Tuesday, October 25, 2011

Nick Lowe - Fake-50s/60s

Nick Lowe, das ist der, der 1978 in der Nach-Punk-Aera mit der genialen Platte "Jesus of Cool" auftauchte. Der Londoner, der damals im New Wave die Energie von Rock n' Roll und Punk mit Songs wie " I Love The Sound Of Breaking Glass" weitertransformierte ist nun 62-jährig, weißhaarig, schwarzbebrillt, mit einem sehr gelungenen 13. Album "The Old Magic" da. Klingt cool-modernistisch und timeless-oldfashined. Mit viel Leichtigkeit, Souveränität, Können. Nick Lowe zeigt wieder Sensibilität, Gefühl und Liebe für swingenden Rock n' Roll mit einem Touch Country, mit einer Idee Pop, mit einem Kick 50s und 60s und mit ironischen Texten. Das wirkt wie eine kleine Zeitreise. Nachmittags zur Kaffeepause anhören: Inspiriert auf jeden Fall zu guter Laune! Die Band spielt vorzüglich, straight, mit Verve, aber ein bisschen laid-back. Lowe ist an der Rhythmusgitarre, in der Besetzung noch zwei weitere Gitarristen. Zudem Schlagzeug, Upright Bass, Orgel, Piano, Vibraphon. Und Lowe hat besonders mit "Sensitive Man" wieder mal einen so was von wunderbaren Song.

Nick Lowe "The Old Magic" (Proper/Rattay)

www.nicklowe.com

veröffentlicht: www.skug.at www.culturmag.de

Sunday, October 23, 2011

Flashbacks - Dieter Dorns Theater
"Theater ist politisch oder es ist kein Theater"?

Für wen die Theaterzeit von Dieter Dorn und seine Intendanz am Bayerischen Staatsschauspiel nicht sofort der Vergessenheit angehört, ob nun mit Aktuellem vergleichend, negativ kritisierend oder positiv schätzend, der kann den Bildband "Sinnliche Aufklärung - Dieter Dorn und das Bayerische Staatsschauspiel 2001-2011" zur Hand nehmen: Schauspielerporträts, Szenenfotos, Bühnenbildaufnahmen, Texte zum Theater dieser Jahre und eine Auflistung der Stücke. Die durchwegs starken Fotos stammen von den beiden Fotografen Thomas Dashuber und Oda Sternberg. Das Buch beginnt mit dem Satz: "Theater ist politisch oder es ist kein Theater." (aus "Theater als Gesellschaftskunst", Hans-Joachim Ruckhäberle) (Hirmer Verlag)

Interview am 07.06.2011 von faz.net mit Dieter Dorn:
Interview

Fotograf Thomas Dashuber: www.dashuber.de

Friday, October 21, 2011

Risidenztheater München: Theater, dieser "rettende kultische Ort" müsse "ein Gefühl für die Bedrohlichkeit der Welt erhalten", so Martin Kusej. Das ehemalige Staatsschauspiel München kann seit diesem Oktober 2011 nun als Residenztheater unter neuer Intendanz von Kusej in den Fokus genommen werden.

"Krise heisst Höhepunkt" ist einer der diversen Spielzeitanfangs-Werbeslogan des Residenztheaters. Kräftige rote Schrift auf schwarzem Grund. Die Werbekampagne in den Straßen der Stadt im Vorfeld ließ nicht daran zweifeln, dass man alles andere als bloß elitär l'art pour l'art präsentieren will. Natürlich. Dass es definitiv intellektuell um Auseinandersetzung und Widerstand gehen soll. Dies allerdings besten Stils. Und auch als Kontrapunkt zu zu mainstreamigen Events. Die Münchener Kulturszene muß dabei vielleicht erst mal zeigen, dass es das Residenztheater wirklich wert ist.

"Zur Mittagsstunde" - American Crime auf deutscher Theaterbühne mit souveränen Schauspielern mit einer guten Brise Coolness und Exklusivität.

