Monday, September 20, 2010


Café Hypo Kunsthalle München
Foto: © Tina Karolina Stauner

Saturday, September 18, 2010


piano possibile
Foto: © Tina Karolina Stauner

„Das Ensemble als Brutstätte klanglicher Kunst“

piano possibile mit “infected by noise”

Noise bis Hardcore ist optimalerweise eine positive Energie. So habe ich das in der Vergangenheit immer wieder herausgefiltert. Diesmal das Ensemble piano possibile mit “infected by noise” am 05.07.10 im i-camp München. In bester Tradition. Allerdings nicht sehr der Rockszene nahe, wo diese Genres in früheren Jahren stark angesiedelt waren, sondern im Bereich der Neuen Musik. Und dies funktioniert tatsächlich exzellent und ist ein absolut gehbarer Weg. piano possibile, eine Münchner Formation, zeigen mit ihrem Programm “infected by noise” internationales Niveau. Mit der Interpretation von Kompositionen von Emanuele Casale, Michael Gordon, Gilles Gobeil, Bernhard Lang, Klaus Schedl, Philipp Kolb und vom Enemble selber.
Die Dramaturgie des Konzerts ist mit einem durchgeplanten Spannungsbogen ähnlich wie bei einem DJ-Set . Und changierend zwischen vokal, instrumental und elektronisch. Zwischen zurückhaltender Introvertiertheit und direkter Extrovertiertheit. piano possibile klingen dabei zwar zwar kontrolliert, aber immer höchst energetisch. Sind sowohl Ensemble als auch wie eine Rockband.
Bemerkenswert das Stück “I buried Paul” des Komponisten Michael Gordon einzuordnen im Post-Minimal und Totalism. Gordon, Mitbegründer von Bang on a Can, kombiniert und vereint Elemente aus Punk, Free Jazz und Klassik.
piano possibile, das es seit 1993 gibt, betont, dass es um die Lust an der Teilnahme spannender Prozesse künstlerischer wie gesellschaftlicher Natur geht. Rastlos auf der Suche nach immer neuen Herausforderungen.

http://www.pianopossibile.de

veröffentlicht: http://www.textem.de

Friday, September 17, 2010

Kevin Coyne: Ein Songwriter, der riskant spielte mit harten Themen, bösen Abgründen, künstlerischen Exzessen und tiefem Sarkasmus - »Blame It On The Night«

Kevin Coyne, 1944 geborener englischer Exzentriker, erzählte mit seinen Songs skurrile Geschichten von merkwürdigen und bemerkenswerten Gestalten. Und von Facetten seines eigenen Denkens und Fühlens. Coyne präsentierte sich mal grinsend spöttisch, mal schwermütig in sich gekehrt, mal in fein sensiblen Tönen, mal unbändig rockend. Er war ein eher kleiner, untersetzter Mann und auf seinem relativ groß geratenen Kopf explodierte eine widerspenstige Haarmähne.

Der aus Derby stammende Coyne studiert in den späten 50er, frühen 60er Jahren Kunst und ist dann einige Zeit als Sozialarbeiter tätig. Danach fängt er als Musiker Kollaborationen an mit wichtigen Leuten der Londoner Szene. Anfang der 70er Jahre mit dem DJ John Peel, der Coynes Band Siren auf Dandelion herausbringt. Diese ersten Veröffentlichungen sind ungestümer englischer Bluesrock, dem man noch Coynes ursprüngliche Liebe zum Rock’n’Roll anmerkt. Und schon die Tendenz zu einem einzigartigen, unverwechselbaren Songwriting. Das er im Verlauf der 70er dann mit Musikern wie Robert Wyatt, Zoot Money oder Andy Summers und diversen anderen umzusetzen beginnt. Richard Branson nimmt ihn bei Virgin unter Vertrag.

