Thursday, July 13, 2006

Substanz und Tiefe

Kürzlich konfrontierte ich eine Musikjournalistin damit: "Du erinnerst explizit an die 90er, Beasts of Bourbon etc...Manchmal scheint es, als ob von der Substanz der 90er einiges umsonst war." Im folgenden Wortwechsel an mich die Frage, was ich unter Substanz verstehe.
Beasts of Bourbon erinnerten mich an die Substanz der 90er. Dabei waren sie eine Rockband, die ich grade mal gelten ließ. Substanz, das war für mich eher Townes van Zandt, einerseits, andererseits durfte es Henry Rollins sein, oder die Godbullies. Substanz in der Musik fand ich gerne im klassischen Songwriting oder im Hardcorerock.
Einfach zwei, drei weitere Namen nennen, um zu definieren, was ich unter Substanz verstehe? Sagen wir: Dem kommt die Band Califone nahe. Finde ich verstärkt im Jazzcore.
Auf'm Tisch liegt ein Artikel der SZ vom 3./4./5. Juni 2006 von Joachim Kaiser mit dem Titel: "Tiefe - Wagen wir uns in diesen wunderbaren Abgrund: Über ein unlösbares, doch unabweisbares ästhetisches Geheimnis". Tiefe dürfte mit Substanz vergleichbar sein, denke ich. Und dann folgen Stichworte wie: "elitärer Bezirk", "profunde Substanz", "Komplexität", "arroganter Hochmut". Und ein Text, der beim ersten Lesen regelrecht konservativ wirkt, geradezu schulmeisterlich scheint und mit einem Foto kombiniert ist, das ausgerechnet ein Klischee, einen Weg, zeigt. Beidseitig von einem schmalen Holzpflockzaun gesäumt, auf einen dunklen Wald zuführend bei dem man an nur einer Stelle in helles Licht durchsieht. Neben diesem Bild "Weg im Hornerpark" von Eduard Arning die Anmerkung: "Tiefer Gedanke ist ein Gedanke von gleicher Mächtikeit wie ein Gongschlag in einem gewölbten Saal. Er läßt Räume spüren, wo Dinge vorhanden sein mögen, die man nicht sieht und die vielleicht da sind: aber die Stärke des Widerhalls läßt sich notwendig vermuten. Wenn dieser Saal nicht begrenzt wäre, würde der Schlag sich ohne Widerhall verlieren: es gibt also keine Tiefe, die zu irgendeinem Unbegrenzten Beziehung hätte." (Paul Valéry)
Mache ich mir klar, was Substanz ist, ließe sich vielleicht einfach sagen: die wesentlichen Grundlagen, das Innerste, Essentielles. Also auch Tiefe.
Wenn "etwas an die Substanz geht", wird das Grundlegende angegeangen, dann greifen die inneren Schutzmechanismen nicht mehr. Am Gegenpol von Oberflächlichkeit.
Aber geht man davon aus, wie Descartes oder Spinoza, daß es nur eine Substanz gibt, meinetwegen Natur oder Gott in vielerlei Anschauungen, dann kann man dem entgegensetzen, wie Leibniz oder Kant, daß es viele verschiedene Substanzen gibt. Und: "In der modernen analytischen Philosophie wird der Begriff der Substanz weitgehend vermieden. Statt dessen besteht die Tendenz, alle singulären Terme zu eliminieren und sie durch Quantoren, gebundene Variablen und rein prädikative Terme zu ersetzen (Goodman, Ayer). Diese Tendenz entspricht der empirischen Tradition, der zufolge ein individuelles Ding nur eine Summe (ein Bündel) von Eigenschaften ist." (Lexikon der Philosophie, Uwe Wiedman)
Über die Kurzbeschreibung zu "Substanz und Identität" von Winfried Löffler finde ich: "Eine Standartantwort seit der Antike lautet: Die Welt besteht aus Substanzen mit ihren wechselnden Eigenschaften. Die gegenwärtig analytisch-philosophische Ontologiedebatte stellt jedoch auch Alternativen zur Substanzontologie bereit - etwa die sogenannten 'Tropenontologien', die individuelle Eigenschaftsvorkommnisse als letzte Bausteine der Welt annehmen."
Leicht dürfte es sein, wenn man sich orientiert an dem Satz von Ludwig Wittgenstein: "Die Gegenstände bilden die Substanz der Welt."
Auch die Gegenstände der Musiker...
"...Tiefe entsteht anders.", schreibt die SZ. "Zum gegebenen, nachvollziehbaren Verlauf muß ein neues Moment hinzutreten. Das sollte dem vorausgegangenen verbunden sein: nicht unbedingt demonstrativ überdeutlich, aber doch subkutan, nachprüfbar, zumindest erahnbar. Ein Element der Überraschung, der anspielenden Verwirrung, des Nicht-Geheuren, der symbolischen Beziehung müßte gleichfalls hinzukommen..."