Friday, February 15, 2013

Dem Jazz total ins Netz gegangen - junge deutsche Jazzband, alter Herr des amerikanischen Jazz und außerdem eine internationale Jazzlabelgeschichte: Ebene Null, Wayne Shorter Quartet und ECM.

"Ebene Null ist die Summe seiner Einzelteile. Sie ist oberhalb und unterhalb, überall und nirgendwo zugleich. Sie verteilt sich wie blauer Dunst. Sie ist einfach sie selbst ohne zu fragen. Wenn ich ein Stein wäre würde ich mich zu ihr legen" (Lucas Leidinger)

"Ich meine ja, dass nichts wirklich zum Ende kommt (...) Wir versuchen das Beste der Klassiker als eine Art Licht zu nutzen, das den Weg ins Ungewisse erhellt." (Wayne Shorter)

"Musik ist das Zentrum, und alles verzweigt sich von hier aus, hierher kehre ich immer wieder zurück: in die Konzertsäle, Kirchen und Studios...Bei Musikaufnahmen sollte jene unverwechselbare Atmosphäre entstehen, die den Wunsch weckt, etwas zu verändern oder, wenn notwendig – besser, vollkommener zu machen..." (Manfred Eicher)

Leichtes Kaliber - Ebene Null

Ebene Null nennen sich die Kölner Jazzer Lucas Leidinger, Christoph Möckel, Stefan Berger, Max Andrzejewski. Pianist Leidinger sagt über die erste CD "Wandertrieb" der Band: "Sicher ist es Jazz. Aber es könnte auch etwas ganz anderes sein...." Ist es aber nicht. Aber dass es Jazz ist genügt in diesem Fall tatsächlich eigentlich. Nullebene, ein Bautechnikfachbegriff, ist die Oberkante von  Erdgeschossfußboden. Oder im Speziellen was die Band betrifft inspiriert durch Ebene Null einer Tiefgarage. Im Jazz von Ebene Null ist das dann musikalisch eine gradlinige Klarheit mit einer ständig wachsenden Summe von Möglichkeiten, kann man so definieren. Aber die Stücke entspannen beim Anhören einfach und können fast gute Laune machen. Man kann bei "Schwarzes Wollknäuel" sich vielleicht verspielt wie eine Katze fühlen. Oder sich bei "Traumfänger" an einem Nachmittag in Gedanken verfangen. Und die Musik auch einfach ins Ohr stöpseln wenn man ziellos Straßen entlangspaziert auf Nullebene...einfach nur Jazz, ganz gut und: ein leichtes Kaliber.

Drahtseilakt - Wayne Shorter Quartet

Eine eher schwere  Ladung Musik und ein starkes Pegel im Jazz ist Wayne Shorter mit seinem Quartet. Seine aktuelle CD "Without A Net" ist nach 43 Jahren eine Rückkehr zum Label Blue Note bei dem seine ersten Aufnahmen schon 1959 für Art Blakey auftauchten. Wayne Shorter ist mittlerweile 80. Und man sollte sich die älteren Herren des Jazz anhören jetzt, wenn sie leben, dachte ich mir. Und pickte Shorter aus dem CD-Stapel. Ich, die von Shorter immer nur nebenbei Kenntnis genommen hatte. Denn: Ich habe mir schon immer viel Free Jazz gegönnt, aber habe noch nie Fusion gemocht. So habe ich bis jetzt Shorter jedenfalls am Rande als Sideman von Miles Davis hören können und habe halt zufällig hie und da von seiner Arbeit mit Weather Report was mitgekriegt.
Bei Wayne Shorter und seinem seit Jahren bestehenden Quartet wird Jazz schon mal Drahtseilakt genannt. Musik, bei der es um eine Sphäre völliger Offenheit gehen kann mit Raum zwischen den Tönen, um Höhen und Abgründe , Neugierde, Geheimnisse, Bewegung, Suche, "Wenn wir rausgehen um zu spielen, kennen wir die Antwort nicht", so Shorter. Es bereichert die Sensibilität die Perfektion des Quartets, bei dem Danilo Pérez, John Patitucci und Brian Blade mitspielen, zuhörend zu erforschen und deren musikalische Wege und so manche Hochseilakrobatik mitzuverfolgen. Einmal ergänzt auch durch das klassische Bläserquintett Imani Wind. "Whitout A Net " sind Live-Mitschnitte aus dem Jahr 2011. Neben gerade entstandenen Stücken taucht auch Material früherer Jahre auf wie "Orbits" vom Album "Miles Smiles" und "Plaza Real" von Weather Report. Und zwar in absolut spannend-heutiger Improvisation. Harmonischen Jazz mag ich selten hören, aber ein Tenor- und Sopransaxofonspieler wie Shorter ist zugegeben jedenfalls genug abenteuerlich und fesselnd. Kennt im Ton mit einfühlsamer Wärme und extremerer Schärfe, Details und Leerstellen und gut auch die einen oder anderen Sprödheiten faszinierend gekonnt umzugehen und sich Freiheiten zu nehmen und anzubieten. Und eine Nachmittagsstunde profan gesagt zu verschönen. Sollte man wohl zu schätzen wissen. Sich genießend in so einen edlen Klangraum zu begeben. Anspieltipp das kurze und neue "Myrrh".

"Alles, was gesagt worden ist,  ist offen für Veränderung" (Wayne Shorter) - eine metaphysische Diskussion...
 

"Jazz kann so vieles sein. Und manchmal ist Jazz eben einfach nur Jazz. Nicht mehr, nicht weniger, und fertig! " (Ebene Null)

www.ebenenull.de
www.wayneshorter.com

Aber schon bin ich wieder bei Free Jazz, Improvisation und Avantgarde...

veröffentlicht: www.culturmag.de