Wednesday, July 05, 2006

01.07.06 "Schwarz auf Weiß"/Heiner Goebbels/Ensemble Modern - Prinzregententheater München - Festspiel+

Musiktheater mit Lichtregie als starke Parallelwirkung zur Musik: kaltes, weißes Licht, oft stechend auf Metallenem aufblitzend, dann warmes Feeling suggerierende Szenen in verhalten gelbem Leuchten, im Wechsel von längeren Intervallen in die man eintauchen kann. Auch in das organisierete Chaos, das sich entwickelt aus Musik und Geräusch, das nicht nur durch Musikinstrumente sondern ein Herumgespiel mit allerlei Dingen entsteht. Das kratzende Geräusch einer Schreibfeder, Bälle krachen auf Blech und herumgeworfene Sachen scheppern auf'm Boden. Die Musiker des Ensemble Modern in scheinbar ungezwungenem, verspielten Treiben auf der Bühne in einem Bühnenbild, das aus einfachen, klaren, streng angeordneten Formen und Bankreihenen besteht, die auf japanische Architektur und Zen verweisen und ein Schattenspiel auf einer weißen Rückwand, das mich an Fotos und Plattencover der Jazzszene Amerikas etwa der 50er Jahre von Hard Bop bis New Thing erinnert.
Die Komposition "Schwarz auf Weiß" von Goebbels (1952) ist aus dem Jahr 1996. Teilstückhaftes aus Jazz und E-Musik und Folkmusik ineinandergreifend. Stilebenen von Rockmusikstrukturen über vorsichtig leise, einfache Soloklänge einer Geige oder einer Koto, kleine Streichersätze, Bläsergruppe und bis zu Passagen im Grenzbereich des Experimentellen. Und schön inmitten darin immer wieder Momente aus Bildern und Musik die ins poetisch Absurde gehören . Dies 1996 noch zum Genießen, heute für die Erinnerung daran? Das Heute kann aussehen wie die Bühne im Mittelteil der Aufführung: die Rückwand auf dem Bühnenboden herumliegend wie eine hingeworfene Plane. Stehleitern aufgestellt auf einer Art Baustelle. Kulissenteile brechen schließlich herunter.
Und in die Tiefe des nun ganz offenen Bühnenraums seltsame Choreografie, eine Gruppe, später ein Einzelner, wie marschierend. Verschwindend im Hintergrund.
Daß der ganze Raum auch zum Erstarren gebracht werden kann, fast menschenleer und ohne Bewegung und in ein fahles Licht getaucht wie eine Grabkammer, entspricht den Texten. Vom Band eingespielt wird: Heiner Müller (1929 - 1995), der "Schatten" von Edgar Allan Poe (1809 - 1849) liest. Und man muß wissen, daß Heiner Müller oft wichtig gewesen war für Heiner Goebbels frühere Arbeiten, daß Heiner Müller kurz vor Entstehung von "Schwarz auf Weiß" starb. Die Parbel "Schatten" beginnt mit den Worten: "Du, der Lesende, weilst noch unter den Lebendigen; ich, der Schreibende aber, habe längst meinen Weg ins Reich der Schatten genommen..."
Die szenische Aufführung ist in der Spannweite von Requiemcharakter bis munter annähernd Zirkushaftem. Spiel und Ernst. Chaos und Ordnung. Leben und Tod. Nah beieinander. Bis fast ein und das selbe. In einem Sammelsurium das aber eine innere Ordung hat und auch präzise funktioniert. Zusammen mit zwei weiteren Textfragmenten: Von Maurice Blanchon (1907 -2003) über das Schreiben, der Beginn des Romans "L'attende L'oubli"/"Warten, Vergessen". Und Verse des englischen Dramatikers John Webster (um 1580 -1625), die von T.S.Eliot (1888 - 1965) in "The Waste Land" zitiert werden.
Bleibt mir seltsamerweise stark in Erinnerung ein Lichtpunkt, eine Lichtquelle, die immer wieder längere Zeit aus dem Hintergrund direkt in den Zuschauerraum leuchtete. Durchdringend. Zum Ende des Stücks langsam erlischt. Ich denke einen Moment: "Wie verlöschendes, zuende gehendes Leben." In der Erinnerung sehe ich immer noch diesen Leuchtpunkt. Er leuchtet auch im finsteren Raum der geschlossenen Augen. Abends. Am Morgen. Auch am hellen Tag plötzlich daran denkend wieder dieser Lichtpunkt.
Als Resüme vielleicht: Sollte man ironisch bleiben wie der Musiker, der unvermutet einen Wasserkessel aufsetzt um Tee zu kochen und dann zum Summen des kochenden Kessels einfach ein bißchen Flöte spielt. Dies ließ der Alltag 1996 jederzeit zu. Die Zeiten jedoch haben sich verändert. Gerade noch gehört dieses verspielt Ironische in die im Grunde genommen Härte des Stücks und gerade noch in die Interpretation der Gegenwart. Und spielt sich im Vordergrund ab, wie außerhalb.
Die Spuren, die in 10 Jahren seit der Entstehung der Aufführung das Leben hinterlassen hat, sind der Interpretation von 2006 nicht ganz anzumerken.
Es ist wie auf eine Utopie zurückblicken. Die nicht zerstörbar ist. Auch wenn nach außen alles zusammenbricht...
-weiteres über Heiner Goebbels Arbeit: http://www.heinergoebbels.com
und Aufführungsort www.prinzregententheater.de