»Dynamite Daze, »Millionaires and Teddy Bears« , »Bursting Bubbles«, »Pointing the Finger« sind einige der herausragenden Platten, mit denen Coyne in den letzten 70er und ersten 80er Jahren zeigt, dass er etwas Besonderes ist. Eine Ausnahmeerscheinung mit der Fähigkeit wunderschönste, sanfteste Lieder zu schreiben genauso wie rauesten, schrägsten Rock. Er lässt sich nicht einengen. Arbeitet zusammen beispielsweise mit der Punkband Ruts wie auch mit der Artrockerin Dagmar Krause. Sein Output ist immens. Er ist auf wechselnden Labels. Unverkennbar immer der rohe, ungeschliffene Klang seiner Gitarre. Und seine Stimme mit einem Spektrum von liebevoll warm, forsch aggressiv bis grausam schreiend. Oft performt er auch alleine mit akustischer Gitarre. Er hat eine spezielle Art, auf seinem Instrument Akkorde mit dem Daumen zu greifen.

»Talking to no-one is strange, talking to someone is stranger
You might be in danger yes if you say too much in this world«
(»Talking To No-One« aus »Marjory Razor Blade« 73)

In seinem Songwriting kann man Gegensätzliches entdecken: Pathos und Ironie, Härte und Empfindlichkeit. Er ist introvertiert, introspektiv in Details und geht egozentrisch analysierend in die Totale von Extremen in Liebe, Hass, Zynismus, Glück, Depression, Spiel und Ernst. Und dies als authentischer Seelenstrip oder beobachtende Parodie. Und er tendiert zu eher links-politischen und sozialkritischen Aussagen.

Es wird irgendwann auch von einem psychischen Zusammenbruch die Rede sein, den Coyne in all dem einmal gehabt haben soll. Sein Umfeld will dies so gesehen haben. Was er dann auch wiedergibt. Ungebrochen und in Bestform gelingt ihm jedenfalls in den 80ern weiterhin absolut Präsenz zu bieten, nun mit Musikern wie Bob Ward, Steve Lamb, Dave Sheen, Peter Kirtley. Ich sehe ihn, wie er offenbar mit Leichtigkeit und traumwandlerisch sicherem Rock-Feeling harte Themen, böse Abgründe, künstlerische Exzesse und tiefen Sarkasmus im Griff hat. Doch es ist ein gefährlicher Seilakt. Dies dokumentiert er auch 1984 mit der CD »Legless In Manila«. Insider hegen hohe Erwartungshaltung hinsichtlich Zukünftigem.

Szeneleben, Alkohol, Drogen und Psychopharmaka. Oder alles zusammen. In solchen Mühlen starben so geniale Songwriter wie Nick Drake oder Tim Buckley. Fast kam dann auch Kevin Coyne um. Da muss etwa 85/86 ein krasser Alkoholabsturz gewesen sein in München. Und er soll in der Nürnberger Bahnhofsmission gestrandet sein (weiß »Die Zeit« 51/2004). Und zumindest das Londoner Leben Coynes hatte sich in Nichts aufgelöst. Es gab davon nur noch Schallplatten. Und Grafiken und Gemälde.

Sigi Maron und Martin Odstrcil, Songwriter der österreichischen und bayerischen Szene, die mit Coyne zusammenspielten, verweisen lapidar auf Alkohol, gefragt, was bei Coyne so schief lief in fraglicher Zeit. Und Maron spricht von wilden Jahren ohne Rücksicht auf Körper und Seele
Konzerte beobachtend sah ich Coyne damals auch nie viel mehr trinken als andere. Vermutlich aber passierten Dinge, die ihn bis ins Mark trafen.

Entscheidende Kontakte in der europäischen Szene brachen ab. Er war damals ohne Plattenvertrag. Die Tage mit namhaften englischen Musikern gehörten der Vergangenheit. Fand sich in früheren Jahren in den Bestenlisten von Djs und Journalisten, die u. a. auf Songwriter spezialisiert waren, so gut wie jede von Coynes Veröffentlichungen, so begannen diese ihn zu ignorieren. Er verband sich in Nürnberg mit einem Management.

»Connections get lost dear, that's what they say
And I'm a specialist of that
And I do it in my own special way«
(»A Little Piece of Heaven« aus »Bursting Bubbles« 80)

Als er mir 87 erstmals privat begegnete, hatte er längst ein neues Leben in Deutschland begonnen. Getrennt von seiner Londoner Ehefrau und den Söhnen. Hatte eine WG und eine Beziehung in Nürnberg hinter sich. Wohnte in dieser Stadt allein in einer Wohnung in einem einfachen Nachkriegshaus am Rande einer Villensiedlung. Unversehens lief er mir eines Nachmittags zufällig über den Weg und ich grüßte ihn. Coyne gab sich sofort kommunikativ. Und bald zählte ich zu seinen Gästen.

