Wednesday, December 09, 2009


Architektur in Wien
Foto: Tina Karolina Stauner, 2007

Architekturzentrum:
www.azw.at

Tuesday, December 08, 2009


Szenenfoto © Arno Declair

Gedanken zu "Das letzte Band/Bis dass der Tag euch scheidet oder eine Frage des Lichts" von Samuel Beckett/Peter Handke inszeniert von Jossi Wieler.
Seit 30.10.09 in den Münchner Kammerspielen

Jedes Wort, jede Geste gnadenlos ins lächerlich gezogen. Der Beginn des Stücks. Dies entspricht zwar Beckett, aber die Art wie ich Beckett gelesen habe vor Jahren, war ein Spiel mit Ebenen. Von amüsiert lächelnd, hart zynisch, verspielt ironisch bis poetisch voll innerem Wert. Ich liebte dieses Spiel, mir bei Beckett diese Ebenen aussuchen zu können. Zwischen ihnen hin und her zu wechseln von einem Moment zum anderen.
So gesehen wurde von Jossi Wieler die Totalentwertung von Text betrieben.
Die Figur des Krapp völlig lächerlich und abgewrackt nur mit altem Koffer, Tonband, Bändern, Stuhl und Tisch in einem von Anja Rabes gestalteten Gerüst von Raum. Umgeben von Schwarz. Mit Erinnerungsfetzen, die nicht mehr den geringsten Wert haben. Texten, die nicht mehr den geringsten Wert haben. Einem Leben, das nicht mehr den geringsten Wert hat. Nichts mehr kann dann einen Wert gewinnen. Als die Szenerie wechselt, die Bühne sich zu tieferem Raum öffnet, werden an der Rückwand hochformatige Schwarz-Weiß-Bild-Projektionen gezeigt, mit Szenen, die eigentlich Wert hätten: Bilder voll Qualität mit menschlichen Körpern und Stillleben, die auf echtes Gefühl, echtes Leben, wertvolle schriftstellerische Arbeit verweisen. Im Stück auf der Bühne sind all diese Momente entwertet. Und können auch durch einen Stückwechsel im Stück nichts mehr dazugewinnen.
Samuel Beckett: sarkastischer, skuriller Endzeitvisionär. Peter Handke: feinsinniger, introspektiver Beobachter. Je ein Text der beiden in einem Stück, der deutschsprachigen Erstaufführung "Das letzte Band/Bis dass der Tag euch scheidet oder eine Frage des Lichts". Wobei Handkes "Bis dass der Tag euch scheidet oder eine Frage des Lichts", von ihm eher als Echo, nicht als Antwort auf Becketts "Das letzte Band" gesehen wird. Zwei Protagonisten: Ein Mann blickt auf ein Leben zurück, das nur noch wie ein leeres Spiel wirkt. Eine Frau redet wie in einem Leben, das wie ein leeres Spiel ist. Leere und zwei ihrer Spielarten. Und gleichzeitig entwertet die Inszenierung dann noch die literarische Textvorlage. Höhlt sie aus. Im Interesse, die Wahrheit über das Theater, die Wahrheit über Gegenwärtiges zu zeigen? Einem Gegenwärtigen, in dem Krapps Pathetik gnadenlos antiquiert wirkt und seine offensichtlichen inneren Verwüstungen so fremd und überflüssig wirken, dass sie nur noch die Lächerlichkeit per se zu sein scheinen. Krapp wirkt nur noch wie ein nicht ernst zu nehmender Penner. Nur noch wie ein völliges Wrack, dessen ganze Existenz ohne Sinn war. Und ohne Gewicht ist und bleibt. Ein Mensch mit Wertvorstellungen scheint nicht mehr als irgendein zu nichts nutzer niederer Organismus gewesen zu sein und zu bleiben.
Von Beckett selber sagte Cioran, er lebte nicht in der Zeit, sondern neben der Zeit. Hätte Krapp dies getan, hätte er ein Beckett sein können. Beckett lebte asketisch. Als Avantgardist, der am toten Punkt der Literatur laborierte, sagt man gerne. Aber höchst lebendig, höchst energetisch. Und konnte sich leisten zu sagen: "Ich hatte immer das Gefühl, als ob in mir ein Ermordeter wäre."
Doch in Wielers "Das letzte Band" eine schier unerträgliche Sinnlosigkeit. Sinnlos, dass Krapp von sich redete und dokumentierte. Sinnlos, dass diese Tonbandstimme noch spricht. Sinnlos, dass Krapp diese Stimme nach 30 Jahren wieder sprechen lässt und anhört. Dann Handkes Frauenfigur, die ihr Spiel beginnt mit den Sätzen: "Mein Spiel jetzt. Dein Spiel ist ausgespielt..." Doch sinnlos, dass sie dieses leere Spiel spielt. In dem ihre Meinung wie völlig erübrigbares, oberflächliches Geplapper klingt. Dass sie Krapp sozusagen überlebt hat, war, ist und bleibt somit nichts als sinnlos. Nicht ein Wert, sondern gleichzeitig die Totalentwertung. Demnach auch sinnlos, dass Beckett und Handke diese Texte geschrieben haben. Die Texte demnach austauschbar. Man hätte sie gar nicht zu schreiben brauchen. Beckett und Handkes Existenz demnach sinnlos. Austauschbar. Alles austauschbar. Jeder oder keiner hätte schreiben können. Das oder etwas anderes. Irgendetwas.
Somit wäre Literatur überflüssig. Untergegangen in der Leere vernichtender Ironie. Nichts als Überflüssigkeit von Literatur. Die endgültige Negierung. Dass man irgendwann irgendwo einmal auch manchem einzelgängerischen, verschrobenen Poeten, Spinner vielleicht, einen besonderen Wert zusprach, auch in der Literaturgeschichte, alles wie in einer fernen Vergangenheit anderer Wertvorstellungen oder in einer nie existent gewesenen Welt. Somit die Totalentwertung dessen, was Leben ausmachen kann. Dessen, was Spiel ausmachen kann. Dessen, was Literatur ausmachen kann.
Fragt sich, ob das bei Wieler in dieser Härte intendiert war. Wenn Theater so weit geht, dann solllte das überdeutlich herausgearbeitet werden. Sollte das in aller Deutlichkeit entlarvend klar gemacht werden. So weit aber ging Wieler nicht. Er siedelte in einem Dazwischen an. Interpretierbar. Auch für den Mainstream adaptierbar. Handkes Protagonistin als eine Figur in einer bloß hübschen, leichten Moderne als akzeptabler Lebensentwurf. Zum nett Beklatschen.
Abschließend nochmal Zitat aus dem Programmheft: "Becketts Texte quitieren den Bankrott jeder Revolution, jeder weltlichen Eschatologie."

www.muenchner-kammerspiele.de
Veröffentlichung: www.skug.at