Monday, May 25, 2009

"Montagsgespräche" - "...die Materialisierung der Intelligenz, die in den Klängen ist." (Edgar Varèse, Hoené-Wronski)

"Musik und Materie" ist die aktuelle Bezeichnung der Reihe "Montagsgespräche" der Echtzeithalle in München. Hinweis an ein dualistische Prinzip wie von Descartes zu denken? Anstoß einem Gedankensprung nachzugehen zu Henri Bergson und seiner Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist mit Titel "Materie und Gedächtnis"? Bergson: "Der Geist entnimmt der Materie die Wahrnehmungen, aus denen er seine Nahrung zieht, und gibt sie ihr als Bewegung zurück, der er den Stempel seiner Freiheit aufgedrückt hat."
Ein Kreis von Insidern besucht regelmäßig die Montagstermine. Fast könnte man auf den Gedanken kommen, es handle sich um eine Art geschlossene Gesellschaft. Über die Personen im so lautenden Sartredrama heißt es: "Sie können weder voneinander lassen, noch voreinander fliehen...Die Hölle, das sind die anderen". Die "Montagsgespräche" jedenfalls als Demonstrationen für Leben, Überleben in der freien Szene. Stattfindend im Carl Orff Auditorium der Hochschule für Musik und Theater. Jedoch ist es nicht die Generation der Studenten, die auch bei den Veranstaltungen erscheint. Die Besucher setzen sich hauptsächlich zusammen aus individualistischen Musikern, Künstlern, Wissenschaftlern, Theoretikern etc., die teilweise dann auch wieder selber ihr Projekt im Kontext "Montagsgespräche" vorstellen und diskutieren.
Der Initiator Wolf-Dieter Trüstedt, Musiker und Physiker, bringt seit dem Jahr 2000 in dieser Reihe Neue Musik, Text und Bild in Performances auf die Bühne. Dieses Jahr, Edgar Varèse und Hoené-Wronski zitierend, mit dem expliziten Hinweis: "(Musik ist) die Materialisierung der Intelligenz, die in den Klängen ist." Oft werden mehrere Miniaturen an einem Abend vorgestellt. Es sind aber auch manch einstündige Projekte darunter. Trüstedt selber nannte das Musik-, Meditations-, Aufführungsübungen, nicht eigentlich ein Konzert sondern eine offene Form.
Tatsächlich haben die Stücke oft den Charakter eines Spiels mit künstlerischen Mitteln. Die verbalen Ausführungen dazu sind zwischen Plauderei und Theorielastigkeit wie zum Manuskript einer Vorlesung gehörend. Jeweils einstündigen Aufführungen folgt ein einstündiger Gesprächsteil. Manchmal wähnt man sich wie in einem Praktikum. Ein Praktikum für die große Form Musiktheater vielleicht. Und immer gibt es auf der Website der Echtzeithalle dokumentierend Berichte, Begriffserklärungen, Fotos.
Eine Farb-, Form- und Tonspielereien kann wie folgt sein: Trüstedt klickt in "Teiltonfelder", musikalisch aufgeführt mit Andhi Pabst, am Laptop an, was als großformatige Wandprojektion zu sehen ist: Kreuzformationen in einem Kästchenfeld. Eine nach der anderen. In X-Form. Wie ein griechisches Kreuz. Mit einer Lücke als Mittelpunkt. Wie ein Grabkreuz. Immer drei gleiche nebeneinander. Etwa hellblaue Kreuze auf gelbem Grund. Einmal klickt er daneben und verharrt in einer ausgedehnten Pause. Das Bild kein Kreuz sondern eine freie Form. Im späteren Gespräch ist die Rede von einem Fehler im Spiel, der weiterführte. Manches scheint für Eingeweihte zu sein in dieser Runde.
Meine erste Frage zum Thema Sprache an Trüstedt: "Laurie Anderson verwendete in ihrer Arbeit den William S. Burroughs-Satz: "Language is a virus from outer space." Was fällt ihnen dazu ein?" Die Antwort fast als wäre sie nicht auf diese Frage: "Musik sitzt sehr tief im Menschen. Meine Musik kommt nicht aus dem bürgerlichen Abendland, sondern eher aus dem Osten, China, Japan - nicht die abendländischen, gleichmäßigen Rhythmen und eine Musik, die aus der Sprache abgeleitet ist - sondern viel komplexer und stark klangorientiert, das liebe ich, die Musik des klassischen Chin (oder Qin, siehe "The Lore of the Chinese Lute" von Van Gulik, 1940/1969). Das ist offenbar in meinen Genen tief verwurzelt, d.h. genetisch verankert. (Bekanntermasßen werden 90 Prozent der menschlichen Gene nicht verwendet. Da ist die gesamte Menschheit untergebracht. Warum nicht auch uralte Vorfahren, irgendwelche Mongolen, keine Ahnung - oder doch? )."
Trüstedt ist also die Musik entschieden wichtiger als die Sprache. Und eigentlich verlangt der Klang seines Instruments Chin,
bei dem elektronisch verstärkte Saiten mit einem Computerprogramm vernetzt sind, nicht nach Worten sondern nach meditativem Schweigen.