Er besaß zu diesem Zeitpunkt nicht viel. Im Arbeitszimmer eine Schachtel Stifte und Gouachen. Einen Stapel kleinformatige Zeichnungen. Einzelne Leinwandmalereien. Im Schlafraum schwebte an der Zimmerdecke ein Himmel aus Tuch. Eine schmale Reihe deutschsprachige Belletristik, Jugendliteratur aus dem Besitz einer ehemaligen Bewohnerin, lag in einer Ecke auf dem Fußboden. Ein Sammelsurium Spiegelfragmente hing an den Flurwänden. Im Wohnzimmer saß man auf Rattansesseln. Und es war ein altes Klavier darin und seine Gitarre. Ein paar Bluesplatten. An heißen Sommertagen redeten wir manchmal über Musik, Kunst, Gott und die Welt auf dem Balkon mit Aussicht auf den verwilderten Garten und edle Jugendstilwohnsitze. Eine einzige Idylle. Coyne servierte dabei schwarzen Tee mit Milch. Die englische Art. Und in der Küche lud er schon mal ein zu Ham and Eggs. Bei Menschen, mit denen er sich umgab, zeigte er sich gastfreundlich und beredet. Er war immer ein Erzähler. Sprach unentwegt, viel und gern. Über sein Musikerleben genauso wie über sein Beziehungsleben. Er liebte das Gefühl, Mittelpunkt zu sein. Motivierte mich aber sofort auch in meiner künstlerischen Tätigkeit.

Coyne nistete sich zunehmend in der Nürnberger Musikszene ein. Frequentierte dort Bars. Spielte mit bayerischen Musikern. Holte man ihn ab, um mit ihm in ein Café zu gehen, nahm er eine Hand voll Münzen vom Klavier und steckte diese in seine Jackentasche. Das Geld, das er hatte, lag immer auf dem Klavier herum. Er hatte es von Auftritten in der süddeutschen Kulturszene. Festivalzelte, Theaterbühnen, Kleinkunstkneipen.

»Tear me up, I'm just a book«
(»Tear Me Up“« aus »Stumbling On To Paradies« 87)

Die LP »Stumbling On To Paradies« kam heraus. Und er zelebrierte Harmonie. Doch man wusste in der Musikszene, dass es Probleme gegeben hatte. Er erwähnte auch Anonyme Alkoholikertreffen und Psychiater. Und reaktionäre und konservative Kreise wollten ihn wohl am liebsten als Fall sehen. So habe ich ihn jedenfalls nicht erlebt. Er wirkte zwar manchmal gestresst und hatte zerstörte Beziehungen hinter sich, doch sah ich ihn nie außer Kontrolle oder restlos niedergeschlagen. Er konnte verschmitzt lächelnd zänkisch sein. Sein Humor. Und der Vielredner konnte gedankenversunken werden. Dann wollte er in Ruhe gelassen werden. Der Alkohol spielte in seinem Leben und seinen Stimmungen keine Rolle mehr.

Warum er sich nun aber fast als Szenematador Nürnbergs zu gefallen schien, konnte ich auch mit großer Skepsis nicht ergründen. Die Sachzwänge wohl. Er hatte sein Brixtoner Haus nicht mehr. Und unbezahlte Rechnungen. Und angeblich einmal abgelehnt, bei den Doors einzusteigen.

Die Songs für »Stumbling On To Paradies« stellten so etwas wie einen Hybrid dar. Da war noch die ungemeine Energie der Londoner Szene zu spüren, die er hatte verkörpern können. Doch alles das jetzt in Verbindung mit vergleichsweise gezähmtem und begradigtem deutschen Rock der Paradies Band. Trotzdem schien in der Karriere des unberechenbaren Coyne weiter alles möglich.

Eines Tages stand ganz plötzlich seine Wohnung leer. Eine verlassene Insel sozusagen. Er siedelte um in ein Zimmer bei einer Freundin in einer engen Straße Nürnbergs, in der sich kleine Mietshäuser aneinandeschachtelten. Sein Leben sei die Kunst, sagte er nun, die Augen niederschlagend. Er blieb freundlicher Gastgeber, doch waren seine einst so existenzialistischen Gespräche nun auch durchzogen mit manchen Floskeln. Was ihn berührte, was vorkam, sprach er nicht mehr selbstverständlich aus. Meine Besuche bei ihm wurden sehr selten.