Aufführende und Regie sind ein namhaftes Team. Die Souveränität nicht überstrapaziert prätentiös sondern klar, präzise und zeitgemäß. Theater und Relevanz.
Nachdem ein zum Aussenseiter gemachter Farbiger 37 Kollegen umgebracht hatte war John Smith, der ehemalige Vorgesetzte dieser Personen, einziger Überlebender. John, hervorragend gespielt von Norman Hacker, ein von Schuldgefühlen beladener Traumatrisierter mit verdächtiger Bekehrung zu Gott. John hatte während des Überfalls eine rettende Gotteserfahrung und ist nun geradezu missionarshaft unterwegs und kommt jedem damit suspekt vor: seiner Ex-Frau, seiner Ex-Geliebten, einer Ex-Kolleginnentocher und Prostituierten, einer Showmasterin, einem Anwalt und einem Polizisten. John aber ist und bleibt erleuchtet, spricht vom Licht Gottes und von Gottes Stimme. Früher ein grässlicher, machohafter Charakter, ist John nun ein Weichgespülter, der in Sachen übermäßiger Güte unterwegs ist und auf andere dabei lächerlich wirkt. Er scheint nach dem Überfall in einem Ausnahmezustand zu bleiben.
Die Textvorlage von Neil LaButes "Zur Mittagsstunde" ist so exzellent wie die Leistung der Schauspieler auf der Bühne des Residenztheaters. Von Wilfried Minks stammt sowohl Bühnenbild als auch Regie. Und zwar alles hochgradig perfekt . In der Tradition des amerikanischen Realismus. Genau so lässt sich tatsächlich auch die Substanz der Arbeit des amerikanischen Malers Edward Hopper weiterentwickeln und umsetzen. Die Bühne ist fast wie mit den Augen und der Lichtregie eines Hoppernachfolgers gesehen. Die Schauspieler in Kostümen von Renate Martin und Andreas Donhauser sind geradezu Figuren aus einem hopperesken Gemälde. Präziser Realismus.

"Voices" - "Eine moderne Passion" als abgründiges Pop-Musical

Der Regisseur Calixto Bieito hat in Zusammenarbeit mit Marc Rosich und der Bühnenbildnerin Rebecca Ringst eine Collage auf die Bühne des Cuvilléstheaters gebracht, die aus Musik, Texten und Szenen zum Begriff 'Passion' zusammengesetzt ist. Zentrale Themen sind Schmerzerfahrung, Leid, Abgrund, Angst, Trauer. Und zwar ohne Religion. Collagenhaft wie das Inhaltliche auch formal die Bühnenrückwand, bestehend aus vielen beweglichen, schwarzen Lautsprecherboxen und eingefügten Monitoren, auf denen Augen und Lippen zu sehen sind. Die vom Kopenhagener Betty Nansen Teatret aufgeführten Bühnenszenen von "Voices" vor dieser Wand wirken teils übermäßig pathetisch, teils auch amüsant skurril. Manchmal in einer Stimmung wie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Szenen wie eine Höllenvision zwischen Barock und Punk. Ein "Tanzen-auch-auf-Gräbern": Tanzen, singen, schreiben, damit in einer sinnlos scheinenden Gegenwart die Vergangenheit nicht auffrisst und in der Zukunft: "Der Tod wird mich lebend antreffen.", sagt eine Protagonistin. Unzählige Texte und Songs sind aneinandergeschachtelt von so konträren Charakteren wie beispielsweise Thomas Bernhard und Johnny Cash, PJ Harvey und Cesare Pavese, J.S. Bach und Cormac McCarthy. Eine Inszenierung an der Borderline von Kitsch, Kunst, Kommerz und Psychogramm. Und mit Kinderchor. Calixto Bieito hat aus diesem schwerlastigen, düsteren Stück eine Art nahegehend unterhaltsames Musical zusammengestellt.


