Wednesday, December 09, 2009


Architektur in Wien
Foto: Tina Karolina Stauner, 2007

Architekturzentrum:
www.azw.at

Tuesday, December 08, 2009


Szenenfoto © Arno Declair

Gedanken zu "Das letzte Band/Bis dass der Tag euch scheidet oder eine Frage des Lichts" von Samuel Beckett/Peter Handke inszeniert von Jossi Wieler.
Seit 30.10.09 in den Münchner Kammerspielen

Jedes Wort, jede Geste gnadenlos ins lächerlich gezogen. Der Beginn des Stücks. Dies entspricht zwar Beckett, aber die Art wie ich Beckett gelesen habe vor Jahren, war ein Spiel mit Ebenen. Von amüsiert lächelnd, hart zynisch, verspielt ironisch bis poetisch voll innerem Wert. Ich liebte dieses Spiel, mir bei Beckett diese Ebenen aussuchen zu können. Zwischen ihnen hin und her zu wechseln von einem Moment zum anderen.
So gesehen wurde von Jossi Wieler die Totalentwertung von Text betrieben.
Die Figur des Krapp völlig lächerlich und abgewrackt nur mit altem Koffer, Tonband, Bändern, Stuhl und Tisch in einem von Anja Rabes gestalteten Gerüst von Raum. Umgeben von Schwarz. Mit Erinnerungsfetzen, die nicht mehr den geringsten Wert haben. Texten, die nicht mehr den geringsten Wert haben. Einem Leben, das nicht mehr den geringsten Wert hat. Nichts mehr kann dann einen Wert gewinnen. Als die Szenerie wechselt, die Bühne sich zu tieferem Raum öffnet, werden an der Rückwand hochformatige Schwarz-Weiß-Bild-Projektionen gezeigt, mit Szenen, die eigentlich Wert hätten: Bilder voll Qualität mit menschlichen Körpern und Stillleben, die auf echtes Gefühl, echtes Leben, wertvolle schriftstellerische Arbeit verweisen. Im Stück auf der Bühne sind all diese Momente entwertet. Und können auch durch einen Stückwechsel im Stück nichts mehr dazugewinnen.
Samuel Beckett: sarkastischer, skuriller Endzeitvisionär. Peter Handke: feinsinniger, introspektiver Beobachter. Je ein Text der beiden in einem Stück, der deutschsprachigen Erstaufführung "Das letzte Band/Bis dass der Tag euch scheidet oder eine Frage des Lichts". Wobei Handkes "Bis dass der Tag euch scheidet oder eine Frage des Lichts", von ihm eher als Echo, nicht als Antwort auf Becketts "Das letzte Band" gesehen wird. Zwei Protagonisten: Ein Mann blickt auf ein Leben zurück, das nur noch wie ein leeres Spiel wirkt. Eine Frau redet wie in einem Leben, das wie ein leeres Spiel ist. Leere und zwei ihrer Spielarten. Und gleichzeitig entwertet die Inszenierung dann noch die literarische Textvorlage. Höhlt sie aus. Im Interesse, die Wahrheit über das Theater, die Wahrheit über Gegenwärtiges zu zeigen? Einem Gegenwärtigen, in dem Krapps Pathetik gnadenlos antiquiert wirkt und seine offensichtlichen inneren Verwüstungen so fremd und überflüssig wirken, dass sie nur noch die Lächerlichkeit per se zu sein scheinen. Krapp wirkt nur noch wie ein nicht ernst zu nehmender Penner. Nur noch wie ein völliges Wrack, dessen ganze Existenz ohne Sinn war. Und ohne Gewicht ist und bleibt. Ein Mensch mit Wertvorstellungen scheint nicht mehr als irgendein zu nichts nutzer niederer Organismus gewesen zu sein und zu bleiben.
Von Beckett selber sagte Cioran, er lebte nicht in der Zeit, sondern neben der Zeit. Hätte Krapp dies getan, hätte er ein Beckett sein können. Beckett lebte asketisch. Als Avantgardist, der am toten Punkt der Literatur laborierte, sagt man gerne. Aber höchst lebendig, höchst energetisch. Und konnte sich leisten zu sagen: "Ich hatte immer das Gefühl, als ob in mir ein Ermordeter wäre."
Doch in Wielers "Das letzte Band" eine schier unerträgliche Sinnlosigkeit. Sinnlos, dass Krapp von sich redete und dokumentierte. Sinnlos, dass diese Tonbandstimme noch spricht. Sinnlos, dass Krapp diese Stimme nach 30 Jahren wieder sprechen lässt und anhört. Dann Handkes Frauenfigur, die ihr Spiel beginnt mit den Sätzen: "Mein Spiel jetzt. Dein Spiel ist ausgespielt..." Doch sinnlos, dass sie dieses leere Spiel spielt. In dem ihre Meinung wie völlig erübrigbares, oberflächliches Geplapper klingt. Dass sie Krapp sozusagen überlebt hat, war, ist und bleibt somit nichts als sinnlos. Nicht ein Wert, sondern gleichzeitig die Totalentwertung. Demnach auch sinnlos, dass Beckett und Handke diese Texte geschrieben haben. Die Texte demnach austauschbar. Man hätte sie gar nicht zu schreiben brauchen. Beckett und Handkes Existenz demnach sinnlos. Austauschbar. Alles austauschbar. Jeder oder keiner hätte schreiben können. Das oder etwas anderes. Irgendetwas.
Somit wäre Literatur überflüssig. Untergegangen in der Leere vernichtender Ironie. Nichts als Überflüssigkeit von Literatur. Die endgültige Negierung. Dass man irgendwann irgendwo einmal auch manchem einzelgängerischen, verschrobenen Poeten, Spinner vielleicht, einen besonderen Wert zusprach, auch in der Literaturgeschichte, alles wie in einer fernen Vergangenheit anderer Wertvorstellungen oder in einer nie existent gewesenen Welt. Somit die Totalentwertung dessen, was Leben ausmachen kann. Dessen, was Spiel ausmachen kann. Dessen, was Literatur ausmachen kann.
Fragt sich, ob das bei Wieler in dieser Härte intendiert war. Wenn Theater so weit geht, dann solllte das überdeutlich herausgearbeitet werden. Sollte das in aller Deutlichkeit entlarvend klar gemacht werden. So weit aber ging Wieler nicht. Er siedelte in einem Dazwischen an. Interpretierbar. Auch für den Mainstream adaptierbar. Handkes Protagonistin als eine Figur in einer bloß hübschen, leichten Moderne als akzeptabler Lebensentwurf. Zum nett Beklatschen.
Abschließend nochmal Zitat aus dem Programmheft: "Becketts Texte quitieren den Bankrott jeder Revolution, jeder weltlichen Eschatologie."

www.muenchner-kammerspiele.de
Veröffentlichung: www.skug.at

Sunday, November 22, 2009

Joe Henry »Blood From Stars«
(Anti/Indigo)

Beinahe als hörte man wieder frühen Tom Waits. Und dann wieder beinahe als kreierte Waits nochmal die Atmosphäre von »Swordfishtrombones«. Beinahe sozusagen als hätte Waits seinen Namen gewechselt. Aber auch Joe Henry ist kein neuer Name in der Musikszene. Über die Jahre waren seine Veröffentlichungen mal dem Blues, mal dem Jazz, mal dem Folk näher. Und immer verwandt der Welt des Vaudeville. Ich mochte seine sehr folkigen, tatsächlich ungemein eigenständigen Alben der 90er Jahre am liebsten. Auf der neuesten Veröffentlichung »Blood From Stars« ist nun unter teilweise Langzeitmitmusikern Henrys auch ein renommierter Name wie Marc Ribot zu finden, genauso aber Henrys Sohn Levon als Newcomer. Geschaffen werden ein erstklassiger Sound, schöne Songs und Geschichten. Aber, wie gesagt: fast fatal nahe an Waits. Das nimmt mir das echte Interesse an »Blood from Stars«. Obwohl ich die Wärme, Freude und gleichzeitig aber auch tiefe Melancholie, die Henrys Songs eigentlich unverwechselbar prägen, schon immer schätze.

www.joehenrylovesyoumadly.com

Vic Chesnutt »At The Cut«
(Constellation/Alive)

Vic Chesnutt erwähnt explizit, aber gleichzeitig wie nebenbei, in »When The Bottom Fell Out« das, was man freien Fall nennt. Was dann wohl zwischen dem einerseits dramatisch, episch, pathetisch Arrangiertem mit Musikern von Thee Silver Mt.Zion, Godspeed You Black Emporer und Fugazi und andrerseits dem kargen, geradezu spartanischen, spröden Songparts zur Akustischen seiner neuen CD »At The Cut« sein mag. Dort, wo sich keine Mitte finden lässt.
Einige markant eingefügte Zitate in die Lyrics wirken beinahe als wolle sich Chesnutt orientieren an dem, was andere geschrieben haben. Als wolle er sich an Literatur anderer festhalten. Aber gleichzeitig klingt er zu souverän für genau so etwas. Dass das Leben im Rollstuhl für ihn seit seinem Unfall vor vielen Jahren immer wieder zu einem Härtetest wird, lässt sich jedoch durch sein ganzes Schaffen mutmaßen. Ausweglosigkeit, Trostlosigkeit, Finsternis lauert heimtückisch, hinterrücks oder offensichtlich. So auch bei »Chain«: »chain, chain / every gesture, Every phrase, chaine / Chain, chain / empty Hours out of phrase, chain … every shadow, every Face, Chain…« Und wie der Song »Flirted With You All My Life« mit den Zeilen »‘Lord Jesus, please I’m Ready’ / o’Death…« musikalisch todessüchtig und wie voll innerer Freude zu glühen scheint, ist irritierend abgrüdig. Genauso wie »It Is What It Is«: »i am a Monster like Quasimoto / or Caliban, the natural man…«.

www.vicchesnutt.com
veröffentlicht: www.skug.at print

Saturday, November 21, 2009

Marc Ribot, Foto: Tina Karolina Stauner, 2009

Marc Ribot's Ceramic Dog & Eszter Balint, 28.10.09, Nightclub Bayerischer Hof, München

Energetisches, offenes Experimentier- und Improvisationsfeld

Ceramic Dog, die Band des szenen- und genrewechselgewandten Gitarristen Marc Ribot mit den Musikern Ches Smith am Schlagzeug und Shahzad Ismaily an Bass und Moog-Synthesizer, sind nun nach einigen Jahren mit Touren und veröffentlichen von “Party Intellectualls” bestens aufeinander eingespielt. Die musikalische Interaktion eine Art offener Dialog. Der trotz der jetzt aber auch wahrnehmbaren Routine noch nicht unbedingt zum einschätzbaren Kommunikationsraum wird. Ceramic Dog ist mehr ein Experimentier- und Improvisationsfeld für Songs denn ein Platz für bloße Virtuosität. Das macht den Reiz aus. Zwischen vertrackten Minimalismen und grober Unberechenbarkeit, einfacher Songstruktur und forschender Improvisation, freiem Hard Rock und funkigem Free Jazz, angedeuteter Psychedelik und verspielter Elektronik ist bewusst und unbewusst alles möglich. Mit neuem Songmaterial im Set. Und Eszter Balint mit Geige und Gesang als Gast dabei. Die eigentliche Härte von Ceramic Dog tendiert dabei nun allerdings schon sehr zum Pop. Unter anderem mit dem Serge Gainsbourg-Cover “Hier Ou Demain”, aus Paris vom John Zorn-Tribut an Gainsbourg mitgebracht. Eine Art schmachtende Punkdemontage, bei der der Song nur durch gespielt schier grenzenlos naiven Charme aufgefangen wird. Die Stimme von Ribot und Balint im Duett. Zu Beginn nur begleitet von einzelnen Drumschlägen. Und einsamer Melodie. Dann Switchen in einen totalen Hardcore-Drive im zweiten Part des Songs. Höchstenergetisch diesmal ganz besonders “Break On Through”, einstmals Doorsklassiker. Sonst sind durchaus auch stranges Abdriften, abrupte Brüche, starke Stimmungs- und Dynamikschwankungen im Spiel mit Extremen in musikalischen Energien. Gerne danach beim Gespräch mit Marc Ribot noch weiter ausgelotet.

www.marcribot.com
veröffentlicht: www.skug.at

Monday, October 12, 2009

David Thomas als Ubu Roi, Foto: Tina Karolina Stauner 2009

Pere Ubu, Feierwerk, München, 08.10.09

"Bring Me The Head Of Ubu Roi" - Suspense und Punk

Die aktuelle CD von David Thomas’ Pere Ubu heißt “Long Live Pere Ubu”. Rückgriff auf die Uridee der Band beginnend mit der "Ubu Overture" führend zu besten schrägschönen Songs.

