Wednesday, June 25, 2014

Folkdays aren't over - Rückblick auf Songwriting-Veröffentlichungen von Frauen der eigenwilligsten Art: Tish Hinojosa,  Luai, Nataly Dawn und ihre jüngsten Veröffentlichungen

Songperlen vom Allerfeinsten von Tish Hinojosa

Die Fähigkeit zum Schreiben wunderschönster Songs hat die Amerikanerin mexikanischer Herkunft Tish Hinojosa schon immer. Manchmal bis zur Perfektion. Wie diesmal. In ihre Mixtur aus mexikanischem Folk und Singer-Songwriter-Pop hat sie eine ganze Menge gespielte Naivität mit eingebaut.  Gleich die beiden ersten Songs der neuen CD "After The Fair" sind ein Inbegriff an Hübschheit und lassen trotzdem auch an Substanziellem nicht missen. "...In this city where I am / Every now and then / I have to bite my tongue / 'Cause I'm feeling / That I don't belong..." ("Cobblestones") Tish Hinojosa lebte längere Zeit in Hamburg und in Berlin wurde nun "After The Fair" aufgenommen. Moe Jaksch hat produziert und auch als einer der prägenden Musiker mitgewirkt. Die annähernd 60-jährige Tish Hinojosa scheint musikalisch irritierend jugendlich und unverbraucht und macht also Nachfolgegenerationen vor, wie erstklassiges Songwriting geht. Singt Hinojosa spanisch ist sie immer dem Traditionsverbunden recht nah. Ihre englischsprachigen Songs hingegen sind nicht selten entdeckenswert reizende Perlen der Popmusik. Joan Baez und Kris Kristofferson, mit denen sie unter anderem auch zusammenarbeitete, sind zwar verwandte Seelen im Country, den Hinojosa durchaus auch verinnerlicht hat. Doch ist Hinojosa dem Pop oft einen guten Touch näher. Und nie gerät sie dabei in zu seichte Gewässer. Die Sängerin und Gitarristin Tish Hinojosa bietet souveränes Songwriting vom Allerfeinsten. Zudem widmet sie sich auch politischen und sozialen Themen und erhielt so schon eine Einladung von namhaften Politikern wie den Clintons.

Wachträume als Folksongs von Luai

Da hält sich offensichtlich ein unbekleidetes weibliches (oder androgynes?) Wesen tagträumend mit geschlossenen Augen über Wasser in einer merkwürdigen Siedlung in der die ganzen Straßen überflutet sind und dürre Rauch-Zweige von Kaminen aus in den Himmel emporstreben. Jedenfalls auf dem gezeichneten Coverdesign von "Boulder Thicket", der aktuellen Veröffentlichung von Luai. Luai ist die Finnin Saara Markkanen zusammen mit  Mitmusikern.
Auf "Boulder Thicket" hört man fragile und spröde Folkmusik. Zwar wie man sie immer wieder von allen möglichen mehr oder weniger interessanten Leuten angeboten bekommt. Doch: Luai ist eine herausragende Ausnahmeerscheinung. Es gibt Momente, da möchte man fast an Nick Drake denken. Introspektiv versponnen oder auch verhalten swingend klingen die Songs von Luai. Hübsch und manchmal leicht schräg. Und jeden Moment wie kleine Kostbarkeiten.  Luais Lieder konnten mich vom ersten Kontakt an in den Bann ziehen.
Saara Markkanen lebt derzeit in Berlin und spielt erst seit einigen Jahren akustische Gitarre, was sie sich einfach beim Songschreiben beigebracht hat. Die Lyrics handeln von Befindlichkeiten. So etwas verarbeiten auch andere Musiker zu Stücken, aber nicht immer so schwebend schön wie bei Luai.  Markkanen schreibt über nebensächliche Kleinigkeit oder große Gefühle gleichermaßen. Klingt dabei altklug naiv. Weiß beispielsweise etwas über Einsamkeit: "...I knew how to give / but not to receive / Lonely as alone can be / I am full of empty sounds laying around / Lonely as alone can be." ("Lonely As Alone Can Be") Oder etwas, das mit dem Coverbild korrespondiert: "...too much of everything / enough of nothing / I stand still as the rivers flow by / In the middle of it all I forgot to ask why // I travelled far to meet all my tomorrows / only one greeting me was my past / running away from all the sorrow / I travelled far and I travelled fast..." ("Nobody Is An Island") Und weiß noch vieles mehr zu berichten. Das zu akustischer Gitarre, Bass, Perkussion,  Piano, Cello und Holzblasinstrumenten erzählt wird. Luai ist ganz sicher etwas Besonderes im Meer des Songwriting.