Marstall München, "Eyjafjallajökull-Tam-Tam" von Helmut Krausser
Foto: © Tina Karolina Stauner

"Eyjafjallajökull-Tam-Tam" - "...der Raum blinzelt den Flaneur an..." (Walter Benjamin)

Als Theaterbesucher irrt man umher zwischen Schauspielern, die Flugpersonal und Passagiere sind, zwischen zwei Hallen, vielen Türen und Gängen, die nirgends weiterführen und zwischen Stückszenen, Fernsehschirmbildern und Videoleinwandprojektion im Düsteren und zwischen blauer Beleuchtung . Das ganze Areal des Marstall ist vom Ausstatter Alain Rappaport zur Bühne gemacht auf der sich die Stückemacher und das Publikum ohne formale Trennung gemeinsam aufhalten. Jeder ist mittendrin, wählt jederzeit frei aus, wo er was miterleben will. In einer labyrinthartigen Abflughalle. Flugverbot für alle. Alle sitzen fest. In "Eyjafjallajökull-Tam-Tam", geschrieben von Helmut Krausser und inszeniert von Robert Lehninger, vermischen sich Kommunikationsszenen, Theaterszenen, Beobachtende. Schließlich Pogo mit Band auf einer Bühne und eine Art Endspiel zur akustischen Gitarre um's Lagerfeuer. Ist das Krausser light? "Wenn's überhaupt Kunst wäre.", wird einem gestrandeten Künstler im Stück gesagt. Vielleicht so etwas wie eine Lockerungsübung zwischendurch für Autor, Regisseur, Performer, Zuschauer. Transiträume sind so. Flugplatzhallen sind Transiträume. Nicht-Ort als Schutzraum, Halt oder Endstation, Abgrund. "Transitorische Räume sind die gültigen Orte unserer Gegenwart - ästhetisch austauschbare Orte flüchtiger unverbindlicher Begegnungen, die man einsam durchquert, während man zugleich in der Masse all der Anderen geborgen scheint..." (Marc Augé) Das Stück ist für das ganze neue Ensemble des Residenztheaters geschrieben, das sich damit vorstellt. Zwei zentrale Stückfiguren sind Künstler, die sich der Erschaffung von Neuem, Autonomem verschrieben haben. Der Zuschauer wird Flaneur. Gesprächsthemen der Szenen sind Leben und Tod, Galaxien des Alltags und der Welt und des Alls. Nach knapp eineinhalb Stunden mischt man sich draussen ins Innenstadtleben, so wie man sich vorher unter die Reisenden und Wegelagerer in der Abflughalle des Stücks gesellte.


Marstall München, "Wir Glückskinder der ersten Globalisierung"
Foto: © Tina Karolina Stauner

"Wir Glückskinder der ersten Globalisierung", Veranstaltungsreihe von zu mit über Alexander Kluge - "...In den Lücken des Eises hatten sich unsere Vorfahren für Millionen Jahre zur Verteidigung eingerichtet, Lebenskraft gestaut.Jetzt löste sich der Bann, der Planet erwärmte sich. Die Lebewesen breiteten sich über den Erdball aus, zu Wasser, zu Lande. Dies war die erste Globalisierung..." (Kluge)