Ich frage weiter: "Was bedeutet es für den Künstler/Musiker, wenn er unmittelbar nach der Aufführung sein Werk erklärt und diskutiert? Wie haben sie das beobachtet und wie ist es ihrer eigenen Erfahrung nach?" Und erhielt folgende Antwort:: "Über die Musik selbst kann man nach einer gelungenen Aufführung nicht sprechen. Da kommt eher die bekannt "Aufführungsdepression", vielleicht ein weit weg sein, wie das Zurückkommen von einer Fahrt in sehr entfernte Gefilde, man/frau findet dann das eigene Land eher merkwürdig etc. Über technische Details kann man/frau sehr gut nach dem Konzert sprechen und diskutieren, ob es interessante Ereignisse gab oder lustige Fehler etc. Auch über Details der Komposition lässt sich reden, über Schwierigkeiten der Umsetzung - das ist wirklich alles vergleichbar mit einer weiten Reise. Man spricht über das Wetter etc. Tiefer gehende Dinge stehen ohnehin in den ankündigenden Texten zu den Montagsgesprächen. Das brauchen wir nicht zu wiederholen. Die Diskussion ist eher eine Lockerung, ein Gliederschütteln, ein Gedankenschütteln ..."
Es geht den Montagsabenden nicht nur um die Kraft der Musik sondern es kann genauso die Macht der Bilder und Farben fokusiert werden. Wie In "Algonquin". Für den dazugehörigen Flash-Film "Hommage an Rupprecht Geiger" erhielten die Musiker Klänge in den Farben des Filmes: gelb, orange, hellrot, mittelrot, weinrot und magenta. "Die synästhetische Forschungsfrage war: klingen die Farben in ihrem Zusammenspiel so wie die Stimmung des Filmes oder wie sollten die Klänge kompositorisch und ästhetisch umgeformt werden, um ein ganzheitliches Kunstwerk zusammen mit dem Film zu bilden?", so die Mitwirkende Christine Söffing von der Synästhesiewerkstatt Ulm. Ergänzend Trüstedt: "Der Klang entfaltet sich als Musik. Wir hören den Klang als Keimzelle und ahnen seine Musik. Während die Musik sich ausbreitet, entstehen Assoziationen, latent oder deutlich. Ein zugeordnetes Bild, der Aufbau einer Handlungschoreographie kann die inneren Bilder bahnen oder im Zaum halten, eine Mitteilung bewerkstelligen oder die inneren künstlerischen Ideen bedingen...."
Inhaltlich und formal bewegt man sich immer wieder auch in der Moderne nicht nur der Postmoderne. Oder blickt noch weiter auf Geschichliches zurück. Interpretierend, inszenierend. Und geht dann teilweise mit Aufnahmen, Laptop, Sampling auf zeitgemäß-experimentellerem Terrain dazu oder dazwischen. Oder mit Improvisation. Es kann auch auf der Bühne komponiert und notiert werden. Möglich ist alles. Aber extrem eher weniger. Verspielt viel. So auch der Tanz "Rückmeldung" von Sonja Hafenmayer. Der dann aber doch tendenziell auf Härte verweisend endet. Reflektion durch die Echtzeithalle darüber: "Vielleicht begegnen sich die beweglichen Tonkörper und der sich bewegende Handlungskörper im Raum. Der Handlungskörper berührt die Klänge im Raum und die Klänge berühren die Bewegung im Raum."
Das Thema der nächsten Serie "Montagsgespräche" ist schon angekündigt: "Musik aus dem Niemandsland". Trüstedt dazu: "Musik im vollen Kontext von Kunst und Wissenschaft. Es werden 15 Montagsgespräche über das ganze Jahr 2010 verteilt. Das Thema - eigentlich eine uralte Sache bis das Abendland die Mehrstimmigkeit und das wohltemperierte System erfunden hat. Niemandsland - das Land, das weder die jetzige Musik noch die jetzige Wissenschaft betritt. Es gibt zwar der eine oder andere Ansatz (Ligetis Fraktale oder die Sonifikationen einiger Wissenschaftler) aber jede Sparte traut sich nicht voll in das unbekannte Gebiet, jede Sparte betont, dass sie weiterhin voll in der Musik stehe (im akademischen Sinn) bzw. streng wissenschaftlich arbeitet. Wir werden beide Bezüge loslassen und das suchen, das zwischen den Disziplinen steht, um vielleicht eine neue, unbekannte Welt zu finden (z.B. die Biochemie hat das geschaft und eine vollkommen neue Disziplin entwickelt, die nicht Biologie und nicht Chemie ist). Die Teilnehmer der Montagsgespräche werden vor allem Künstler sein (d.h. nicht Musiker, die nur auf ihrem Instrument zu Hause sind und nicht Komponisten, die nur ihren Systemen trauen) und es werden Wissenschaftler sein, die den Mut haben, über ihre Systeme hinauszudenken - ohne Seil und Haken. Ich glaube, das wird für beide Seiten von Nutzen sein. Kleines Beispiel: Einem Querflötenspieler brachte ich das Spiel auf der Shakuhachi (Zen-Flöte) bei, mit dem Resultat, dass er seine Querflöte nicht mehr spielen konnte. Nach weiteren 2 Wochen sagte er mir, dass er seine Querflöte plötzlich so anders, so lebendig, so farbig spielen kann, wie er es sich vorher nicht erträumen konnte." Kleine, eigenständige Insel im Niemandsland?
veröffentlicht: www.musikderzeit.de