Geschichtliches zum Thema: 1885 enstand die Figur des Pere Ubu als Schülertravestie. Wurde zum Marionettentheater. In den 90er Jahren dann schrieb Alfred Jarry den Text “Ubu Roi” und 1896 kam es zur Uraufführung des Stücks. Zeitsprung. Die Band Pere Ubu wurde 1975 gegründet und existiert seitdem in wechselnden Besetzungen und mit Unterbrechungen.

Pere Ubu bringen mit "Bring Me The Head Of Ubu Roi" eine Adaption des Ubu-Materials derzeit szenisch auf die Bühne. Etwas ratlos verfolge ich den ersten Teil der Show. Da scheint ein Kaliber wie David Thomas mit seinen Bandmusikern wie dem Schülertheater nahe, ob es eine Dramaturgie gibt ist nicht zu erahnen, dafür diverse Anspielungen der einen oder anderen Art und dazu funktioniert die Technik nicht wie sie soll, was auch zur Inszenierung gehören könnte. Alles wieder Punk. Ob David Thomas zu schlecht gelaunt ist, mehr Bühnenpräsenz zu entwickeln oder ob das Bühnenfigur ist, bleibt dabei fraglich. Erst im zweiten Teil besinnt sich Thomas offenbar auf sein eigentliches Niveau und seine Ausstrahlung. Klar wird dann auch, dass das bruchstückhaft Songartige, bei dem gerade erst Begonnenes immer ziemlich schnell wieder in Textmaterial faded, Konzept ist für intendierte Wirkung. Den ganzen Abend über möchte man aber eigentlich die musikalische Kraft der Band erleben, so wie man sie kennt und bekommt davon gerade mal Fragmente inmitten von sperrigem, zynischem, dilettantisch wirkendem Theater. Mit manch eindringlichen Szenen, wie etwa David Thomas kommunizierend mit seinem eigenen Schatten auf einer Diaprojektion mit abstrakten und konkreten Bildern. Ob die Flasche, aus der er dabei trinkt, Requisit ist oder ob Thomas wirklich Alkohol in sich hineinkippt, läßt sich dabei nicht genau sagen. Und ob er manchmal wie der Schatten seiner selbst ist oder auch das gespielt ist, genauso fraglich. Zu befürchten, dass David Thomas auf dem Weg ist wie Jarry sich selber als Ubu zu zerstören? Es sind die Ebenen von Musiker, Schauspieler und der Persönlichkeit von David Thomas abwechselnd möglich und auftauchend. Dass das Stilmittel ist: willkürlich oder gezielt zwischen verschiedenen Persönlichkeiten zu wechseln und Disparates, Auseinanderfallendes aneinaneinanderzureihen, zeigt sich völlig, als gegen Ende der Aufführen sich auf einmal doch und wie überraschend Gesamteindruck entfaltet. Doch frage ich mich, warum David Thomas sich nicht mit einem guten Regisseur zusammengetan hat um das Ganze auf eine größere Theaterbühne zu bringen. Und zwar perfekt. So hätte ich es gern gesehen. So aber war es ein Abend für etwa 50 Insider. Und vielleicht soll es auch genau das sein. In der Tradition der Independentszene. So wie ich es über die Jahre immer wieder erlebt habe. Und manchmal auch vermisst habe, als es gerade nicht zu finden war.
Als Zugabe legen Pere Ubu dann in gewohnter Bandmanier los. Was man sofort genießen kann. Und fast Garage wie zu alten Zeiten. Wobei aber auch wieder klar wird, dass die Aufführung eigentlich eine Nummer zu klein war für den im Grunde großen David Thomas. Der relaxt plaudernd nach der Show erscheint und offenbar also auf keinem Selbstzerstörungstrip ist. Sondern einfach Lust hat mehr denn je mit den Mitteln der Inszenierung zu spielen.

www.ubuprojex.net

veröffentlicht: www.skug.at

Thursday, September 10, 2009

Jazzfestival Saalfelden 29./30.08.2009: Legenden des Free Jazz und neue Extremästheten - Rova Orkestrova & Elliott Sharp und Ornette Coleman Quartet

Ungewohnte Hörerfahrungen, Innovation, Risiko statt Stillstand versprechen Ende August die Veranstalter zum 30-jährigen Bestehen des Jazzfestival Saalfelden für vier Tage auf vier Bühnen. Saalfelden im Pinzgau, meist gemütlichstille Bergkleinstadtidylle, wird zu einem Mittelpunkt der Jazzszene. Ein Aufeinandertreffen von Insidern, Kennern, Fachleuten, Neugierigen, Mainstream, Independent, Avantgarde, Prätentiösem, Alternativem. Die Möglichkeit von Freiheit und des Grenzenlosen werden an Radikalästhetischem in Neo-Free Jazz und Improvisation ausgelotet mit der Programmreihe shortcuts im Kunsthaus Nexus. Man begegnet sich aber auch locker gesellig mitten auf’m Rathausplatz bei der citystage oder speziell abgelegen auf der Steinalm.
Ich treffe NYC-Downtown-Multiinstrumentalisten und Komponisten Elliott Sharp, der mit einer seiner eigenen Formationen namens Carbon und bei Rova Orkestrova präsent ist und sich nie oberflächlich Kommerziellem annähert, in der Bar der Vip-Lounge. Er, schwarzgrau gekleidet wie immer, seinen obligatorischen Espresso bestellend, sagt über Saalfelden: “Es ist jedesmal ein willkommenes Umfeld - das Publikum ist extrem offen, wie ein Mischung aus alten und neuen Feunden. Man merkt, dass die Leute wirklich zuhören. Damals als das Festival im Zelt auftauchte war es eine wilde Partie. In den Veranstaltungsräume jetzt ist es gebändigter, aber eine Verbesserung fürs Zuhören.”

Am Wochenende beobachte ich die mainstage im Congresshaus, schickes Festvalzentrum. Zum einen mit der Intention meine Aufmerksamkeit zwei Legenden des Free Jazz zu widmen: Ornette Coleman himself. Und einer Neuinterpretation John Coltranes von Rova Orkestrova. Aber zum andern natürlich mit im Fokus weiter sich bietende Facetten und Tendenzen. Größte Spannweite also von elementarer Free Jazz-Geschichte bis hin zu neuesten Experimenten.
Um gleich einmal das Spektrum näher zu benennen: Steven Bernsteins “Diaspora Suite” ist Zersplitterung aber auch Ineinanderfließen von Spielformen, perfekt und höchstenergetisch. Mit Ben Goldberg , Devin Hoff, Scott Amendola in der Gruppe. In eine Art freie Lässigkeit mit Destruktionstouch führt die Improvisation des Oliver Lake Reunion Trio. Das Erik Friedlander Broken Arm Trio betont offenes Terrain für kammermusikalische bis jazz-experimentelle Cello-Subtilität. NYC-Spoken Word und Bluesstimme von Eric Mingus trifft in “Room” auf den österreicher Saxophonisten Wolfgang Puschnig. Ein Eintauchen in die Atmosphäre stranger Leichtigkeit vermittelt Jim Pugliese’s Big Easy. Ungemeine Kraft einer Kombination von Punk, R ‘n’ B und Free Jazz bieten Getatchew Mekuria & The Ex.

Am frühen Samstag Nachmittag sind Rova Orkestrova die Opener. Der Himmel ist zu, grau. Temperatursturz. Große, weiße Wolken liegen fast auf dem Talboden Saalfeldens. Der Congress ist schon nachmittags lebendiger, gut besuchter Treffpunkt. Von einem Moment zum andern gerate ich aus der Ruhe dieses eiskalten Gebirgstags in die geballte, aufgeladene Wucht des als Klangzunami angekündigten Rova:Orkestrova’s Electric Ascension. Neuversion von John Coltranes orchestraler Kollektivimprovisation
“Ascension” aus dem Jahr 1965. Von Rova bereits 2005 auf CD veröffentlicht. Rova sind das Rova Saxophon Quartet bestehend aus Larry Ochs, Jon Raskin, Bruce Ackley und Steve Adams, die seit 1977 in Zusammenarbeit mit diversen Musiken und mit Basis in San Franzisko präsent sind. Für “21 Century Coltrane” sind in Saalfelden dazugekommen Chris Brown, Andrew Cyrille, Trevor Dunn, Peter Evans, Jason Kao Hwang, Eyvind Kang, Ikue Mori, Zeena Parkins, Elliott Sharp und bilden ein dichtes Klanggewebe mit Raum für Experimentelles und Improvisation. Elektronik, Streicher und E-Gitarren erweitern die Bläser zu orchesterhafter Dichte und Dimension, die wie ein fester Klangblock wirkt voll berstender Energie. Jedes Instrument offenbar in der Intensität gleich präsent. Man nimmt nicht Einzelheiten wahr, sondern die Musik als ein Ganzes. In der die Individulität der Beteiligten wie transzendiert wird. Frei von jeder Hierarchie. Das läßt im Grunde auch an Ornette Coleman denken und seine Theorien. Ist aber sehr viel härtere als die harmolodische Eigenart. Und steigert sich bis zu extremster Lautstärke.
Elliott Sharp sieht das parallel zu anderen Entwicklungen in freier Musik, stochastischen Prozessen, elektronischer Musik und musique concrete, offenen Partituren, Unbestimmtheit - allen Bewegungen, die zusammen Soundmaterialien befreiten.
Coletranes “Ascension” entstand nach dem Ornette Coleman Anfang der 60er Jahre in New York zur zentralen Figur geworden war. Während sich dieser dann 63 bis 65 zurückgezogen hatte, setzte sich Coltrane nach den Quartett-Einspielungen “A Love Supreme” und “Crescent” mit “Ascension” in Szene. Mit einem Gruppenensemble mit u.a. Archie Shepp, John Tchicai unter den elf Mitgliedern um die bisherige Dimension seiner musikalischen Arbeit zu sprengen. Auf dieses Spätwerk, freier als die konservativ-spirituellen Anfänge, bezieht sich Rova Orkestrova. Elf Musiker, die geradezu eine ohrenbetäubende, orchestrale Klangmacht bilden können, die sich aber auch aufspaltet zu durchlässiger Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit durch Betonung und Exponierung von Soli, Duos, Trios. Markant Sharps Gitarrenbass im Duo mit der Trompete von Evans. Poetisch ein Violin-Viola-Duo von Hwang und Kang. Cyrilles Schlagzeug, oft fast wie ein Element Lockerung inmitten von totaler Härte. Manches Instrument taucht inselartig im Orchester auf. Parkins Harfe kann sich dazu nicht selten aufs Eigenwilligste einklinken. Parkins, eine der wenigen Musikerinnen beim Festival. Mehrmals aber formt das Orchester aus dem historischen Material des Free Jazz unter bis an die Schmerzgrenze anschwellender Lautstärke eine Art Klangwand reinsten Noises mit Gleichberechtigung aller Spieler. Gelegentlich wird fragmentarisch originalgetreu zitiert inmitten von Sound, den man futuristisch nennen kann. Um Werktreue geht es nicht. Aber doch um Traditionsbezug. Wäre Coltrane noch am Leben, er hätte dasselbe getan, so Larry Ochs.
Damals wie heute ist “Ascension” eine radikale Aussage außerhalb des mainstreamcompatiblen.
Coltrane wagte einen Schritt in ungewohnte Sphäre. Rova Orkestrova bieten selten Krasses.
Freigeister jenseits allen Multikultigeredes. Denen auch fundierte Studien fremder Kulturen, Neuer Musik und Kunst vertraut sind. Für die Musik eine unkorumpierte Aussage im weltgeschichtlichen Diskurs zu sein hat jenseits des billig Konsumierbaren.