Ein Musikprojekt von Gustav und der Film "Landschaften mit Schnee und Eis" von Alexander Kluge treffen zum Thema 'Hitze Kälte" aufeinander. Das Wiener Songwriter- und Medienkünstler-Zuckerstückchen Gustav mit den schwer inhaltlichen Texten und leichten Popmelodien hat sich mit einem Kaliber wie Kluge auseinandergesetzt. Gustav, namentlich Eva Jantschitsch, hat die Show 'Kluge Hitze Kälte' zusammengestellt. Und das dann mit Band und mit Projektion im Marstall sehr hübsch auf die Bühne gebracht. Dafür verwendet wurden von Gustav produzierte Filmaufnahmen und Sequenzen aus "Landschaften mit Schnee und Eis" von Kluge mit Glühbirne, Streichholz, Eiszapfen etc. in Nahaufname zu Laptop-Musik mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Flügel, Keyboards und Akkordeon in der Band. Ein stimmungsvolles Bühnen-Klang- und -Bilderbuch. Im zweiten Teil des Abends gibt es den ersten Teil des genannten Kluge-Films mit Musik von György Kurtág, György Ligeti , Morton Feldman u.a. Wenn auch nicht jeder Gustav-Fan bleibt und dann die Filmrezeption will. Kluge, der fast 80-jährige gesprächsgewandte Filmemacher, Fernsehproduzent, Schriftsteller und Drehbuchautor kommentiert zwischendurch die Veranstaltung. Und er, einst Adorno-Schüler, wiederholt aus einem Gustav-Song den Satz: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen Hasen". Und es gibt Stichworte wie: Mehr Glück als Verstand, Spiel im Kopf, kleiner Mann im Ohr, Schnee, Lampe, Katze, Welt... - "...Globalisierung. Von diesem Glücksfall tragen wir einen Hoffnungsvorrat in uns, in den Kochen, den Augen, den Ohren, in unserem Gehirn, auf der Haut, in jeder Regung." (aus "Die Lücke, die der Teufel lässt", Kluge)
Die Kluge-Reihe wird in mehreren Terminen fortgesetzt mit Diskussion, Lesung, Film.

"Ich denke Slavoj Zizek hat Recht, der Philosoph aus Ljubljana, der feststellt, dass wir in einer Welt süchtiger Überbietung leben, in der Schocks und Katastrophen ihre provokative Kraft verloren haben." (Kusej)

Ein höchst informatives Buch "Bühnenbauer" von Wilfried Minks und Ulrike Maack über die Arbeit von Wilfried Minks wurde 2011 bei Suhrkamp veröffentlicht. Auf den schwarzen Papiereinband ist auf die Rückseite weiß gedruckt: "Ich habe die Bühnenbilder von ihrer illustrativen Aufgabe befreit und ihnen Autonomie gegeben."

www.residenztheater.de
www.martinkusej.de
www.kluge-alexander.de

veröffentlicht: www.skug.at

Thursday, October 13, 2011

Theater dieser "rettende kultische Ort" II ... Theater über und gegen die Gefahren in dieser Welt - Kammerspiele München: gesellschaftlich diskursives Theater

Seiner zweiten Spielzeit in den Kammerspielen München stellt Johan Simons Fragen voran wie : "Was heißt es einen Spielplan zu entwickeln in dieser Zeit, wo die Demokratie weltweit unter Druck steht?" Natürlich soll Theater politisch und gesellschaftlich diskursiv und von Relevanz sein. Dann gibt es auch einen guten Grund ein Theater zu besuchen.

"E la nave va", Schauspielhaus, 29.09.11

"Im Bewusstsein 'am Rande des Vulkans' zu sitzen weigert sich Fellini dennoch an das Ende der Welt zu glauben.", so ein Infotext. Das weigert sich wohl fast jeder auf seine Art. Johan Simons Inszenierung "E la nave va" tut dies in Karikaturistenmanier.

Die Lebenswelt von abgehobenen Opernstars samt Umfeld und von serbischen politischen Flüchtlingen und einfachen Maschinenraumarbeitern trifft auf einem Transatlantikdampfer für kurze Zeit aufeinander. Basierend auf zwei von Simons ineinandergefügten Werken: "Der haarige Affe" von Eugene O'Neill 1921 geschrieben und "E La Nave Va", ein Film 1983 von Frederico Fellini gedreht, 1914 spielend. Zwar tradiertem Theater nahe, insbesondere das Bühnenbild von Bert Neumann, aber gekonnt und stark karikaturhaft hat Simons inszeniert. Überspitzende Ironie, Halb-Gesichtsmasken, geziertes, bizarres Gehabe, puppige, marionettenhafte Bewegungen, so zeigt sich eine Schickeria auf Deck, das eine sehr schiefe Ebene ist, auf der sich alle nur schwerlich und nicht immer halten können. Das allerdings unterhaltsam und bewußt comicfigurenhaft Grandeza und Eleganz. Hervorgehoben durch die Kostüme von Nina Christine von Mechow. Herausgearbeitet wird die Konfrontation von Gesellschaftsschichten, der sich die elitäre Kulturszene, die die Schiffsbestattung eines Weltstars feiert, letzlich entzieht. Unterschicht bleibt chancenlos. Gerade hat Österreich Serbien den Krieg erklärt, die serbischen Flüchtlinge werden nicht gerettet sondern ausgeliefert und ein Arbeiter wird von dem Tiermonster, das Unterdeck mittransportiert wird, umgebracht, kann sich nicht wie gewollt etablieren. Sehr amüsant perfekt überzeichnet umgesetzt auf der Bühne.