Unzählige Zeichnungen, Malereien, Kurzgeschichten und Songs entstanden weiter in den 90er Jahren in diesem Arbeitsraum. In dem er sich mit Regalen voller Sammlungen umgab. Sein Werk berichtete weiter von bizarren Begebenheiten und seltsamen Alltagsdingen, von hübschem oder schrecklichem Zwischenmenschlichem. Witzig comicartig einerseits, ehrlich einfühlsam andererseits und bunt. Man stellte ihm ein Aufnahmestudio zur Verfügung. CDs wurden eingespielt mit seiner Nürnberger Band oder manchmal auch seinem Sohn und schließlich von Coyne selber herausgegeben. Wie fast immer mit Cover-Design von ihm selber. Hauptsächlich in Franken fanden Ausstellungen, Lesungen und Konzerte statt. Er erhielt einen regionalen Kulturpreis. Das Lebensgefühl Nürnbergs absorbierte ihn im Grunde genommen. Und doch blieb er dabei wie fieberhaft produktiv und eigenbrötlerisch. Seine eigenwillige Weise Gitarre und Piano zu spielen fügte sich nun aber mehr als ein Jahrzehnt lang zu oft ein in eher herkömmlich klingenden Rock von fränkischen Musikern. Man hört sich besser seine Londoner Einspielungen an.

Begegnete ich ihm gelegentlich, war zu bemerken, dass sein einstmals souveräner Blick sich flackernd irgendwo splittete. Dabei sagte er aber, dass es ihm gut ginge. Abseits der Metropolen auf Distanz zu London. Meist ohne die internationale Musikszene und die angesagten Clubs. Weder als Musiker noch als Besucher war er dort in den 90er Jahren regelmäßig anzutreffen. Oft verließ er sein Arbeitsdomizil grade mal, um in einer lokalen Szenebar in seiner Straße aufzutauchen. Alles war nicht mehr, wie es einmal war, was er versuchte zwischendurch bei überregionalen oder internationalen Auftritten kaum merken zu lassen. Manchmal gelang dies mehr, manchmal weniger.

»Looking from my window late at night, there's burning, there's burning
Look at the sky, look at the light, it's burning, it's burning«
(»Looking From My Window“« aus »Life Is Almost Wonderful« 02)

Nachdem er 02 mit Brandan Crocker die CD »Life Is Almost Wonderful« auf dem Markt hatte, fing man an, ihm wieder etwas breiter Beachtung zu schenken. Und Coyne begann auch erneut verstärkt weltweit Kontakte zu knüpfen und umfangreiche Tourpläne zu machen. Doch die tödliche Krankheit Lungenfibrose ruinierte nun zunehmend seine Möglichkeiten. In seinem letzten Lebensabschnitt konnte er den Großteil des Tages nicht verbringen, ohne mit Schläuchen an einen Sauerstofftank verbunden zu sein. Teilweise war er so geschwächt, dass er einen Rollstuhl brauchte. Obwohl er bis zum Schluss immer wieder und wie um dem Schicksal zu trotzen am Arbeitstisch, im Studio und auf der Bühne zu finden war. Eine Woche vor seinem Tod schmiedete er mir gegenüber am Küchentisch Zukunftspläne. Aber es war das erste Mal, dass ich ihn mit verzweifelten Tränen in den Augen sah. Am Tag seines Todes im Jahr 04 wollte er zu einem Auftritt nach Wien.

Die 4-CD-Box »I Want My Crown – The Anthology 1973–1980«, 2010 von Virgin herausgegeben, ist gute Information über Coynes exzellente Londoner Zeit. Coyne hätte einer der ganz Großen werden können. Hätte er sich nicht so auf Nürnberg eingeschränkt. »Right now I’m sitting back a bit and waiting. I’ve produced a massive volume of songs that have gone largely unnoticed and I’ve just got to wait for people to catch up. That‘s all.« (Kevin Coyne. 78, booklet »I Want My Crown.«) Er hat sich 04 nicht nur zurückgelehnt. Er lebt nicht mehr. Für ihn selber gibt es nichts mehr zu holen.

veröffentlicht: http://www.textem.de