Blau überspannt am Sonntag wieder den sommerwarmen Bergort. Ich verbringe Zeit fast wie chillend, relaxt in Sets mit zumeist eher Feinnervigem hineinhörend. Zwischendurch begegnen wir Journalisten den Musiker auf dem Balkon der Lounge in der Nachmittagssonne. Ich plaudere mit Eric Mingus, dem Sohn von Charles Mingus. Stimme mich ein auf das konzentrierte Hören des Festival-Mainacts: Ornette Coleman.
Coleman, der 1960 mit der Veröffentlichung von “Free Jazz” als Neuerer auftrat, startet seinen Auftritt zum Festvalabschluss fast lyrisch, sentimental Wechselt im ersten Stück zwischen Saxophon und Trompete. Später auch einmal zur Violine neben einem Bass wie bei einer Cellosuite.
Im lilafarbenen, feinrotgestreiften Anzug und schwarzen Basthut, ist der schmächtige, fast 80-jährige Mann, lebende Autorität des Free Jazz, im Zentrum der Bühne und koordiniert ein Spiel, das in seine gesamte Werkgeschichte führt. Mit ihm in der Formation die Bassisten Anthony Falanga und Al McDowell und seine Sohn Denardo Coleman am Schlagzeug. Ein Quartett. Coleman arbeitet damit an sein Original Quartet der 60er Jahre zu erinnern, genauso aber auch die Zeit von Prime Time anzudeuten und begibt sich natürlich ebenso in sein jüngstes Material. Die Übergänge sind wie fließend. Das harmolodische Gedankengebäude besteht im Grunde von Anfang an in Colemans Arbeit, auch schon im Original Quartet, wurde aber erst etwa 1972 zu Prime Time theoretisch mit Worten artikuliert und diskutiert Der Grundgedanke ist eine Synthese aus ‘harmony’, ‘movement’ und ‘melody’ bzw. “melodic“, daraus entsteht die Formel ‘harmolodics’’ als ein offenes Spiel. Bei dem die Improvisation Form schafft. Auch in Saalfelden ein sich stets veränderndes Klangbild. Immer wieder werden in diesem Ineinandergehen von Soundflächen und Soundlinien Motivkürzel eingefügt, die betont oft wiederholt werden. Auch Denardo Colemans Schlagzeugarbeit ist davon geprägt. Kann einfühlend zurückhaltend sein, genauso wie härtest Strukturieren und Vorwärtstreiben . Coleman verlangt vom Musiker wie vom Zuhörer extreme Hörfähigkeit, Bereitschaft zu besonderem musikalischen Denken. Wobei das Ganze mittlerweile etwas gezähmt wirkt, da nicht mehr neu, nicht mehr alternativ, längst den Hörgewohnheiten vieler vertraut. Aber an Ausstrahlungskraft hat der Charismatiker aus Fort Worth Texas nichts eingebüßt. Sicher hat sich sein Spiel etwas verändert. Weniger Widerspenstigkeit, sondern eine unglaubliche Wärme geht davon aus. Auch im Dissonanten, Atonalen. Coleman soll ja Kreativität als soziale Botschaft bezeichnet haben, von Beginn an als Visionär von Weltverbesserung gesprochen haben. “Harmolodic meint nicht nur Musik. Sie existiert auch im menschlichen Körper, in dem Sinne, wie das Nervensystem mit dem Wissen korreliert. Es ist ein Weg wahrzunehmen, wie alles auf alles einwirkt.“, sagte er vor wenigen Tagen.
Harmolodic ist zeitlos, ständig in Wandlung begriffen. Mit Potential, das eine Weltphilosophie birgt. Velleicht wie der CD-Titel „Sound Grammar“ von 2006 sagt eine Art Grammatik. Für ein musikphilosophisches Programm als Entwurf zu herrschaftsfreiem Diskurs, Kollektivität.

Coleman zeigt sich nach dem Konzert kommunikativ in der Lounge. Wir wechseln zwanglos ein paar Worte über harmolodics.

www.rova.org
www.jazzsaalfelden.at
Fotos Coleman Saalfelden


veröffentlicht in veränderter, gekürzter Version, die mir zu sehr vom Original abweicht bei
www.jungewelt.de
veröffentlicht im Original: www.skug.at
www.satt.org

Tuesday, August 25, 2009



Doug McCombs, John McEntire, Tortoise
Fotos: Tina Karolina Stauner, 2009

Tortoise, Ampère, München, 20.08.09

Konzertimpressionen

Tortoise sind ein Puls. Konstant. Antreibend. Ein Doppelpuls. Denn eigentlich wie mit dem Strang einer Parallele im Inneren. Immer wieder doppelt eingesetzt die Instrumente. Die Slideshow an der Bühnenrückwand symmetrisch. Ein größeres Bild in der Mitte, zwei jeweils seitlich.
Tortoise, ein Klassiker. Sphärische Gitarren-Akkorde aus diversem Jazz, stark aus Fusion, leider einerseits - aber doch bestens funktionierend, auch mit jazzigen Marimbas, Leichtigkeit von Dub-Feeling, treibend Bass und Schlagzeug trockener Härte. Es ist collagen-, schichtartig, repetetiv Instrumentales. Seit den Anfängen Post-Rock genannt.
Tortoise sind freischwebend. Hat man in vergangenen Jahren verstärkt den Sound New Yorker Bands gehört, Neo-Postrock sozusagen,, Noise mit Strukturalismus, Minimalismus, mit dem sich leicht Düsternis, Abgrund assoziieren läßt. Namens Battles, Black Dice. So ist Tortoise aus Chicago verglichen damit souveräne Leichtigkeit, coole Helligkeit. Da Tortoise über ein halbes Jahrzehnt kein neues Instrumentalbum mehr veröffentlichten, hat man verstärkt New Yorker Bands gehört. Oder auch Wolf Eyes mit Bezug zu Michigan, Detroit, New York.
Tortoise beziehen sich im letzten Teil des Sets auf einmal wie explizit auf die härtere New Yorker Szene. Die Slides zeigen dabei leuchtendrote, wirre aber geometrische Architekturmetallverstrebungen. Das Ganze nur wie eine vorübergehende Andeutung. Bei den Zugaben aber greifen sie dieses Begonnene fast hardcoremässig nochmal ausgibig auf, wie man es von ihnen vorher kaum hörte. Tortoise können abgründige Tiefe und Härte haben, statt Fusion Free Jazz nahe sein. Doch sind bewusst hauptsächlich von einer betonten Leichtigkeit. Nicht wirklich Oberflächlichkeit. Aber frei von jedem Balast.
Tortoise zeigen Bilder. Slides mit Mustern, Porträts, Architektur und Natur. Viel Design. Und auch Kunst. So ist auch ihre Musik. Wie Design. Doch immer wieder auch Kunst.
Tortoise starten und beenden die Show mit Tracks aus ihrer neuen CD ”Beacons Of Ancestorship”. Und gehen während des Sets zwischen neuem Material in ihre Werkgeschichte.
Tortoise sind wie ein Flug. Man hat ein Ticket, steigt an einem Ort ein, an einem anderen Ort aus. Der Set im Ampère ist ein knapp Zweistundenflug.

www.trts.com

veröffentlicht: www.skug.at

Thursday, August 20, 2009

Bill Callahan “Sometimes I Wish We Were An Eagle”
(Drag City / Rough Trade)

Romantizismen sind Romantizismen sind Romantizismen - Callahan, aktuelle CD und Konzert am 09.08.09 im Ampère in München

“Sometimes I Wish We Were An Eagle” ist mit Streichern und Bläsern angereichert, die irgendwo mit der Welt konservativer Kammermusik in Berührung scheinen. Dem Songwriting, zwar mit einfacher Band aber der Extraklasse, ist wie eine Parallelwelt eine romantische Pseudo-Klassik hinzugefügt. Wie Bill Callahan, ehemals Smog, damit umgeht, kann faszinieren. Kann. Denn schon anfangs bei ”Jim Cain” ist das Ganze eine hohe Konzentration zu süßlich. Es ist immer Callahans markant-tiefe Stimme, wie klarer, harter Realismus, die alles doch nicht zu kitschlastig werden lässt. Und seiner poetischen Sprache überzeugende Griffigkeit gibt. Nach mehrmaligem Hören wünsche ich mir zunehmend die üppigen musikalischen Arrangements weg. Denn wirklich hochgradig Feinsinniges, wie “Rococo Zephyr”, ist umgeben von manch fast böser Überdosis Kunstsong. Mit Ausnahmen wie dem stark rhythmuslastigen “All Thoughts Are Prey To Some Beast”.
Schon immer gelingt Callahan einen mit Worten echt im Innern zu treffen. Die Seele. Oder so etwas. Das ist seine Stärke. Etwa mit “Too many Birds In One Tree”: “…If - If you - If you could - If you could only - If you could only stop - if you could only stop your - If you could only stop your heart - If you could only stop your heartbeat - If you could only stop your heartbeat for - If you could only stop your heartbeat for one heart - If you could only stop your heartbeat for one heartbeat.” Mehr als hübsche Wortspielerei, lässig-leicht umspielt von edler, sanfter Wehmütigkeit.
Im Konzert, Chello und Violine auch hier die Band ergänzend, bricht erfreulicherweise doch öfters forciert Rockrhythmus durch. Callahan dabei manchmal mit geradezu tänzelnder Leichtigkeit in der Anspannung. Und schließlich gegen Ende der Show bewusst rückgreifend werdend mit “Coldblooded Old Times”: “…how can I stand and laugh with the man who redefined your body…”. Sich das Wort “redefinieren” klarmachend recherchiert man im Internet Sätze wie: “Täuschung und Beeinflussung - Das "Redefinieren von Worten" und das "Wortklären" sind Methoden der Beeinflussung und der Täuschung sowohl von Anhängern, als auch der Öffentlichkeit. Täuschung durch Umdefinieren von Begriffen und damit durch schleichende Zerstörung von Wertvorstellungen, die der Alltagskommunikation ebenso zu Grunde liegen, wie der Sprache der Wissenschaft und des Rechts.“
Callahan, das ist die überzeugende Qualität von Lyrics und die Macht schöner Melodien. In welcher Bandbesetzung auch immer man ihn erlebt. Ich frage mich allerdings, warum er nicht beim Schnörkellosen, bei dem er vor einem Jahr war, geblieben ist. Wäre mir lieber. Denn Romantik und Verfall sind sich nicht ganz fremd.

veröffentlicht: www.satt.org

Wednesday, July 29, 2009

Crosby Tyler “10 Songs Of America Today”
(Bohemia Records)

“…but to understand the future of America, one needs to understand Los Angeles.” (Crosby Tyler)

Souveränes L.A.-Songwriting.
Crosby Tyler ist ein hierzulande fast unbekannter Songwriter, der Größe ausspielt. Dass ihm dies gelingt verdankt er aber wohl einer weiteren, keinem breiten Hörerkreis vertrauten Songwritergröße der L.A.-Szene: Peter Case. Der Tyler produzierte.
Mit “10 Songs..." hat Tyler die besten Karten in der Hand. Jeder Song ein Trumpf, ein Stich klassischen Songwritings. Hinein spielt exzellentes Tex-Mex-Flair und perfekte Bläserarrangements mit manchmal Mariachi-Touch. Manch markante Trompeten- und schwermütige Violinmelodie. Und das Entscheidende ist selbstverständlich, dass Tyler in jedem Moment zu akustischer Gitarre und Lyrics der besonderen Art fähig ist. Gespür für erstklassige Balladen spiegelt besonders “Warmth Of My Tears” wider. Aber Kleinod jeder Song der CD. Lobeshymne auf Taylers “10 Songs…” also. Weil in sich total stimmig und völlig ohne Schwächen. Vielleicht eine Idee zu eingängig durcharrangiert und durchdacht, zu wenig sperrig. Und doch wird Tyler nicht vom Mainstream aufgesogen werden. Ausnahmeaußenseiter-Songwriterexistenz, die er darstellt. Elitär als eigenwilliger, spezieller Charakter.

www.crosbytyler.com

Monday, May 25, 2009

"Montagsgespräche" - "...die Materialisierung der Intelligenz, die in den Klängen ist." (Edgar Varèse, Hoené-Wronski)