"Gift", Schauspielhaus, 04.10.11

Reden, reden, reden. Und wenn es der falsche Ort ist und die falsche Zeit: einen anderen Ort und eine andere Zeit gibt es nicht.

"Gift" in Zusammenarbeit mit NTGent und von Lot Vekemans geschrieben ist ein Dialog. Ein seit einem Jahrzehnt getrennt lebendes Ehepaar trifft sich wieder. Anlässlich wegen Bodenvergiftung gesetzten Grabumbettungstermins eines Kindes. Das Paar führt ein Gespräch auf einer Art Sitztreppe eines Krematoriums. Von dem Bühnenbildner Leo de Nijs als Realismusversatzstück für die Bühne designt. Unter Regieführung von Johan Simons und weitgehend bei auf der Bühne und im Zuschauerraum gleich hellem Scheinwerferlicht wird Beziehungssituation diskutiert oder zerredet, psychologisch ausgelotet und Lebensentwurf hinterfragt. Als hätte Gift auch das Beziehungsleben bzw. Nicht-Beziehungsleben verseucht. Das Paar in einem Gespräch, das "Tanz der Unvollkommenheit" als Wechselspiel aus Schmerz, Wohlbefinden, Trauer, Leichtigkeit, Grausamkeit vorführt. Neben Humorschwierigkeitsgrad Sarkasmus klinkt sich schließlich unterbrechend als Dritter aus dem Zuschauerraum kommend ein Countertenor mit Bernsteins „It must be so“ ein. Der die Situation allerdings nicht wirklich aufbricht. Schön wer ein Lied hat: "The dawn will find me / Alone in some strange land".

"Dunkelkammer", Spielhalle, 30.10.11

Theater wie Neues aus Bildern und persönlicher Erinnerung entstehend, sich entwickelnd wie in der Dunkelkammer eines Fotografen.

Freie Spielform und Videoprojektion verwendet Dries Verhoeven in "Dunkelkammer". In der abgedunkelten Halle, die Rauminstallation ist, sitzen die Zuschauer im Kreis auf Drehhockern um einen Freiraum in der Mitte des Raums, der für Szenisches vorgesehen ist. Umgeben von Videobildern an allen vier Wänden. Bei Verhoeven darf nicht nur das Theater als Ort fehlen sondern auch der Schauspieler. Die Performer sollen nur sich selber darstellen. Hier agieren Blinde, teilweise auch im Publikum. Dieses Ensemble hat zudem die Texte geschrieben neben Tim Etchells.

"Dunkelkammer" ist ein Sück, bei dem es um Sehen oder auch Nicht-Sehen geht. Für die Produktion sind Blinde in der Innenstadt Münchens unterwegs und dabei gefilmt wird Straßenleben, das dann in der Halle im Großformat zu sehen ist wie auch die Köpfe der Akteure im Raum in filmischer Nahaufnahme. Großstadt-Alltagssituationen und -impressionen. Also eigentlich nichts Aussergewöhnliches und Inszeniertes und doch stellt sich bei mir sofort eine besondere, wie surrealistische Stimmung ein, bei der ich zwischen den Passanten, Performern und Zuschauern Louis Aragon, André Breton, Philippe Soupault im Dunklen auftauchen sehen möchte. Könnten alle Surrealisten nicht als Wiedergänger aus der Vergangenheit hereinkommen?! Das Handeln und die Kommunikation der Blinden im Stück scheint nicht immer Sinn zu ergeben, ist manchmal wie gleichzeitig an der Realität vorbei und in der Realität. Was sehr reizvoll wirkt. Alles geradezu surrealistisch. Die Stimmung zwischendurch auch getragen von wunderhübschen Klaviermelodien.

