Tuesday, September 23, 2014


Grafik:  © Trüstedt

 "Spuren der Polymetrik" mit Musikstücken des Autoren-Ensembles der Echtzeithalle in München am 07.07.14

10. Montagsgespräch 2014 durch die Echtzeithalle in Zusammenarbeit mit dem Musiklabor München & der Hochschule für Musik und Theater München im Carl Orff-Auditorium

Das Autoren-Ensemble und die Theorie "erweiterte Polymetrik"

Vorgestellt werden vier Klangbilder beim Montagsgespräch "Spuren der Polymetrik", das insgesamt schon der 320. Event dieser Montags-Reihe ist. Betont wird dabei auch Musik durch den Computer. Dieser wird als echtes Musik-Instrument bezeichnet und eingesetzt. Es spielt das seit drei Jahren existierende Autoren-Ensemble nit Dieter Trüstedt und Pure Data ergänzt durch Kontrabass, Horn und Klavier.
Wolf-Dieter Trüstedt nennt Polymetrik in der Musik als etwas sehr eingeschränktes und ergänzt deshalb den Begriff zu "erweiterte Polymetrik". Metrik wird auf alle Parameter der Musik angewendet. Also auf Phase, Puls, Tonhöhe, Lautstärke und Dauern. Trüstedt ist ausgebildeter Wissenschaftler und Forscher, der auch mit Musik umgeht. Polymetrisches gibt es genauso in der Natur, wie fallende Schneeflocken. Die Natur erkennen geht über die Mathematik. Und "die Natur ist vermutlich auch in der Zeit komplex, mehrschichtig, vielleicht gibt es viele Zeiten gleichzeitig, mehrere Zeitkoordinaten", wird im Montasgesprächsinfo gemutmaßt. Das Spiel der Polymetrik sei als Spiel mit vielen Zeitdimensionen und mit freien Stimmungen zu sehen und für den Computer gut geeignet, ist zu erfahren. Trüstedt errechnet , wenn er mit dem Lap-Top Musik kreiert. In der Musik verwendet Trüstedt den veralteten Begriff Polytempik nicht mehr. Grundsätzlich geht es ihm um die Suche nach dem Anderen. Um andere rhythmischen Gebilde etwa. Und eher um Gedanken und nicht um großartige Interpretationen."Die Tasten auf dem Klavier sind abendländisch, die Musik aber nicht", sagt er. Ein Vorbild für ihn ist Herrmann von Helmholtz. Und Trüstedt spielt außerdem auch das Chin-Instrument. Ihm ist Asiatisches nahe.

Vier Klangbilder von "Spuren der Polymetrik", die mit einem 12-stimmigen Akkord beginnen und scheinbar chaosartig enden