"Musik und Materie" ist die aktuelle Bezeichnung der Reihe "Montagsgespräche" der Echtzeithalle in München. Hinweis an ein dualistische Prinzip wie von Descartes zu denken? Anstoß einem Gedankensprung nachzugehen zu Henri Bergson und seiner Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist mit Titel "Materie und Gedächtnis"? Bergson: "Der Geist entnimmt der Materie die Wahrnehmungen, aus denen er seine Nahrung zieht, und gibt sie ihr als Bewegung zurück, der er den Stempel seiner Freiheit aufgedrückt hat."
Ein Kreis von Insidern besucht regelmäßig die Montagstermine. Fast könnte man auf den Gedanken kommen, es handle sich um eine Art geschlossene Gesellschaft. Über die Personen im so lautenden Sartredrama heißt es: "Sie können weder voneinander lassen, noch voreinander fliehen...Die Hölle, das sind die anderen". Die "Montagsgespräche" jedenfalls als Demonstrationen für Leben, Überleben in der freien Szene. Stattfindend im Carl Orff Auditorium der Hochschule für Musik und Theater. Jedoch ist es nicht die Generation der Studenten, die auch bei den Veranstaltungen erscheint. Die Besucher setzen sich hauptsächlich zusammen aus individualistischen Musikern, Künstlern, Wissenschaftlern, Theoretikern etc., die teilweise dann auch wieder selber ihr Projekt im Kontext "Montagsgespräche" vorstellen und diskutieren.
Der Initiator Wolf-Dieter Trüstedt, Musiker und Physiker, bringt seit dem Jahr 2000 in dieser Reihe Neue Musik, Text und Bild in Performances auf die Bühne. Dieses Jahr, Edgar Varèse und Hoené-Wronski zitierend, mit dem expliziten Hinweis: "(Musik ist) die Materialisierung der Intelligenz, die in den Klängen ist." Oft werden mehrere Miniaturen an einem Abend vorgestellt. Es sind aber auch manch einstündige Projekte darunter. Trüstedt selber nannte das Musik-, Meditations-, Aufführungsübungen, nicht eigentlich ein Konzert sondern eine offene Form.
Tatsächlich haben die Stücke oft den Charakter eines Spiels mit künstlerischen Mitteln. Die verbalen Ausführungen dazu sind zwischen Plauderei und Theorielastigkeit wie zum Manuskript einer Vorlesung gehörend. Jeweils einstündigen Aufführungen folgt ein einstündiger Gesprächsteil. Manchmal wähnt man sich wie in einem Praktikum. Ein Praktikum für die große Form Musiktheater vielleicht. Und immer gibt es auf der Website der Echtzeithalle dokumentierend Berichte, Begriffserklärungen, Fotos.
Eine Farb-, Form- und Tonspielereien kann wie folgt sein: Trüstedt klickt in "Teiltonfelder", musikalisch aufgeführt mit Andhi Pabst, am Laptop an, was als großformatige Wandprojektion zu sehen ist: Kreuzformationen in einem Kästchenfeld. Eine nach der anderen. In X-Form. Wie ein griechisches Kreuz. Mit einer Lücke als Mittelpunkt. Wie ein Grabkreuz. Immer drei gleiche nebeneinander. Etwa hellblaue Kreuze auf gelbem Grund. Einmal klickt er daneben und verharrt in einer ausgedehnten Pause. Das Bild kein Kreuz sondern eine freie Form. Im späteren Gespräch ist die Rede von einem Fehler im Spiel, der weiterführte. Manches scheint für Eingeweihte zu sein in dieser Runde.
Meine erste Frage zum Thema Sprache an Trüstedt: "Laurie Anderson verwendete in ihrer Arbeit den William S. Burroughs-Satz: "Language is a virus from outer space." Was fällt ihnen dazu ein?" Die Antwort fast als wäre sie nicht auf diese Frage: "Musik sitzt sehr tief im Menschen. Meine Musik kommt nicht aus dem bürgerlichen Abendland, sondern eher aus dem Osten, China, Japan - nicht die abendländischen, gleichmäßigen Rhythmen und eine Musik, die aus der Sprache abgeleitet ist - sondern viel komplexer und stark klangorientiert, das liebe ich, die Musik des klassischen Chin (oder Qin, siehe "The Lore of the Chinese Lute" von Van Gulik, 1940/1969). Das ist offenbar in meinen Genen tief verwurzelt, d.h. genetisch verankert. (Bekanntermasßen werden 90 Prozent der menschlichen Gene nicht verwendet. Da ist die gesamte Menschheit untergebracht. Warum nicht auch uralte Vorfahren, irgendwelche Mongolen, keine Ahnung - oder doch? )."
Trüstedt ist also die Musik entschieden wichtiger als die Sprache. Und eigentlich verlangt der Klang seines Instruments Chin,
bei dem elektronisch verstärkte Saiten mit einem Computerprogramm vernetzt sind, nicht nach Worten sondern nach meditativem Schweigen.
Ich frage weiter: "Was bedeutet es für den Künstler/Musiker, wenn er unmittelbar nach der Aufführung sein Werk erklärt und diskutiert? Wie haben sie das beobachtet und wie ist es ihrer eigenen Erfahrung nach?" Und erhielt folgende Antwort:: "Über die Musik selbst kann man nach einer gelungenen Aufführung nicht sprechen. Da kommt eher die bekannt "Aufführungsdepression", vielleicht ein weit weg sein, wie das Zurückkommen von einer Fahrt in sehr entfernte Gefilde, man/frau findet dann das eigene Land eher merkwürdig etc. Über technische Details kann man/frau sehr gut nach dem Konzert sprechen und diskutieren, ob es interessante Ereignisse gab oder lustige Fehler etc. Auch über Details der Komposition lässt sich reden, über Schwierigkeiten der Umsetzung - das ist wirklich alles vergleichbar mit einer weiten Reise. Man spricht über das Wetter etc. Tiefer gehende Dinge stehen ohnehin in den ankündigenden Texten zu den Montagsgesprächen. Das brauchen wir nicht zu wiederholen. Die Diskussion ist eher eine Lockerung, ein Gliederschütteln, ein Gedankenschütteln ..."
Es geht den Montagsabenden nicht nur um die Kraft der Musik sondern es kann genauso die Macht der Bilder und Farben fokusiert werden. Wie In "Algonquin". Für den dazugehörigen Flash-Film "Hommage an Rupprecht Geiger" erhielten die Musiker Klänge in den Farben des Filmes: gelb, orange, hellrot, mittelrot, weinrot und magenta. "Die synästhetische Forschungsfrage war: klingen die Farben in ihrem Zusammenspiel so wie die Stimmung des Filmes oder wie sollten die Klänge kompositorisch und ästhetisch umgeformt werden, um ein ganzheitliches Kunstwerk zusammen mit dem Film zu bilden?", so die Mitwirkende Christine Söffing von der Synästhesiewerkstatt Ulm. Ergänzend Trüstedt: "Der Klang entfaltet sich als Musik. Wir hören den Klang als Keimzelle und ahnen seine Musik. Während die Musik sich ausbreitet, entstehen Assoziationen, latent oder deutlich. Ein zugeordnetes Bild, der Aufbau einer Handlungschoreographie kann die inneren Bilder bahnen oder im Zaum halten, eine Mitteilung bewerkstelligen oder die inneren künstlerischen Ideen bedingen...."
Inhaltlich und formal bewegt man sich immer wieder auch in der Moderne nicht nur der Postmoderne. Oder blickt noch weiter auf Geschichliches zurück. Interpretierend, inszenierend. Und geht dann teilweise mit Aufnahmen, Laptop, Sampling auf zeitgemäß-experimentellerem Terrain dazu oder dazwischen. Oder mit Improvisation. Es kann auch auf der Bühne komponiert und notiert werden. Möglich ist alles. Aber extrem eher weniger. Verspielt viel. So auch der Tanz "Rückmeldung" von Sonja Hafenmayer. Der dann aber doch tendenziell auf Härte verweisend endet. Reflektion durch die Echtzeithalle darüber: "Vielleicht begegnen sich die beweglichen Tonkörper und der sich bewegende Handlungskörper im Raum. Der Handlungskörper berührt die Klänge im Raum und die Klänge berühren die Bewegung im Raum."
Das Thema der nächsten Serie "Montagsgespräche" ist schon angekündigt: "Musik aus dem Niemandsland". Trüstedt dazu: "Musik im vollen Kontext von Kunst und Wissenschaft. Es werden 15 Montagsgespräche über das ganze Jahr 2010 verteilt. Das Thema - eigentlich eine uralte Sache bis das Abendland die Mehrstimmigkeit und das wohltemperierte System erfunden hat. Niemandsland - das Land, das weder die jetzige Musik noch die jetzige Wissenschaft betritt. Es gibt zwar der eine oder andere Ansatz (Ligetis Fraktale oder die Sonifikationen einiger Wissenschaftler) aber jede Sparte traut sich nicht voll in das unbekannte Gebiet, jede Sparte betont, dass sie weiterhin voll in der Musik stehe (im akademischen Sinn) bzw. streng wissenschaftlich arbeitet. Wir werden beide Bezüge loslassen und das suchen, das zwischen den Disziplinen steht, um vielleicht eine neue, unbekannte Welt zu finden (z.B. die Biochemie hat das geschaft und eine vollkommen neue Disziplin entwickelt, die nicht Biologie und nicht Chemie ist). Die Teilnehmer der Montagsgespräche werden vor allem Künstler sein (d.h. nicht Musiker, die nur auf ihrem Instrument zu Hause sind und nicht Komponisten, die nur ihren Systemen trauen) und es werden Wissenschaftler sein, die den Mut haben, über ihre Systeme hinauszudenken - ohne Seil und Haken. Ich glaube, das wird für beide Seiten von Nutzen sein. Kleines Beispiel: Einem Querflötenspieler brachte ich das Spiel auf der Shakuhachi (Zen-Flöte) bei, mit dem Resultat, dass er seine Querflöte nicht mehr spielen konnte. Nach weiteren 2 Wochen sagte er mir, dass er seine Querflöte plötzlich so anders, so lebendig, so farbig spielen kann, wie er es sich vorher nicht erträumen konnte." Kleine, eigenständige Insel im Niemandsland?
veröffentlicht: www.musikderzeit.de

Friday, April 24, 2009


"Hirnforschung und Meditation. Ein Dialog.", Wolf Singer und Matthieu Ricard, Suhrkamp, edition unseld, 2008

Sich gegenseitig bespiegelnde Gehirne

In mehrerlei Hinsichten und auf verschiedenen Ebenen wurde China zum Interesse vieler. Also auch offene Türen für oberflächliche Esoteriker beim Thema Buddhismus und Meditation. Genau deshalb versuchen dem auf den Grund zu gehen: Mit dem Buch "Hirnforschung und Meditation.Ein Dialog." von Wolf Singer und Matthieu Ricard lässt sich manches näher definieren. Und dabei ist auch hinterfragbar, was es bedeuten kann, wenn Begriffe wie "besserer Mensch" und "Welt verändern" ins Spiel gebracht werden.

Wolf Singer, einer der weltweit führenden Hirnforscher, und Matthieu Ricard, buddhistischer Mönch und ehemaliger Molekularbiologe, trafen ab 2005 mehrmals und auch in Gegenwart des Dalai Lama in Diskussionen aufeinander. Begegneten sich in Frankfurt und Katmandu weiter zu einem Dialog, aus dem Teile für das Buch "Hirnforschung und Meditation" ausgewählt wurden. Die Qualität der Fragen, mit denen Singer in den Wortwechsel geht, bringt den Text sofort auf ein spannendes, relevantes Niveau. Allerdings ist wie Ricard in Bildern, Metaphern spricht, der Art anspruchsvoller Literaten oder eigentlich Maler nahe, ein entsprechendes Gegenüber. Zu vermuten ist, dass Menschen, die sich für dieses Buch interessieren, mehr dem Personenkreis des Singer-Umfelds zuzurechnen sind. Die Meditation bringt man weniger leicht mit so einer Diskussion in Verbindung. Will sie das überhaupt? Vielleicht sollte sie sich sogar davor schützen. Die Worte der beiden werden aber doch sowohl auf Seite der Hirnforscher als auch auf der der Meditierer von Wert sein. Singers vorerst letzte Sätze in diesem Kontext sind: "...Mir ist, als stünde ich jetzt vor sehr viel mehr Fragen über das Wesen und die Wirkung meditativer Praktiken als zu Beginn dieser Unterhaltung, und das ist gut so...". Eher vermessen wirkt Ricard zum Abschluss: "...Lass uns also dieses Gespräch mit einem Satz der Hoffnung und der Ermunterung beenden: "Andere dich selbst, um die Welt zu ändern." Wer waren die gleich wieder, die von Weltveränderung sprachen? Oder ginge das ganz einfach mit Gehirnarchitekten, die Hirnwellen manipulieren und konstruieren und das Wissen und Programme der Welt verwalten?
Nicht so leicht veränderbar wird jedenfalls die Meditation sein, nicht nur Teil einer Religion, sondern, so Ricard, Wissenschaft des Geistes und Weg zur Transformation. Und zwar seit über 2500 Jahren. Auch die Hirnforschung begann schon in der Urzeit. Westliche Psychologie hingegen gibt es erst seit einigen 100 Jahren.
Die Frage ist, wie zeigt sich das intellektuelle Abenteuer Meditation in der Konfrontation mit der Hirnforschung, einer Wissenschaft, bei der es sachlich um Energieerhaltungssätze geht, die nichts Immaterielles, rein Geistiges berücksichtigen können.

Auf welches Terrain man sich in diesem Diskurs begibt, kann jedem schon wenn er einfach zugängliche Informationen über Singer im Netz liest, klar werden: Singer lehnt die Rede vom freien Willen ab. Er argumentiert, das naturwissenschaftliche Kausalmodell, nach dem die Welt als geschlossenes deterministisches Ganzes anzusehen ist, schließe Freiheit aus. Wenn naturwissenschaftlich gesehen niemand frei entscheiden könne, sei es nicht sinnvoll, Personen für ihr Tun verantwortlich zu machen. Gesellschaftlich untragbare Personen müssten "weggesperrt“ und "bestimmten Erziehungsprogrammen“ – so weiter wörtlich – "unterworfen“ werden. Das scheint dann leider jede Nivellierung zu forcieren. Dieser fügt sich aber auch, wie Ricard zu Beginn des Dialogs von Gefühlen, Stimmungen, Wesenszügen spricht, die zu transformieren seien um die am tiefsten verwurzelten Neigungen zu beseitigen, die einer optimalen Lebenseinstellung entgegen stünden. Konfliktbeladene Emotionen können ihmzufolge als eine Zeitbombe gesehen werden. Schon da spricht dann der Einwand in fragender Form, den Singer anbringt, für Singer: "Warum soll, was uns die Natur mitgegeben hat, a priorie schlecht sein, und spezieller mentaler Übungen bedürfen, um eliminiert zu werden?" Während er aber sofort diese "nugget of gold", von Ricard jedem als reinem Kern zugesprochen, verbal angreift.
Wer ein Potential der positiven Veränderung für möglich hält und will, wird wohl weiter lesen. Daran denken, Möglichkeiten auszuloten aufgrund einer Notwendigkeit von Weiterentwicklung in so Manchem. Die wiederum wissenschaftlich gesehen in den synaptischen Verbindungen zwischen Neuronen stattfindet. Die Frage ist allerdings die Art, Qualität von Veränderung. Auch neurowissenschaftlich gesehen ist das Gehirn ein soziales Organ. Und man befasst sich auch mit den sogenannten Qualia, dem phänomenalen Bewusstsein und subjektivem Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes.