Verhoeven, der München als sehr reserviert erlebte verglichen mit Brüssel, spricht von "klarer Vision vomTheater als Gesamterfahrung". In der Nähe der Maximiliansstraße, die so ungefähr das "Epizentrum der deutschen Repräsentationskultur" sei, machte er sich Gedanken darüber, dass das Auge einerseits verwöhnt werden will, dass es aber andererseits das "Verlangen nach wertfreiem Blick" gebe. Verhoven: "Es sind nicht unsere Augen, die sehen, es sind unsere Gehirne, die die Information, die als Licht auf unsere Netzhaut fällt, in Bilder übersetzen. Das ist unsere Dunkelkammer. Dort werden unsere Negative in einer komplexen Prozedur entwickelt."

“Can the knowledge deriving from reason even begin to compare with knowledge perceptible by sense?” (Louis Aragon)

www.muenchner-kammerspiele.de

veröffentlicht: www.skug.at

Wednesday, October 12, 2011

"When Past & Future Collide"
John Cale live und ein gutes Maß an Perfektion

John Cale brachte und bringt derzeit sein "When Past & Future Collide: Paris 1919" auf die Bühne. Am 06.10.11 in Essen bei der Ruhrtriennale und am 21.11.11 in Malmo in Schweden in der Oper. In Essen in der Lichtburg, einem Kinosaal, konnte ich beobachten mit welcher Perfektion das bereits bekannte musikalische Konzept unter sehr sicherem Dirigat von Harry Curtis mit den Bochumer Symphonikern umgesetzt wurde. Da dieses Orchester weiß, was es tut, bestand für Cale kein Risiko. Dass man "Paris 1919", jenes zwielichtig-melancholisch-literarisch-orchestrale Album aus dem Jahr 1973, damals u.a. mit Bandmitgliedern von Little Feat eingespielt, musikalisch in eine neue, extremere Dimension weiterentwickeln könnte, könnte, denn getan wurde dies nicht, ist natürlich, wem Neue Musik vertraut ist, klar und eine andere Sache. Es muß nicht zwingend vorgenommen werden, doch sollte wohl einmal.
Die Welt von Dandys, Movie queens, Literaten und Bohemians von"Paris 1919" ist wie ein reichhaltiger Pool poetischer Energie, der immer noch immense Mitteilkraft spüren lässt und über die Jahre nichts an Aussagekraft eingebüst hat. Es ließe sich daraus zitieren und zitieren und zitieren. Hier nur dies: "Nothing frightens me more/ Than religion at my door" aus "Hanky Panky Nohow".
Die derzeitige Band neben Cale an seinem Piano und akustischer und elektrischer Gitarre bestehend aus Gitarist Dustin Boyer, Schlagzeuger Michael Jerome und neuem Bassist Joey Maramba präsentierte sich, vermutlich nicht nur in Essen, erfreulich um einiges präziser als bisher. Was beim zweiten Song-Set des Abends nach dem ersten Teil "Paris 1919" gerade auch einigen Stücken aus dem aktuellen "Extra Playful" zugute kam. Die Konfrontation des frühen Songmaterials mit brandaktuellem war ein spannungsgeladenes aneinandergeraten von düsterer Romantiktiefe mit Orchester und oberflächlich hell-profanem Pop. Auf der aktuellen CD "Extra Playful" werden drum loops, electronic elements, vocoder effect verwendet. Und Cale ist damit endlich raus aus seiner für mich mehr als fraglichen "Circus"-Phase.

www.john-cale.com
www.harrycurtis.com
www.bochumer-symphoniker.de

Tuesday, October 11, 2011


Residenztheater München, Spielzeitbeginn 2011
Foto: © Tina Karolina Stauner