Songwriting kokett und oldschool-mäßig -von Nataly Dawn

Nataly Dawn schreibt ganz amerikanisch Oldschool-haft als Songwriterin und nimmt klassisch mit Band in einem Raum auf. Dawn ist aber eine junge Frau, die in Frankreich aufwuchs, dann in den USA ein Universitätsstudium Kunst und Literatur absolvierte. "How I Knew Her" ist ihr zweites Soloalbum. Der Sound ihrer Band verweist auf die grobkörnige Unmittelbarkeit traditioneller Folkmusik mit bluesigen Einsprengseln. Dawn wirkt wie college gratuated einerseits, streetwise andererseits. Eine spannungsgeladene Mischung. Dawns Stimme ist kraftvoll bissig, mal hell mal dunkel, und sie gibt sich dabei teils auch kokett sophisticated und spielerisch smart. "How I Knew Her" klingt oft ein bißchen nach Aufnahmen von Sam Phillips, was keineswegs nachteilig ist. Vermutlich hat Dawn auch einige Ahnung von der Songwriterszene in Los Angeles. In Kalifornien lebt sie derzeit. In Dawns exzellenter Band fällt prägend der Gitarrensound auf. E-Gitarrist ist Ryan Lerman. Man findet ihn auch an Banjo und Mandoline. Dawn selber spielt auf der CD akustische Gitarre und einmal Piano. Die Gitarrenarbeit von Lerman und Dawn wird immer wieder stark rhythmisch und kantig. Das Backing von Louis Cole und Matt Chamberlain am Schlagzeug ist sparsam, eckig und klar, der Standbass von David Pitch ruhig und warm. Manche Songpassagen betonen Streicher und Bläser. Die Instrumentalisten der Band arbeiten außer mit Dawn mit namhaften Musikern wie z.B. Bill Frisell, Bonnie Raitt oder K.D. Lang zusammen. Dawn und Band sind sich ihrer musikalischen Präsenz spürbar sicher. Man höre sich nur mal "Back To The Barracks", "Caroline" oder "Please Don't Scream" an. Nataly Dawn entstammt dem Duo Pomplamoose, das sie vor ihren Soloveröffentlichungen mit Jack Conte zusammen formierte. Beide begannen 2008 independent über das Internet. Conte hat das vielversprechende "How I knew Her" produziert. Das in den Prairie Sun Studios in Cotati in Kalifornien aufgenommen wurde, wo zuvor einige von Dawn's Lieblingsalben von Tom Waits entstanden waren. Und sehr eigenwilligen Charakter zeigt entsprechend auch Nataly Dawn.

Tish Hinojosa
"After The Fair"
www.mundotish.com
Luai
"Boulder Thicket"
www.saaramaija.tumblr.com
Nataly Dawn
"How I Knew Her"
 www.natalydawn.tumblr.com

veröffentlicht: www.aurora-magazin.at

Thursday, June 12, 2014

Brazil-Clubbing für sommerliche Leichtigkeit und etwas Oberflächlichkeit: Janice Andrade

