im Hintergrund.
Daß der ganze Raum auch zum Erstarren gebracht werden kann, fast menschenleer und ohne Bewegung und in ein fahles Licht getaucht wie eine Grabkammer, entspricht den Texten. Vom Band eingespielt wird: Heiner Müller (1929 - 1995), der "Schatten" von Edgar Allan Poe (1809 - 1849) liest. Und man muß wissen, daß Heiner Müller oft wichtig gewesen war für Heiner Goebbels frühere Arbeiten, daß Heiner Müller kurz vor Entstehung von "Schwarz auf Weiß" starb. Die Parbel "Schatten" beginnt mit den Worten: "Du, der Lesende, weilst noch unter den Lebendigen; ich, der Schreibende aber, habe längst meinen Weg ins Reich der Schatten genommen..."
Die szenische Aufführung ist in der Spannweite von Requiemcharakter bis munter annähernd Zirkushaftem. Spiel und Ernst. Chaos und Ordnung. Leben und Tod. Nah beieinander. Bis fast ein und das selbe. In einem Sammelsurium das aber eine innere Ordung hat und auch präzise funktioniert. Zusammen mit zwei weiteren Textfragmenten: Von Maurice Blanchon (1907 -2003) über das Schreiben, der Beginn des Romans "L'attende L'oubli"/"Warten, Vergessen". Und Verse des englischen Dramatikers John Webster (um 1580 -1625), die von T.S.Eliot (1888 - 1965) in "The Waste Land" zitiert werden.
Bleibt mir seltsamerweise stark in Erinnerung ein Lichtpunkt, eine Lichtquelle, die immer wieder längere Zeit aus dem Hintergrund direkt in den Zuschauerraum leuchtete. Durchdringend. Zum Ende des Stücks langsam erlischt. Ich denke einen Moment: "Wie verlöschendes, zuende gehendes Leben." In der Erinnerung sehe ich immer noch diesen Leuchtpunkt. Er leuchtet auch im finsteren Raum der geschlossenen Augen. Abends. Am Morgen. Auch am hellen Tag plötzlich daran denkend wieder dieser Lichtpunkt.
Als Resüme vielleicht: Sollte man ironisch bleiben wie der Musiker, der unvermutet einen Wasserkessel aufsetzt um Tee zu kochen und dann zum Summen des kochenden Kessels einfach ein bißchen Flöte spielt. Dies ließ der Alltag 1996 jederzeit zu. Die Zeiten jedoch haben sich verändert. Gerade noch gehört dieses verspielt Ironische in die im Grunde genommen Härte des Stücks und gerade noch in die Interpretation der Gegenwart. Und spielt sich im Vordergrund ab, wie außerhalb.
Die Spuren, die in 10 Jahren seit der Entstehung der Aufführung das Leben hinterlassen hat, sind der Interpretation von 2006 nicht ganz anzumerken.
Es ist wie auf eine Utopie zurückblicken. Die nicht zerstörbar ist. Auch wenn nach außen alles zusammenbricht...
-weiteres über Heiner Goebbels Arbeit: http://www.heinergoebbels.com
und Aufführungsort www.prinzregententheater.de

Sunday, July 02, 2006

München Opernfestspiel+

Am 30.06.06 will ich an der Abendkasse der Oper eine Karte für den nächsten Tag "Schwarz auf Weiß"/Heiner Goebbels/Ensemble Modern kaufen. Ich gehe über den Max-Joseph-Platz und wundere mich über eine kleine, hübsche theatralische Szene: Ein kaum zweijähriges, blasses Mädchen trägt einen großen, alten Lederkoffer. In Begleitung eine rot gekleidete, blasse Frau. Ich lächle amüsiert. Gehe weiter und sehe einen Orchestermusiker im Anzug dastehen, Posaune in der Hand. Er lächelt. Blickt Richtung Opernhaus. Ich blicke auch Richtung Opernhaus, denn da will ich hin um das Ticket zu kaufen. Auf dem Platz und auf der Eingangstreppe wartet eine Menschengruppe auf den Beginn einer Vorstellung. Ich kaufe an der Abendkasse das Ticket für "Schwarz auf Weiß" und beim Weggehen denke ich: Theaterpublikum, vom unter der Armutsgrenze lebenden Jobber bis zum Bestverdiener der Managerklasse. Turnschuhe, Jeans, T-Shirt neben teurem blaßlila Abendkleid oder Fliege. Ich wende mich um, nochmal ein Blick auf die Menschenansammlung und nun steht der Posaunist auf dem Giebelfirst der Staatsoper . Etwas irritiert achte ich auf die Akustik seines Spiels im Freien und realisiere jetzt, als eine Frau an den Rand des Dachfirstes tritt, daß ich Zuschauer einer Theateraufführung bin. Ich lehne mich an einen Steinpfosten. Es ist ein heißer Vorsommerabend zum Genießen. Die Frau oben auf der Staatsoper steht ganz am Rande des Abgrunds. So sieht jemand aus der springen will. Dann wird in Zeitlupe als Beginn dieser künstlerisch-artistischen Aufführung die Bewegung des Abspringens gezeigt bis die Frau kopfüber in den Abgrund hängt. Idyllischer Abend, nett unvermutet solche Bilder zu sehen. Die Artistin zeigt eine Choreografie auf einem Minitrapez vor dem Figurenrelief im Giebeldreieck der Nationaltheaterfront, die nach dem zweiten Wiederaufbau 1959 genau dem Entwurf von 1811 des Architekten Karl von Fischer entspricht. Ein geturnter moderner Tanz in freier Höhe. Bewegungsfiguren in der Luft vor historischer Figurengruppe in Steinwand. Gegenwärtig Artifizielles vor geschichtlichem Hintergrund. Abgesichertes Tun und gefährlich harte Kante zugleich. Als die Dame auf halber Höhe aus ihrem Trapez in zwei rote Bänder klettert, gleitet, sich versteckend, umwickelnd und windend und eine rotglitzernde Konfettiwolke in der Abendsonne flirrt will ich soviel Opern-Tanzakrobatik-Zirkus-Schnickschnack nun doch nicht haben und gehe mit dem Ticket für "Schwarz auf Weiß" .
Zuhause lese ich im Programm, daß ich in "Live Sculpture, Apokatastasis - ein öffentliches Geheimnis", oder zumindest in den Beginn davon, geraten bin. Vorgeführt vom Theater Vaivén aus Berlin. Sich tummelnde Geister und Traumschlingen, wie im Programm versprochen, sah ich nicht. Doch daß ich an der Schnittstelle zwischen Realität und Fantasie war, dort am Opernhauseingang, bestreite ich nicht. Mir öffnete sich einen Moment ein Blick vom Progressiven über's Konservative durch's Reaktionäre in einen erschreckenden Raum vom freien Fall im Zwischenraum von Realität und Fantasie.
Und daß die Posaune den Ruf des Orpheus vom Dach schickte mag ich wirklich glauben. Der Gedanke gefällt mir "im Kreuzfeuer des Alltags".

-über die poetische Welt des Theater Vaivén: http://www.vaiven.de/home
und Kontext: www.bayerische.staatsoper.de