Beim Montagsgespräch "Spuren der Polymetrik" wird der Begriff Polymetrik auf alle Parameter eines Klangereignisses ausgeweitet. Theoretisch erklärt kann man sich 12 Metronome vorstellen, die nicht nur für den sich gleichmäßig wiederholenden Zeitpunkt eines Ereignisses zuständig sind, sondern für alle Klangparameter. Jeder Satz hat dabei eine andere Metrik der Pulse. Für die vier präsentierten Klangbilder gibt es vier Vorspiele durch den Computer, die mit einem 12-stimmigen Akkord beginnen, mit Tönen, die dann im Verlauf des Stücks auseinanderlaufen. Das Laptop-Spiel ist an die Tonhöhen gebunden. Horn, Klavier und Kontrabass können sehr frei handeln, agieren, interpretieren und improviieren. Das scheinbar Chaosartige, das dabei entsteht hat eine konkrete innere Puls-Struktur.
Die vier Klangbilder sind betitelt mit: "Goldener Schnitt", "Chromatik", "Eulerzahl" und "Kreiszahl". Nach jedem 60-sekundigen Vorspiel mit dem Compter und einer kurzen, aber expliziten Pause spielt das Autoren-Ensemble zum benannten Thema ein kleines Stück. Das Ergebnis ist ein 20-minütiges Gesamtstück, das durch unterschiedliche Stimmungen führt. Im Wechselspiel von vielen Stimmungslagen dominiert zu Beginn eher eine dumpf schemenhaft tieftonige Klangschicht  Klangschicht mit melancholischer Grundeinstellung. Dann aber wird immer wieder auch lebhafterer, härter, kühnerer Rhythmus eingesetzt. Andererseits kann man fast Lamentierendes oder Klageähnliches wahrnehmen. Oder wiederum Hektik und Unruhe. Schließlich ortet man durchaus leichtherzig Jazziges bis Free Jazziges des abschließenden Parts. Man kann sich dem Ganzen zwar jeweils einzeln analysierend nähern, aber sich frei zuhörend und wahrnehmend durch die 20 Minuten Musik treiben zu lassen ist die schöne, intuitiv mögliche Seite der Aufführung und der gespielten vier Parts, auch wenn alles teils kühl errechnet ist. Der Gesamtcharakter des Ensembles, stark mitgeformt durch Klavier, Horn und Kontrabass, performt schließlich emotional Improvisatorisch. Für das Autorenensemble besteht für den Abend erst einmal das Konzept, miteinander geprobt wird vorher kaum. Die Musiker bezeichnen sich als aufeinander eingespielt durch Studioerfahrung. Beim Autoren-Ensemble versteht sich jeder der Musiker als Autor in eigener Sache, der seinen Part zur Musik eigenständig beim Spielen entwickeln kann. Es geht dabei um Dinge und Vorgehensweisen wie Verdichten, Tonveränderungen, verschiedene Sprachen auf einem Instrument, wie auch die Entwicklung vom Ton zum Geräusch. Alles schon als Teil der Musikgeschichte bekannt seit Luigi Russolo, aber beim Autoren-Ensemble in einem neuen, eigenen Konzept. Die Musiker kennen sich als Teil einer Musikszene, die mit Improvisation, Neuer Musik und Free Jazz kreativ umzugehen weiß schon seit 15 Jahren und sind sich ihrer Sache ziemlich sicher.

 Polymetrik in der Musikgeschichte vor dem Autoren-Ensemble : Charles Ives, Iannis Xenakis, Conlon Nancarro, György Ligeti

Namhafte Komponisten befassten sich in früheren Zeiten schon mit der Polymetrik. Und sind natürlich auch Bezugspunkte für das Autoren-Ensemble. Charles Ives und Iannis Xenakis arbeiteten in ihrem Werk immer wieder auch polymetrisch. Von György Ligeti gibt es das polymetrische Stück "Poème Symphonique For 100 Metronomes", das als Klanginstalation in unterschiedlichen Aufführungen aufgebaut werden kann. Wolf-DieterTrüstedt sagt, dieses Stück entspreche durchaus auch seiner Arbeitsweise. Ligeti stellte sich also teils gleiche künstlerische Fragen wie Trüstedt. Auch Conlon Nancarrow spielte mit der Polymetrik. Seine »Studies For Player Piano« werden noch heute auf Selbstspielklavieren auf die Bühne gebracht. Das sind historische Instrumente, auch Pianolas genannt, die in Deutschland zu Phonolas wurden, und von in Papierrollen gestanzten Partituren, von Lochstreifen, gesteuert sind. Polymetrik wurde im Lauf der Musikgeschichte immer wieder von Komponisten eingesetzt. Auch in der Rockmusik gingen manche Musiker darauf ein, wie Robert Fripp von King Crimson. Das Autoren-Ensemble in München nutzt die gesamte musikgeschichtliche Kenntnis natürlich mit für sein Konzept "Spuren der Polymetrik".

(Anmerkung: Die Informationen und Theorien zur Polymetrik sind von Wolf-DieterTrüstedt)

 www.echtzeithalle.de

veröffentlicht: www.kultura-extra.de