Ich höre in meiner Erinnerung den den Kontrapunkt und Minimalismen erforschenden Komponisten Moondog, der ein meist unkonventionelles Leben in Extremen zwischen Obdachlosigkeit und Erfolg lebte, die Worte sagen: "Quantity in life we have but not quality."
Einen Dialog wie "Hirnforschung und Meditation" muß man wohl auf die Seite rechnen, auf der nach Qualität gefragt wird. Wichtige Anhaltspunkte und Informationen werden herausgearbeitet. Aber da gibt es auch Untiefen. Während das Gespräch zunehmende Spannung und Mitteilkraft in sich birgt, sagt auf einmal ein ganzes Kapitel wie "Magische Augenblicke" nur aus der Sicht von Ricard bloß Allgemeines aus. Hingegen wird beispielsweise unter "Aufmerksamkeit" ein Fachbegriff wie "attentional blink", die Unfähigkeit schnell aufeinanderfolgende Bilder wahrzunehmen, anschaulich und detailiert erläutert.

Von ähnlicher Schönheit und Klarheit wie Haikus sind die Visualisierungen, die Ricard einbringt: "...Eine Flamme braucht keine zweite Flamme um sich selbst zu beobachten. Ihr eigenes Licht reicht dafür aus. Was ich sagen will: Man kann seine Gedanken betrachten..." Oder als Vergleich: " Die tiefsten Stellen des Ozeans sind nicht verschieden von den Wellen, doch sie werden nicht von ihnen beeinflußt." Unerschütterlich doch fast unrealistisch sein Idealismus, sein Glaube an Liebe, Güte, Glück, Weisheit. Wobei er aber das naive Bild, das im Westen vom Meditieren vorherrscht, korrigieren will. Die Position des Bewußtseinstrainings wirkt dabei angreifbar. Schon allein, weil man angesichts der Realität, die einem im Leben und in den Medien begegnet, an eine Zukunft in einer zunehmend guten Welt nicht so leicht zu glauben vermag.
Vielleicht sind die Begegnungen von Singer und Ricard jedoch für die überlegen wirkende Hirnforschung notwendiger, als für die echten Buddhisten, die ihren Weg gehen, seit über 2000 Jahren. Und sich nicht beirren lassen werden.
Einmal in diesen verbalen Austausch gegangen, wird es sowohl für die von spirituellen Zielen sprechende Seite der Meditation, wie auch für die Hirnwissenschaft, die reduktiv Determinismus und deterministische Naturgesetze beschreibt, nicht mehr ganz wie davor sein. In Erklärungsschwierigkeiten dürfte sich dabei nicht die die direkte Arbeitsweise des Geistes erforschende und Geisteszustände pflegende ergründende Introspektion der Meditation begeben.

veröffentlicht: www.textem.de/1790.0.html

Wednesday, March 25, 2009

Toshio Hosokawa und das Nichts, das Schweigen, die Stille.

Hosokawa in der Begegnung mit Otomo Yoshihide, John Cage, Giacinto Scelsi und Galina Ustvol'skaja.
Konfrontation westlicher Avantgarde mit östlicher Tradition. Beobachtungen am 19.03./20.03.09 im Großer Saal Mozarteum und Republic bei der Biennale in Salzburg.

Ausgeprägter Dialog der Kulturen

"Wahlverwandtschaften". Unter diesem Motto findet die neue Salzburger Biennale diesen Monat an vier Wochenenden statt mit vier Schwerpunkten. Dies sind: Beat Furrer: Neue Musik und der cante jondo des Flamenco. Steve Reich: Minimal Music und balinesische Gamelan-Musik. Toshio Hosokawa: zwischen westlicher Avantgarde und japanischer Tradition. Klaus Huber: ein Meister der Moderne entdeckt die Musik Arabiens.
Die Biennale ist die Idee von Hans Landesmann, der künstlerischer Leiter ist, was er u.a. schon bei den Salzburger Festspielen war. Erstes Thema ist der Dialog der Kulturen. Dies ist so neu nicht, war auch beispielsweise die Biennale in München 1998 schon genau an diesem Punkt.
Salzburg ist auf die Musik konzentriert. Man verweist auf Kräfte bündeln, ursprüngliche Quellen aufspüren. Gibt fundierte Informationen in Einführungen und im Programmheft. Öffentliche theoretische Auseinandersetzungen und Diskussionen in einem Symposium wie zuvor in München gibt es nicht. Es wird realisiert, nicht theoretisiert. Für die künstlerische Relevanz sei wesentlich aus welcher Wahrnehmung der Welt und mit welch formaler Kraft sie entstanden sei. Und dies in der in rettungsloser Dekadenz befindlichen sogenanten "Neuen Musik", so Sandeep Bhagwati 1998. Denn schließlich geht es nicht um eine multikulturelle Perspektive die eine Weltmusik als Allerweltsmusik ist, die wie der Massentourismus das Gegenteil von Horizonterweiterung ist und wie eine neue, perfide Kolonialisierung zu sehen ist, wie man weiß. "So wird es für mich dort interessante Weltmusik geben, wo man sich dieser anderen Form fortschreitender menschlicher Verdummung, nämlich dem Wunsch nach einer einzigen musikalischen Einheitssoße für alle, entschieden und inspiriert widersetzt."..."Das wirklich "Fremde", nämlich die jeweils völlig unterschiedliche Rolle, die Musik in anderen Kulturen spielt, die verschiedenen Zeitbegriffe, Proportionswahrnehmungen - wer interessiert sich dafür, außer vielleicht ein paar Komponisten?" (Moritz Eggert, 1998) Die Salzburger Biennale-Macher widersetzen und interessieren sich. Und ein kommunikatives Publikum. Im feinen Tuch einer Abendgarderobe, Pelzmantel, Lederjacke über Jeans mit Freitagtasche über der Schulter oder Bonnie-Prince-Billy-Bart gekommen, Musikfreak, interessierter Laie und Fachpublikum, man findet sich im selben Konzertkontext und in der Pause im kleinen Café in angeregten Gesprächen.

"Der Ton kommt aus dem Schweigen"

Toshio Hosokawa fokusierend war ich zwei Tage bei der Biennale. Hosokawa im Kontext von Stücken anderer Komponisten mit historischer japanischer Musik wie Gagaku, westlicher Zwölftonmusik und Brandneuem aus Minimalismus bis Noise.
Hosokawa, 1955 in Hiroshima geboren, studierte in Berlin Komposition bei Isang Yun bevor er traditionell japanische Elemente in seine Werke nahm. Er sagt, in der europäischen Musik sei ein Ton nur ein Teil eines Ganzen, während in der japanischen Musik eine Note eine Landschaft darstelle, es folgt immer auf einen Klang eine Pause, dann wieder ein Klang und eine Pause. So ist auch der Zyklus III mit Hosokawa bei der Biennale betitelt: "Der Ton kommt aus dem Schweigen". Ob nun resignatives Verstummen oder angespannte Aufmerksamkeit, Schweigen ist als kommunikativer Akt zu verstehen, bei dem keine Laute erzeugt werden. Und kann Verweigeung genauso wie Konsensbildung sein. Auf Toshio Hosokawas Last Fm -Seite ist derzeit nur ein kurzes Stück anhörbar, "Haiku" betitelt. Dies ein weiteres Indiz dafür, welchen Stellenwert die Stille bei ihm hat. Stille ein rethorisches Element.

Hosokawa, Cage, Yoshihide

Dialog der Kulturen in der Dramaturgie des Abends am 19.03.09 im großen Saal des Mozarteums. Giacinto Scelsi aus dem Programm genommen. Toshio Hosokawa mit John Cage in einem Dazwischen. Und darauf folgend Otomo Yoshihide. Nahtlos aneinanderpassend. Auf Wesentliches, Essentialität zielend. Interpretationen von Material aus den 90ern. Die Yoshihide dann mit einem ganz neuen Stück abschließt.
Bei Hosokawas "Landscape V" (1993) ist ergänzend zum Streichquartett die Shô, eine japanische Mundorgel, ein prägendes Instrument, von dem es heißt, dessen Ursprungsform sei dem Phönix und seinem Schrei nachempfunden.
Mit der Shô ist, auch bei zurückgenommener Lautstärke, ein hohes Potential an Spannung herstellbar zwischen langgezogenen Einzeltönen und Akkorden, in die sich in dieser Komposition die Streicher einzuordnen haben. "Landscape V" hat nur Momente der Entspannung. Kann man ins Blitzen des Kristalls im Deckenleuchter sehen, so wird dabei jedenfalls geradezu heraufbeschworen die Visualisierung einer Landschaft, die eine Ebene der schwer aushaltbaren Grenzwahrnehmung in Extremen ist. Mit lyrisch-romantischer Naturwahrnehmung hat dies nichts gemein. Als ginge es eher um das Entlangwandern eines schmalen Grats zwischen Wahn und Realität
Shô und Muschelhorn spielen bei "Two" (1991) von Cage schließlich so leise, dass man das Atmen der Person neben sich als laut wahrnimmt und jedes Hüsteln und Knistern als total störend. Der Satz "Atmen ist Leben und Tod." aus dem Einführungsgespräch kann in Gedanken wiederkehren. "Vergänglichkeit ist schön. Der Ton kommt aus dem Schweigen, er lebt, er geht ins Schweigen zurück.", sagt die japanische Kunst, so Hosokawa.
Bei seinem "In der Tiefe der Zeit" (1994) taucht jedes Instrument, jede Instrumentengruppe des Diotima Quartetts wie eine eigene Klangschicht auf, wobei insbesondere das Akkordeon von Teodoro Anzellotti eine latent bedrohliche Dimension ins Spiel bringt als Gegenpol zum an- und abschwellenden Dauerklang der Shô von Mayumi Miyata.
Frei von kopflastiger Ordnung soll man eine energetische Vorstellung von Ganzheit bekommen. Der Klang entwickelt sich aus der Stille. Der Wert der Pause hat die Bedeutung des "Nichts". Zentrales Moment der Phrasen ist grundsätzlich die Stille, die am Anfang und am Ende steht.

"moduration" für Shô und Sinuswellen (1999) und "moduration" für Klavier (2009) von Yoshihide im zweiten Teil des Abends sind beide einfache, straighte Tonspuren, Dauertöne gleichsam wie Röhren, nur minimal in der Tonhöhe variierend und sirrend, surrend, bohrend, hart, dabei manchmal auch wie innen hohl klingend, wiederkehrend schmerzhaft laut. Entsemantisierung weit im Gegenteil von Verspieltem, wie etwa der Jugendstilgoldornamentik, die sich einem beim Zuhören aus dem Bühnenhintergrund ins Blickfeld drängt. Nach und nach verlassen Teile der Zuhörer das Konzert, weil sie entweder nicht mehr zuhören wollen oder es nicht mehr aushalten können. Ich lege mir zeitweilig vor der Lautstärke schützend die Finger über die Ohrmuscheln.
Hosokawas keineswegs ornamentale, sondern freie Grundgedanken schälen sich gerade im Kontrast zum sparsamen aber dominaten Yoshihide-Set deutlich heraus. Sowohl Komponist als auch Rezipient haben zum Urzusatnd, dem Schweigen zu gelangen, einer Lebensenergie im Inneren, die aus der Tiefe entstehen kann, beabsichtigt Hosokawa.