Janice Andrades Sound of Brazil in Form des Zusammenwirkens von Jazz, elektronischer Elemente und Bossa, das sind brasilianische Rhythmen und Clubsound. Entstanden ist das Album "Janice" durch die  Zusammenarbeit der Brasilianerin und Wahleuropäerin Janice Andrade mit dem deutschen Produzenten Christoph Isermann, die beide fast alle Songs für "Janice" selber geschrieben haben. Janice Andrade ist eigentlich Tänzerin und Choreographin und Bewegung und Rhythmus sind ihr mehr als vertraut.  Also natürlich auch das Percussionslastige der typischen brasilianischen Musik, die  Wurzeln hat in Portugal, Afrika und  dem Indigenen. Andrade und Isermann kreieren aus diesen Elementen einen rhythmisch-verspielten aber coolen, hübsch schwebenden, allerdings vielleicht etwas glatten, Brazilian Sound, der sehr geeignet ist zum Relaxen im heißen Sommer. Und vielleicht doch nicht nur für oberflächlich gestylt ist. Das unterkühlte, das Andrade ihrem Album "Janice" als Ergänzung hinzufügt, wirkt wie Eiswürfel im Cockktailglas. Janice Andrades Gesang ist wie für den Bossa Nova spezifisch eher zurückhaltend und fügt sich nahtlos in den Brazil-Clubbing Rhythm dieser Adaption des Bossa, bei der das Jazzige und Elektronische Gewicht erhält. Keyboards, Bass und Programming stammen von Christoph Isermann und einige weitere Musiker haben sich mit eingeklinkt. Musik ist das für Momente des Chillens und der Leichtigkeit mit einer Idee zurückgelehnter Melancholie des Bossa-Lebensgefühls. Das haben insbesondere auch Männer geprägt wie João Gilberto oder Gaetano Veloso und in Musik umgesetzt. Janice Andrade gelingt  sich selbstbewußt im  Kontext neuer brasilianischer Musik zu zeigen.

Friday, June 06, 2014

Folkdays aren't over

Bissig und unerschrocken: Weibliche Standfestigkeit und Songwriting - Flip Grater

Selbst mit lieblicher Stimme kann Flip Grater bissig sein. Bissigkeit und Unerschrockenheit  sind die Stärke der Singer-Songwriterin. Sie scheint nichts zu fürchten, und kann Unbill und Unwesen trotzen. Ihr Leben ist vermutlich gut, daraus kommt auch die Kraft von lauernden Abgründen, bösen Gefahren und finsteren Gestalten singen zu können. Mit Erotik und Melancholie im meist düsteren Timbre erzählt die Neuseeländerin Geschichten, die in den Pigalle Studios in Frankreich, ihrem derzeitigen Lebensmittelpunkt Paris,  aufgenommen wurden. Einfach mit "Pigalle" ist auch dieses 4. Album betitelt. Pigalle, einstige Heimat namhafter Maler und Vergnügungsviertel mit aber auch anspruchsvollen Musikalienhandlungen in der Nähe. Etwas anrüchig kommt Graters Liedgut daher, das aus kantigen, coolen Folk- und Alt-Countrysongs besteht. Sie mag Tom Waits und Nick Cave mögen und darf sich dabei auch an diesen Größen messen, genauso wie an der Authentizität einer Michelle Shocked. Denn"Pigalle" ist ein souveränes Werk, produziert von dem Gitarristen Maxime Delpierre.  Auf ihrem eigenen Label Maiden Records hat Grater begonnen ihre Scheiben herauszubringen, auf dem auch andere Musiker schon veröffentlichen konnten. Nebenbei bemerkt: Die über 30-jährige Flip Grater hat zudem schon Musikkritiken, Reisetagebücher und Kochbücher geschrieben und für Radio und Film gearbeitet. Sie ist eine sichere Autorin. Die Lyrics von "Pigalle" analysieren feinsinnig eigene Lebenserfahrung und Beobachtungen anderer Leute Leben. Eher grobkörnig und mit markanten Momenten arbeitet die mitwirkende Band. Flip Grater spielt selber höchst überzeugend eine bewusst karge Gitarre. Und die stimmig agierende klassische Bandbesetzung ist angereichert mit gekonnten Bläsersätzen. Mit den Worten "...And I will take a moment to address my weary soul" endet der Song "My Only Doll". Flip Graters Lyrics sind von der härteren Sorte und wollen nicht nur idyllische sondern auch bittere Wahrheiten herausschälen. Beim Eintauchen in Graters Songwriter-Kosmos braucht man wie die Musikerin selbst etwas Standfestigkeit für ein ziemliches Maß an substanziell Existenzialistischem.


Flip Grater "Pigalle"
Make My Day Records


veröffentlicht: www.melodiva.de
veröffentlicht: titel-kulturmagazin.net