Hosokawa, Scelsi, Ustvol'skaja

In einem weiteren Aspekt erscheinen die Stücke von Hosokawa am 20.03.09 in Verbindung mit dem Schwerlastigen der Arbeit von Galina Ustvol'skaja und Giacinto Scelsi. Die freischwebenden Klanggebilde von Hosokawa wirken geradezu wie ein notwendiger Gegenpol. Doch das idylisch-bildhafte, mit dem seine Stücke "Cloud and Light" für Shô und Orchester (2008) und "Voyage VI" für Viola und Streicher (2002) beschrieben werden, trügt. Auf ein buddhistisches Gemäle wird als Inspirationsquelle hingewiesen oder auf allgemeingültige Begriffe wie Lebensreise und Universum. Zwar sind Hosokawas Musikstücke wie eine Befreiung von Scelsis Introspektion und schwermütig verschlossenem, düsteren Seelenzustand. Doch im Freischwebenden selber lastet eine permanente Ungewissheit, die wiederum beängstigend werden kann und nur begrenzt aushaltbar ist und nach Boden verlangt.
Streng, spröd, ruppig und unzugänglich im Höchstmaß wirkt "Komosition Nr. 2 'dies irae'" von Ustvol'skaja, das wohl auch ihrem Charakter, dem einer zurückgezogen lebenden Einzelgängerin, sehr entsprach. Als könne man zwischen acht Kontabässen, Klavier und Schlagwerk überall in freien Fall geraten zwischen einem Gefühl von Askese und Radikalität. Schlagwerk ist im Fall dieses Stücks ein 43 X 43 cm großer Holzwürfel, der mit zwei Hämmern bearbeitet wird. Aus einem leisen Klopfen zu Beginn des Stücks wird ein hartes Schlagen. Und mir drängt sich im Verlauf, bei der Schroffheit mit der alle Musiker ihre Instrumente spielen, das Bild auf von Antonin Artaud, wie er seinen Rücken mit der Messerspitze tracktiert. Ustvol'skaja jedenfalls geht diszipliniert souverän in eine Art Spiel der Grausamkeit. Wobei Hosokawa wiederum grundsätzlich im Leben und Arbeiten wohl an die Möglichkeitk des freien Falls gar nicht denkt. Sondern an eine Reise, wo auch immer, wie auch immer, ins Offene in der das Nichts keine böse Gefahr sondern potentielle Energiequelle ist.

Begegnung mit Hosokawa

Ich beobachte Hosokawa. Wie er im Café von allen abgewandt auf Schwarzweißbilder zweier Monitore in einer Ecke blickt. Wie er für Momente schmächtig im schwarzen Anzug alleine auf einer weißen Bank im Foyer sitzt und durch die geöffneten Saaltürentüren sieht. Wie er zwischen den Leuten hindurcheilt und dabei an mich stößt. Wie er quer durch den Zuschauerraum schaut. Wie er mit seiner Partnerin und mit Bekannten plaudert. Frage ihn nach weiteren Aufführungsplänen für seine Oper "Vision Of Lear", die 1998 in München uraufgeführt wurde. Erfahre, dass sie auch in London im Programm war, derzeit aber nirgends geplant ist
Es fragt sich sowieso, wie tief die Rezeption der künstlerischen Aussagen Hosokawas beim Publikum überhaupt geht.
In Zusammenarbeit mit dem Regisseur Tadashi Suzukui hat er 1998 in München mit der Oper "Vision Of Lear" die Verblendung Lears, der sein Land und seine Familie ins Unglück stürzt, als Hinweis auf allgemeine, psychologische Verfallstendenzen inszeniert. Mit einer Choreografie aus dem No-Theater herausentwickelter, starr ritualisierter Bewegungsabläufe. Zahlreiche Weißkittel, Nurses, wurden zeitweilig als zentral handelnde Figuren ins Spiel geschickt. Hin- und herwechselnd Im Bühnenraum zwischen einer Zone des Todes und des Lebens. Aber wer hat sich entschieden klargemacht, dass es nicht nur um körperliche Tode geht und welche geistigen, psychischen Tode dieses Wechselspiel auch betrifft und wer es führt?

"Die eigene Psyche ist bereits 'das Andere'."

"Die eigene Psyche ist bereits 'das Andere'." (Jan Müller-Wieland, 1998). Bei der Salzburger Biennale 2009 wird dies in einem substanziellen Dialog der Kulturen zugelassen jenseits des Oberflächlichen eines Multi-Kulti-Geredes. Und genau eine Vertiefung der Thematik Verbindung sogenannter Klassik mit Musik der Völker und Verflechtungen inter- und transkultureller Art hat dann auch wirklich Relavanz.
Diese Musik live zu erleben ist ja auch das Entscheidende. Die heutige Begegnung von Komponist, Musikern und Zuhörern. Wie sich Hosokawas "In der Tiefe der Zeit" der 1998er CD und "Landscape V" der Einspielung des Arditti String Quartetts aus dem Jahr1995 von der jetzigen Aufführung unterscheiden. Selbst wer nicht alle Feinheiten analysiert, nimmt eine gesteigerte Spannung war, die die Einflüsse heutiger Tage widerspiegelt und Veränderungen in so mancher Differenziertheit und in der Durchdringung der Kulturen. 

www.salzburgbiennale.at

veröffentlicht: www.skug.at

Foto: Tina Karolina Stauner, 2009

"Prisoner", Otomo Yoshihide & friens, Republic, Salzburg, 20.03.09

Parallel zur Biennale das dazugehörige Dialoge Festival. Otomo Yoshihide & friends schaffen im Rebublic eine atmosphärische Klanglanschaftsarchitektur mit der Uraufführung von "Prisoner". Es spielen Otomo Yoshihide, E-Gitarre, Burhard Stangl, E-Gitarre, Vibraphon, Sachiko M, Sinuswellen, DJ Sniff, Turntables, Ishikawa Ko, Shô, Jean-Philipe Gros, Electronics. War Yoshihide am Tag zuvor zerstörerisch laut im großen Saal des Mozarteums, so ist er auch hier provozierend, aber auf eine gegenteilige Art. Im Saal des Rebublic, mit seiner angrenzenden Bar, in der man entweder groß seine Klappe aufreißt oder irgendwie cool vorsichhinsehend herumsitzt und irgendwelche Beats hört, beginnt er eine musikalische Improvisation sublimster, leisester Nuancen. Der abgedunkelte, spärlich beleuchtete Raum scheint zu einer Art Tropfstenhöhle zu werden. Denn Yoshihide spielt nicht nur sparsame, stimmungsvolle Jazzakkorde auf der Gitarre, sondern auch mit einem Sammelsurium an Dingen, die er geräuschvoll fallen lässt. Geld klimpernd in einen Plastikbecher, eine weiße Tasse, ein Glas. Und so etwas wie Steine, Glasperlen. Kupferscheibchen werden zum Erklingen gebracht. Das Zerreissen eines Papierblatts ist zu hören und das Zerknüllen des Plastikbechers. Dies alles im Kontext der Tonspielereien seiner Mitmusiker, die Fiepen, Rauschen, Knarren erzeugen zusammen mit einzelnen, nur manchmal laut anschwellenden Musiktönen. Eigentlich verbringt man entspannt Zeit in einem Klangraum in dem weit und breit keine Assoziation an einen Gefangenen auftaucht. Erst als der Sound auf einmal zu klaustrophobischem Charakter kulminiert, kann ein Gefühl des Eingeschlossenseins entstehen, das Yoshidihide aber schließlich doch wieder auflöst. Ist der Gefangene vielleicht der Zuhörer, der in der Raummitte auf Sitzkissen herumlungert, während die sechs Musiker im Kreis außen herum angeordnet, improvisieren? Jedenfalls scheint es innerhalb der Welt von Yoshihides Gefangenem Freiheiten zu geben. Vielleicht ist es aber auch nur die, sich relaxt zu geben? Während die freie Improvisation sich sonst überall deutlich gestresster zeigt.



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Tuesday, March 24, 2009

Foto: Tina Karolina Stauner, 2009

"Im Raum" Streichquartett von Dieter Schnebel, Musica Viva, Carl-Orff-Saal - Gasteig, München, 06.03.09

"Im Raum" (2005/06) , das erste Streichquartett des sogenannten Alt-Avantgardisten Dieter Schnebel, hat einen Beginn, bei dem ein Streichquartett den ganzen Raum einnimmt. Zwei Musiker auf der Bühne, zwei im Hintergrund des Zuschauerbereichs. Serielles Material, den ganzen Carl-Orff-Saal auslotend und wie Freiraum zum entspannten Atmen schaffend. In einem Raum, der auch auf die mythische Unterwelt verweist, denn der Tetrachord vom Anfang von Strawinskys Orpheus-Ballett wird betont mit eingesetzt. Und nun wird Bewegung ins Stück gebracht. Die zwei Streicher im Zuschauerraum gehen während sie spielen auf die Bühne zu, wo sich das Quartett formiert. Und dies, um ein choreografisches Spiel zu beginnen. Denn so wie Sätze unterschiedlicher musikalischer Spielweisen und Arten in der Komposition auftauchen, zeigen sich auch die Musiker wechselnd in mehr oder weniger geordneten Gruppierungen. Werden die Streichinstrumente dabei auch sequenzweise mit den Fingern wie Pecussioninstrumente benutzt, so sind auch die Schritte der Musiker in militärischer Manier aufstampfend als Rhythmus mit eingesetzt. Musikalisch sind da immer wieder Anfänge, von dem was möglich ist, Anfänge aber auch, wie Zitate aus der Musikgeschichte. Kaum stellt man sich dabei auf einen Rhythmus oder eine Melodie ein, kommt ein Abbruch. Ständig wird etwas Neues begonnen, nur um immer wieder abgebrochen zu werden. Sowohl visuell als auch akustisch entsteht dabei eine seltsame Unruhe, inmitten darin manchmal drohender Leerraum. Es gibt nichts, worauf man sich in Ruhe einlassen könnte. Antonin Artaud schrieb einmal: "Alles muß haargenau in eine tobende Ordung gebracht werden." (aus "Schluss mit dem Gottesgericht") Im Carl-Orff-Saal iat es, als wolle Schnebel versuchen, völlige Unruhe, etwas grausam Beunruhigendes, bewusst durch ihn verursacht, gleichzeitig wieder zu strukturieren und somit zu ordnen und zu bändigen. Einem Dämon zu zeigen, wer Herr ist. Dass Artaud dabei bei seiner Arbeit nicht nur bis an seine Grenzen ging, oder dazu gebracht wurde, darüberhinaus zu gehen und dabei zerstört wurde, wissen wir. Im Stück "Im Raum" aber löst Schnebel eine in die Enge treibende und aufreibende, bedrohende psychologische Dynamik, die konträr zum Anfang zunehmend von weiten Teilen des Stücks ausgeht, aber wohlweislich spielerisch auf in absoluter Nähe zur derzeitigen Szene der freien Improvisation. Um schließlich mit einer Melodie, mit der man an den Jazz der 50er Jahre erinnert wird, sowas wie ein Geborgenheitsgefühl auftauchen zu lassen. Indizien dafür, dass Geborgenheit vielleicht nicht mehr als ein flüchtiges Gefühl ist, sind aber im ganzen Stück: Lyrische, romantische Melodiefragmente sind zwischen Klopfzeichen auf den Instrumentenkorpus, Peitschenschläge mit dem Bogen
in die Luft, dem schleifenden Kratzgeräusch des Chellostachels auf dem Boden, schmerzenden Ton, der beim entlangstreichen an Kanten entsteht, dem faschistischen Aufstampfen von Schuhsohlen wie Momente, die auf eine Vergangenheit verweisen, die eine zum untergehen verdammte Welt ist, aber dabei beharrlich präsent ist. Wobei man sich die Frage stellen kann, ob das Falsche, das Verlogene nun die biedere Idylle oder die zügellose Freiheit ist. Genau nachlesen kann man im Programmheft, wie Anfang, Scherzo, Adagio, Finale und Coda aufgebaut sind. Bis ins Detail beschrieben ist, was musikalisch und szenisch aufgeführt wird. Doch das wirkliche Spannende entsteht beim Sicheinlassen auf die Freiheit des Assoziationsspielraums, der wie ein Obertonklang über dem Ganzen wie ein weiterer Raum wahrnehmbare Option ist und nicht festgeschrieben steht. Und da ist im Programmheft auch immer wieder von dem unsichtbaren Fünften die Rede, der zu Anfang des Stückes auch als Schattengestalt mit auftaucht. Den ich aber nicht bemerkte. Ein Doppelgänger? Beobachter? Besucher aus der Unterwelt? Geist aus höherem Übersinnlichen? Vielleicht erinnert er daran: Es war einmal fast einfach jenseits von Gut und Böse. Zwei der Musiker ziehen sich zum Schluss dann wieder spielend in den Zuschauerraum zurück. Doch der entspannte Klangraum des Anfangs, dem man trauen wollte, entsteht nicht noch einmal.
Man muß nicht unbedingt bahnbrechend Neues einsetzen um den harten Puls der Zeit zu treffen. Man muß nur genau wissen, was man tut und was andere tun um Relevantes widerzuspiegeln, wie Schnebel.
(Assoziation: "Alles muß haargenau in eine tobende Ordnung gebracht werden" (Antonin Artaud) Und dass genau das falsch ist, macht natürlich auch das Stück bewußt. Jede Unordnung und jedes Chaos ist besser.)

veröffentlicht: www.satt.org www.skug.at

Monday, February 23, 2009

Foto: Tina Karolina Stauner, 2009

Eric Bachman und Neko Case, 19.02.09, Orangehouse, München

Eric Bachmann im Fokus

Im Vorprogramm von Neko Case spielte im Orangehouse Eric Bachmann, ehemals Archers Of Loaf und sonst mit aktueller Band Crooked Fingers. Hier solo, einige Songs mit akustischer, einige Songs mit elektrischer Gitarre. Ich mag die Art, wie Bachmann Basssaiten einsetzt in seinem Spiel als eine Art ins Manische ziehende, minimal-music-nahe Ebene, die unter seinen Fingertechniken liegt, aber oft dominiert. Eine Rhythmusschicht, als wolle er Tranceartiges vermitteln, wie man es etwa von Songs der Native Americans kennt. Aber auch: David Mencon hat in dem Magazin »No Depression« bei der Besprechung von Bachmanns Album von 2006 »To The Races« nicht von ungefähr darauf verwiesen, dass das der Intensität eines Nick Drake nahe kommt. Als absolut souveräner Gitarrist, Sänger, Songschreiber, gibt sich Bachmann relaxt, wechselt zwischen drei klasse Gitarren und diversen exzellenten Songs, bleibt dabei jedoch zurückhaltender, als ich es erwartet hatte. Zwar zeigt er, dass er genug Persönlichkeit besitzt alleine auf der Bühne zu überzeugen, doch er ist ein Charakter für eine sehr viel stärkere Bühnenshow als nur nett Neko Case zu supporten. Seinen ganzen Wert bietet er bei dem kleinen Set nicht. Es wäre schön live mehr von ihm zu hören. Neko Case verdirbt mir dann sofort mit ihrem Gute-Laune-Americana die Stimmung. Wozu war das substanzielle Songwriting der 90er Jahre und davor gut, wenn wir jetzt diesen ganzen Mainstream-Americana haben? Eric Bachmann sitzt nun an einem Tisch mit seinen CDs und als wir uns einmal ansehen funkelt mich grün seine Brille im farbigen Licht an. Neko Case und ihre Band und die versammelte Szene beobachte ich zunehmend gelangweilt. Und will über Case im Grunde gar nichts weiter schreiben. Sie switchte von einem leichten und hübschen Song zum andern, doch mich interessiert so ein Easy Listening- Americana nicht.

www.ericbachmann.com

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Sunday, February 22, 2009

Kent Nagano dirigierte am 18.02.09 in der Bayerischen Staatsoper die »Elektra« von Richard Strauss unter zu kritisierenden Vorraussetzungen, einer Wernicke-Inszenierung von 1997

"Wo bleibt Elektra? Ist doch ihre Stunde..." (Hugo von Hofmannsthal)

Das war nicht die »Elektra« wie ich sie will. Sondern ein visuelles Machwerk des 2002 verstorbenen Herbert Wernicke aus dem Jahr 1997 in Wiederaufführung. Suprematistisches Formenspiel ohne echte Mitteilkraft. Konventioneller Kostümball. Dass es anders geht, treffend zeitgemäß, haben andere gezeigt. Kent Nagano versuchte das schwerfällig-theatralische Spiel, von Wernicke gewollt psychologisch dargestellte Figuren, zum Leben zu erwecken. Was er unter dem Einfluss und angesichts der Vorgaben von Regie und Bühnenbild nur schwerlich tun konnte. Eine von Wernicke beabsichtigte Archaik, die nicht bewegte und erschauern ließ, wie intendiert, sondern sich als beinahe hohl pathetische Ästhetik zeigte. Beim Agamemnon-Motiv, die vage Hoffnung, es möge Nagano vollständig gelingen, dem Stück Leben zu geben. Beim späteren Motiv des Orest erst scheint Nagano die Feinheiten und Möglichkeiten aufzugreifen, die die Partitur in sich birgt, und zu beginnen so zu nuancieren und zu interpretieren, dass es wirklich Relevanz bekommt. Man ahnt, wie Nagano diese Partitur im Grunde dirigieren könnte. Nach dem Mittelteil der Oper zwischen den erwähnten beiden Motiven mit immer wieder Tendenzen zu überbetonter Heimatseeligkeit einerseits und oft bloß andeutungsweise und wie merkwürdig blockiert und erratisch die Kraft, die das ins Atonale greifende in sich trägt, andererseits, das Richard Strauss damals in dieser Oper auftauchen lässt. Musikalische Teile, von Nagono wohl beabsichtigt, wie zerlegt. Er ließ dabei zwar eine kraftvolle Dynamik zu, die aber nirgends hinzuführen schien oder überallhin, die sich um sich selber drehte und wirkte, als ob sie niemanden ganz zu erreichen beabsichtigte. Dirigierte dann nach dem Hinzukommen des Orest aber auf einmal so, dass direkte Anziehungskraft entstand. Und einfach einpeitschen lässt sich Leben nun mal nicht. Da erinnere ich an den Gedanken Naganos, ein Werk brauche Perspektive, wie er gegenüber dem BR kürzlich im Interview mit Dorothea Hußlein erwähnte. Ja, die»Elektra« von Richard Strauss muß man mit Perspektive dirigieren, ob Elektra nun am Ende tanzt oder nicht.
Im Programmheft zur Aufführung Lyrik von Trakl lesend, denke ich an eine »Elektra«, in der sich so etwas wie Roheit, Rauheit, Ungeschliffenheit als eine Kraft aus der Vergangenheit Raum schaffen kann. »...Ein wildes Tier fraß des Liebenden Herz / Ein feuriger Engel / Stürzt mit zerbrochener Brust auf steinigen Acker...« (»Nächtliche Klage«, 2. Fassung, Georg Trakl). Ich stelle mir eine Neuinszenierung vor: Realismus die Bühne. Kent Nagano am Dirigierpult und natürlich, wie von manchem von uns geschätzt, Werkperspektive.

www.kentnagano.com
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Saturday, February 21, 2009


James Blood Ulmer, Black Rock Trio, Nightclub Bayerischer Hof, München, 28.01.09
Foto: Tina Karolina Stauner

Friday, February 20, 2009

SIX - Mehrbödige poetische freie Improvisation

Es gibt noch keine CD von SIX, deshalb von mir vorerst ein Rückblick auf ein Konzert vom 13.11.08 in der t-u-b-e in München. Dieser Live-Set war der beste Programmpunkt einer Konzertreihe, die Ende des Jahres von Offene Ohren präsentiert wurde.
SIX, bestehend aus Jacques Demierre (Klavier), Dorothea Schürch (Stimme und Singende Säge),Urs Leimgruber (Saxofon), Charlotte Hug (Viola), Anne Gillot (Klarinette, Flöten),Thomas Lehn (Analog Synthesizer), eine seit Frühjahr 2007 existierende Formation von Leimgruber, hat in den kommenden Monaten weitere live-Termine in der Schweiz und in Österreich. Man wird in spezieller Sache freier Improvisation unterwegs sein. Und darf darauf gespannt sein.

Hier der erster Konzerteindruck: Wie von Streich-, Blas- und Tasteninstrument zu Beginn erst einmal ein paar spärliche, seltsame Töne und Laute zu vernehmen waren, das ließ an Möwenschreie am Meer denken. Ein Gefühl von Weite stellte sich ein in diesem engen, weißgetünchten Kellerraum. Zusammen mit hinzukommendem analogen Syntesizer und der Singenden Säge entstand darauf folgend ein poetischer Raum, in dem die Stimme geradezu wie Schamanengesang eingesetzt wurde. Geopoesie von Kenneth White, die an Orten in der Bretagne entstand, könnte genau in diesem Klangraum ihren Platz haben. Doch diese Bilder verflogen wieder. Die sechs Musiker schufen dann einen abstrakten akustschen Raum, der die Anfangsstimmung wieder vertrieb, der nicht nach Visualisierung verlangte, sondern mit Energielevels spielte. In denen sie einmal zusammengeballt drohende böse Kraft wirken ließen, dann wieder das Gefühl von Zuflucht in sicherem klassischen Repertoir fanden und gaben, sich oft aber wie riskant nach absolut neuen Klängen herumsuchend und -tastend anhörten, oder auch sich fahrig und nervös auf echte Aversionen einzulassen schienen. So entstanden mehrere Spannungsbögen in dem Set, der schließlich wie ruhiges Atmen ausklang. Oder wie Atem der dann stillsteht? Die fasziniernd musik-poetische, mehrbödige Welt von SIX verweist auch darauf, dass überall auch Abgründe sind.

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Friday, January 16, 2009

© Bayerische Staatsoper

"Wozzeck" von Alban Berg, Oper in drei Akten in der Bayerischen Staatsoper in München

"Die Hoffnung ist, dass man über die emotionalere Wahrnehmung der Gewalt, die einer Figur, einem Menschen, einer Kreatur zugefügt wird, einen Schmerz spürt und daraus folgend auch eine Wut entwickelt, die produktiver ist als das rationale Verstehen." (Andreas Kriegenburg)

In der Bayerischen Staatsoper München ist seit dieser Spielzeit Klaus Bachler Intendant, der vorher das Wiener Burgtheater leitete. Am 13.11.08 war in der Zeit zu lesen: "Die konservative Klientel fürchtet sich vor seinen Regisseuren und das auf einen Modernitätsschub hoffende Publikum vor seinem cleveren Eventmanagment." Er selber sagte: "Ich möchte die Pragmatik stören, ohne den Betrieb zu stören...Die Regie soll risikofreudiger und gegenwartsbezogener werden."
Die Inszenierung "Wozzeck" von Alban Berg, bei der Andreas Kriegenburg Regie führt und Kent Nagano dirigiert, ist eine Koproduktion mit dem New National Theatre Tokyo. Ein "Kraftwerk der Gefühle", wie Alexander Kluge die Oper nannte, das eindringlich perfekt funktioniert. Die Bühne ein rechteckiger, blendendheller bewegbarer Raum im dunkel-abgründigen, mit Wasserboden versehenen Bühnenraum. Dieser grellleuchtende, weit in den Vordergrund geschobene Zimmerquader läßt das Bühnenbild so dominant erscheinen, dass die Kraft des Orchesters geradezu davon kleingehalten und fragil wird. Und man sich vom Visuellen irritiert bedrängt fühlt. Während man die Handlung der blassgesichtigen, beigegekleideten, fast puppenartig wirkenden Akteure beobachtet. Als der helle Raum weiter im Hintergrund schwebt beginnt man auf einmal das Orchester zunehmend wie eine sich entfaltende magische Macht wahrzunehmen. Bühne von Harald B. Thor und sporadisch auftauchende choreografische Elemente wirken dabei anfangs noch als ein Spiel mit Formen, das eher Beliebigkeit hat, und sind aber ab einem bestimmten Moment zusammen mit dem Orchester exakte Präzisionsarbeit.
Kriegenburg lässt die Handlung in der Zeit der literarischen Vorlage Georg Büchners in den 1820er, 30er Jahren und sagte bei einem Gespräch, das im Programmheft gedruckt zu finden ist."...Es fällt dem Zuschauer, glaube ich, nicht schwer, die Situation der Armut mit ihrer Gewalt, mit ihrem tiefen Eingreifen in die Psychologie der Figuren aus einer anderen Zeit hin in unser Verständnis zu übersetzen. Es ist vielleicht fast einfacher, die Grausamkeit und das gewalttätige Potential, aus einer zeitlichen Distanz emotional wahrzunehmen..." Trotzdem wäre allerdings eine Adaptiom ins Heute mit seinen darin greifenden Methoden und Mechanismen wichtig. Es ist ein allzugrobes Bild, wenn man eine Menschengruppe sich auf einen ihnen vorgeworfenen Fraß stürzen sieht, wie sie das im Wasser der Bühne in dieser Inszenierung tun. Kriegenburg meint weiter, dass heutige medizinische Experimente nicht so gefährlich sind, die Unversehrtheit des Individuums weniger missachten, als das Experiment an Wozzeck. Fragt sich, ob er sich wirklich bewusstgemacht hat, was heutige medizinische Experimente sind und bedeuten. Klargemacht hat er sich aber folgendes: "Man muß die Idee des Handelns in einen größeren Kontext stellen. Wenn man tatsächlich handeln wollte, ginge es ja nicht darum Wozzeck zu helfen, sondern, den Doktor wegen Menschenversuchen einzusperren und den Hauptmann wegen nachgewiesenem Sadismus seines Postens zu entheben."
Hinsichtlich der Komposition wird von Kriegenburg speziell auf zwei Motive hingewiesen: ein verstörendes, erschreckendes und eines des Trostes. Es entstehen dabei extrem zarte und auch geradezu gewaltätige Momente. Kent Nagano lässt im schwerblütig-expressionistisch Atonalen bis hin zu der dazu kontrastierenden volksliedhaften Leichtigkeit der Oper eine surrelistische Kraft entstehen, die auseinanderstrebene Energien und musikalische Sätze und Charakterstücke zu einer vollkommenen, suggestiven Einheit werden lässt. Eine Verbildlichung surrealistischer Sphäre erscheint mit manch seltsamen, vexierbildartigen Spiegelungen im Bühnenbild. Das öfters an Francis Bacon denken lässt und seine Gemälde, in denen er merkwürdige Figuren in geometrischen Raumkonstruktionen zeigt. Diese strenge Bildsprache steht wie im Kontrast zu Naganos poetisch-feiner Art der musikalischen Sprache. Ein geradezu formvollendetes Gegensatzpaar mit Spielraum für berückende Szenen.

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Thursday, January 15, 2009

Patti Smith traf Christoph Schlingensief und Adrian Brendel am 14./15.12.08 im Haus der Kunst in München

Mich interessiert Pop- und Rockmusik nicht mehr. Statt dessen Free Jazz, Improvisation, diverses Experimentelles, Neue Musik. Gelegentlich klassisches, amerikanisches Songwriting. Da allerdings lässt es sich nicht immer ganz vermeiden mit Pop und Rock in Berührung zu kommen. Es traf sich gut: Auch Patti Smith war gerade nicht in der Rockszene zu finden, sondern in München zum Gespräch mit dem Regisseur Christoph Schlingensief und dem Leiter des Haus der Kunst Chris Dercon im Kontext der Ausstellung "Spuren des Geistigen". Dort ist sie derzeit auch als bildende Künstlerin vertreten. Und war im Konzert mit dem Cellisten Adrian Brendel zu erleben.
Es ist eine Weile her, dass ich mir Musik von Patti Smith angehört hatte. Ihre kraftvollen Songs hatten mir in früher Jahren etwas bedeuteten. Sie selber lebte nach den Erfolgen ihrer Anfangsjahre zu Punkzeiten, begonnen mit vom John Cale produzierten Album "Horses", dann eine ganze Weile zurückgezogen. Musste den zu frühen Tod von Freunden wie Robert Mapplethorpe oder Fred Sonic Smith verkraften.
Ihre neueste Veröffentlichung der vergangenen Jahre ist von 2007 das reine Cover-Album "Twelve". Die Auswahl: 1. Are You Experienced? 2. Everybody Wants To Rule The World 3. Helpless 4. Gimme Shelter 5. Within You Without You 6. White Rabbit 7. Changing Of The Guards 8. The Boy In The Bubble 9. Soul Kitchen 10. Smells Like Teen Spirit 11. Midnight Rider 12. Pastime Paradise.

Bei dem Gespräch im Haus der Kunst, dem Rockjargon nahe und nicht komplizierten Intellektualismen, redete sich Patti Smith in Bühnenpräsenz. Sie erzählte vom Sturm, in den sie beim Aufenthalt bei den Bayreuther Festspielen geriet, über die sie für die Zeit berichtete und wo sie Schlingensief, der dort Regie führte, kennenlernte. Plauderte über Banales wie das rote Gitarrenschulterband, das das Berliner Filmfest ihr schenkte genauso wie außergewöhnliche Zwischenfälle schildernd, die sie als besonderes Zeichen sah. Etwa eine Cobra sehen, einen toten Hasen beerdigen. Die Zufälle will und hat sie immer als etwas Spezielles auf ihrer Seite. Und das Schicksal. Und woran sie glaubt ist die Imagination.
Christoph Schlingensief ging in den vergangenen Monaten getreiben von seiner schweren Erkrankung in seine aktuellen Inszenierungen. Sie sind mit "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" und "Der Zwischenstand der Dinge" betitelt. Schlingensief sprach von seiner Familie, in der die Eltern die Arbeit des Sohnes nicht verstehen und die Verwandten bigott in die Kirche laufen. Vom Filmen, wenn zu Beginn das Drehbuch weggeworfen und dann improvisiert wurde und Szenen aus Filmklassikern nachgedreht wurden. Und von der von ihm als krank deklarieten Veranstaltung Politik. Als er seine Krebsproblematik erwähnte, thematisierte sich auch Sterben und Gott. Er jedenfalls will noch nicht in den Himmel hochfahren, sondern hält die Arbeit hier und jetzt in dieser Welt für das best Mögliche. Geriet einen Moment in schiere Verzweiflung. Sieht sich im Spirituellen und das als eine Art Geborgenheit. Mit das Schwierigste, was es im Verlauf des Gesprächs zu verstehen gab, war ein nicht allzuschwer verständlicher Begriff wie "Möglichkeit der Selbstkomposition", den Schlingensief ins Gespräch brachte. Der sonst bei jedem Thema über einen ironischen Plauderton wenig hinausging. Obwohl er Dinge sagte wie er vermute bei der neu ausgebrochenen Cholera in Simbabwe handle es sich um Sabotage von Gegnern.
Patti Smith, die sich selber nicht als ironische Person und Künstlerin bezeichnen wollte, wollte auch bei Schlingensief Stilmittel wie Zynismus nicht sehen und diskutieren und zeichnete von ihrem Freund ein Bild wie in ein Kinderbuch: Er sei ein Peter Pan, der nur beschwörend zu suggerieren braucht: It will! Seine Arbeit sei einfach Freude und Freiheit Alles eine einzige Einladung: "Come on in! Come on into the ship!" Uns alles aus Liebe, nicht für Macht und Geld. Auch sie selber sei nur daran interessiert ein guter Mensch zu sein, der sich aber als Künstler in jede extreme menschliche Rolle verwandeln könne. Und sie sagte: "To see with new eyes, that's what an artist needs continuously." Man hätte noch einmal an die uneingeschränkte Kraft der Rockmusik glauben wollen. So das einmal funktioniert hat. Besonders als Patti Smith zum Abschluss noch für einen Song zur akustischen Gitarre griff. Die oft genannte Macht der drei Akkorde und des Wortes. Geradezu zauberhaft wie im Märchen. Doch Märchen beginnen mit: Es war einmal. Patti Smith sah aus einiger Distanz im Scheinwerferlicht aus wie eine Frau, die geradezu angefüllt mit Wärme und Freude lebt. Eine Glücksfee. Die Lichter dazu hatte derweil eine Glaubensgemeinschaft in einer Demonstation vor dem Haus der Kunst angezündet. Gegen Blasphemie in der Ausstellung "Spuren des Geistigen". Eine Menschenansammlung vor einem mitgebrachten Jesus am Kreuz mit Kerzen in der Hand im Chor Lieder vom Notenblatt singend.

Als Smith mit Dercon redend dann nach der Veranstaltung direkt an mir vorbeiging, blickte ich in die Gesichtszüge einer über 60-jährigen Frau mit eher teuflischem Touch. Die erlebten Strapazen und Extreme eines Rockmusikerdaseins sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Ein Leben, von dem einer wie Alan Bangs im Gespräch mit Claudia Scholl und Michael Laufersweiler in Köln im Juni 2000 folgendes weitergab:"...wir haben durch Zufall gestern nochmal ein Band gesehen aus der Rocknacht, wo Du Patti Smith interviewt hast... Ach, hör' mir auf, die spritzte in der Garderobe, und war überhaupt nicht mehr ansprechbar. Und es kam dazu, das als sie das erste Mal in Deutschland war, 1976, da hab' ich sie in München besucht, und da haben wir uns total gut verstanden.Ich hatte damals auch die Haare in etwa so lang wie jetzt - aber nicht grau, und sah echt komischerweise wie Tom Verlaine aus, und sie hatte vorher eine Affäre mit Tom Verlaine, und irgendwie haben wir uns total gut verstanden.Ich sollte dann ein Interview mit ihr machen, und sie hat gesagt: "Wenn Du nix anderes vorhast, dann bleib' einfach wie wir hier in München. Ich möchte das Du bei den Interviews dabei bist." Ich war dann drei Tage bei Patti Smith. Bei allen Interviews saß ich immer da, egal wer reinkam, egal was für Journalisten, und das war auch genial mitzubekommen, weil egal, wie oft ihr die gleiche Frage gestellt wurde - sie hat jedesmal was anderes geantwortet. Also das war unglaublich, ich hab' sowas noch nie erlebt.Und jeden Morgen fragten mich die anderen Bandmitglieder: "Na, und? Hat's geklappt", und ich "Was jetzt?", ich wußte überhaupt nix davon, es kam erst später raus, wieso, weil ich eben Tom Verlaine so ähnlich sah. Gut, als sie dann in die Rocknacht kam, da hab' ich mir gedacht, ok, wir haben uns damals so gut verstanden. Das war echt für mich auch ne Riesenenttäuschung, das war weil sie auf Heroin war, sie hat mich einfach nicht mehr erkannt.Sie hat einfach nix mitbekommen...(WDR, Rockpalast)" So mag es gewesen sein, wird in der Szene geredet. Patti Smith jedenfalls hat sich immer oben gehalten. Beruflich. Privat.

Beim Konzert "Words 1"am nächsten Abend mit dem im Gegensatz zu ihr studierten und klassisch ausgebildeten Cellisten Adrian Brendel schien sie dann wieder da zu sein, die Magie, die von Patti Smith ausging in früheren Zeiten. Sie deklarierte beschwörend Texte, zog in den Bann der Wirkung von manischen, stimmungsvollen Akkordwiederholungen und Brendel improvisierte dazu Erlesenes auf seinem Cello. An die Bühnenrückwand projizierte Filmsequenzen und Bilder zeigten Smith, in Großaufnahme, Nahaufnahme, Einen Rosenkranz aus der Jeanstasche ziehend, ihr Gesicht, ihre Hände, sich in Zeitlupe bewegend. Zwischen Steinreliefgesichter, Stilleben, Strassenszenen, Schriften, gallopierende Pferde geschnitten. Eines ihrer neuen Lieder kündigte sie mit den Worten an: Der Song mag euch bekannt vorkommen. Aber das ist weil ich nur fünf Akkorde kann. Ihr fehlte es an diesem Abend doch nicht an Ironie. Und auch nicht daran als eine Art Schamanin, als die Dercon sie ansagte, Ausstrahlung zu zeigen und sich als Größe und Autorität in Szene zu setzen. Jedenfalls gelang ihr das vor dieser versammelten In-Crowd. In der man sich nach Möglichkeit Chic und berufliche Position ansehen liess. Man mischte das von mir verhasste überschwenglich-schrille Pfeifen der Rockkonzerte in den Applaus. Und bei den Zugaben waren tatsächlich dann alle Rhythmus klatschend und mitsingend. Man kann kaum etwas mehr erübrigen als eben so eine Version von "Because The Night". Patti Smith selber stolperte über Textprobleme. Und rettete sich und den Spannungsbogen dann durch eine weitere Zugabe: Gandhi. Wünschte Frieden und ging. Was blieb da zu sagen: Eine heile Welt allen. Wenigstens für zwei Stunden. Bei "Words 2" am folgenden Tag in der Allerheiligen-Hofkirche.

www. pattismith.net
www.schlingensief.com
www.hausderkunst.de

veröffentlicht bei:
www.skug.at
www.satt.org

Tuesday, January 13, 2009

Peter Broderick
"Home"
(Bella Union/Cooperative Music/Universal)

Weil Peter Broderick Mitglied der Horse Feather ist, einer viel zu wenig beachtete Band mit wunderschönen Folksongs, höre ich mir seine aktuelle Solo-CD "Home" an. Filigrane, feinsinnige, fragile Songgebilde, die weit in die Welt der Folkmusik hineinziehen. Mit lieblichen Melodien und der Qualität von Betonung verspielter, sanfter Akkorde auf der Akustischen.
Eher problematisch ist die Dimension von orgelartigen Sounds und Chorgesängen, die Broderick teilweise ausschweifend integriert. Mehrstimmig, pathetisch. Manchmal an Simon and Garfunkel erinnerend. Feierlich, fast sakral.
In den besten Teilen ist Brodericks Musik perfekt wie ein schönes S/W-Foto von kleinteiligem Mosaik in architektonischen Verstrebungen von Kathedralenfenstern, genau wie Andreas Gurskys C-Print "Kathedrale I" aus dem Jahr 2007. Kunst also. Aber insgesamt ist die CD einfach geeignet für einen kalten Winternachmittag, den man gemütlich zuhause teetrinkend verbringt, während man zum Zeitvertreib amerikanische Design-Blogs durchklickt, die man dann alle bis auf ein oder zwei wieder vergisst. So wirkt die eigentlich sparsam instrumentierte CD stellenweise überproduziert und wie viel bloß hübsches Design. Und bietet nur wirklich echten, tiefergehenden Wert in ein oder zwei besonderen Songs, die sich einprägen können.

veröffentlicht: www.satt.org