Tuesday, September 16, 2008

Elliott Sharp
"Concert In Dachau"
(Intakt)

Im Mai 2007 tauchte der New Yorker Downtown-Avantgardist Elliott Sharp im ausgwählten Programm des feinen Jazzclubs im Café Teufelhart in Dachau auf. Sonst auch mit diversen Bandprojekten und als Kompomist für Ensembles arbeitend bot Sharp dort einen Live-Remix aus Themen seiner Programme außschließlich für elektroakustische Gitarre. Mittlerweile ist der Konzertmitschnitt "Concert In Dachau" veröffentlicht. Und findet sich gerade auf der Bestenliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik 3/2008. Unter dem Stichwort "Grenzgänge".
Sharps freie Bearbeitung von Material der Solo-CDs "Velocity Of Hue" (2003) und "Quadrature" (2005) war bei dem Konzert ein Spiel von geradezu magischer, mesmerisierender Kraft. In den Set eingetaucht wirkte Sharp wie introspektiv versunken in sein Songmaterial. Das hatte phasenweise Meditatives, lotete tranceartige Tiefen aus und ging aber mit dem gleichzeitig experimentellen Element offensiv nach aussen. Offener imaginärer Raum entstehend aus hypnotischen Klangebenen aus Minimalismen, Wiederholungen, Glissandi, Arpeggien, Overtone-Drones, unruhig freien Improvisationen, sphärischen Melodien. Auch mit manch Passagen schwer zugänglicher, uneinheitlicher Stimmung. Wiederkehrend rein folkige, bluesige und jazzige Anklänge standen im Kontrast zu laptop-assistiert leicht Verfremdetem und unter fernöstlichem Einfluss stehendem. Die ursprünglichen Songtitel wurden ersetzt durch Nummerierung von 1 bis 4. Das Original war nur Ausgangspunkt für Neues mit extremem Assoziationsspielraum. Der die Holocaust-Vergangenheit Dachaus inkludiert, wie Sharp, Sohn jüdischer Eltern, in den Liner Notes zeigt. Der interpretierbar ist, wie der merkwürdige, goldtonige Raum des Coverphotos mit einem Licht, das ein böses Gleißen wie ein verheißendes Aufleuchten sein kann. Als Abschlussstimmung entschieden ein kantig geslideter, manirierter Country-Blues. Sharps Blues wird von manchen futuristic Blues genannt und passt zu seiner Erforschung der Grenzen von Improvisation und Komposition und freidenkerischen Wegen.
www.elliottsharp.com

veröffentlicht: www.satt.org

Sunday, September 14, 2008

Tuxedomoon, Ampère, München, 17.07.08

"Many are cold but few are frozen"

Tuxedomoon, ehemals eine Klasse für sich im New Wave, sind mit Neuveröffentlichungen und Tour nach längerer Pause der 90er Jahre jetzt wieder aktiv und waren kürzlich im Ampère in München. Die Band, 1977 in San Franzisco gegründet, wurde in den 80ern zu einer europäischen Band, Blaine L. Reininger Kultfigur. Der Avantgarde und dem Jazz verbunden waren sie nie einfach nur Pop. Von Avantgarde kann man nicht mehr so leicht reden. Bei Tuxedomoon jetzt umsomehr aber von der Nähe zu Fusion-Jazz. Dem ich immer mehr als skeptisch gegenüberstehe.
Die Band wirkte oberflächlich betrachtet selbstgefällig und reserviert. In den besten Momenten überzeugte sie stark im Repetetiven und durchaus in gewisser Weise mit der Minimal Musik korrespondierend. Wobei besonders spürbar war, dass ohne Schlagzeug gespielt wurde und Peter Principle am Bass aber um so mehr vermitteln konnte, dass er über die Kraft verfügt die Rhythmusarbeit alleine zu tragen. Die Zwei-Mann-Bläsersection Steven Brown und Luc van Lieshout bemerkenswert bis ins Detail aufeinander eingespielt. Wie auch der Wechsel gelegentlich zum Keyboard. Und Blaine L. Reiniger: Er konnte sich früher schön narzistisch und exzentrisch in Coolness zeigen. Doch selbet als sein Gesang gegen Ende des Konzerts schreiend wurde, erschien das nur irritierend schaurig kalt und leer. Auf seiner aktuellen Myspace-Page "Blaine" der Satz: "Many are cold but few are frozen." Dazu passte der Klangraum seiner schönen Violinmelodien. Es herrschte Perfektion. Es dominierte saubere Gitarrenarbeit. Und besonders eben die Verwendung exakter Bläsersätze. Dabei entfaltete sich ein Gefühl von Leere. Als ein Raum, der zwar für etwas Fehlendes steht aber auch als eine beabsichtigt eingesetzte Aussage interpretiert werden kann. Und auch als ein Teil der künstlerischen Weiterentwicklung. Als wäre da bewußt eine leere Mitte. Als Imaginationsraum. Die Band arbeitet deshalb wohl oft mit Diaprojektion. Diesmal nicht.
Absolut im Heute legen Tuxedomoon betont Wert auf das neue Songmaterial und lehnen sich nicht auf ihre Songklassiker zurück.
www.tuxedomoon.co
www.tuxedomoon.com
veröffentlicht: www.skug.at

Thursday, September 11, 2008


Jackie Leven, Ampère München, 2008
Foto: Tina Karolina Stauner

Wednesday, September 10, 2008

Neue CDs von Nonesuch - Geschichtsbefrachtetes:

"...Somewhere in the distance
Northern lights will shine..."
(aus "Beyond The Great Devide",
Emmylou Harris)

BILL FRISELL, »HISTORY, MYSTERY«: Dieses Doppelalbum ist wie eine Einladung zu einem Tanz, dessen Ausgangspunkt ein Nadir inmitten von Melancholie ist und in der Geschichte traditioneller amerikanischer Musik wurzelt. Die sich entwickelnde Stimmung changiert zwischen bodenlos Schwermütigem und lächelnd fliegender Leichtigkeit. Einfach gesagt: die perfekte Dichotomie traurig - froh. Kaum besinnt man sich auf schweres Bluesfeeling wird dann doch wieder alles in Bewegung voll Lebensfreude abgefangen. Am Abgrund entlang balancierend. Dem man aber trotz der Interpretation von Sam Cookes »A Change Is Gona Come« mit CD 1 zu nahe käme. Auf CD 2 gelingt es eine größere Dimension Optimismus lebendig werden zu lassen durch verstärkte Hinzunahme von Sphären aus Free Jazz und zeitgenössicher Kammermusik. Bei den insgesamt 30 Miniaturen, live und im Studio in namhafter Oktett-Besetzung eingespielt, ergreift der Gitarrist Frisell die Möglichkeit sich von seiner stärkeren Seite zu zeigen.
T-BONE BURNETT, »TOOTH OF CRIME« : Kurz Geschichte: 1975 Bob Dylans »Rolling Thunder Revue«, dann Alpha Band, Soloalben. Danach etwa 15 Jahre Rückzug. Produzententätigkeit und Filmmusik. Nun, nach dem exzellenten »The True False Identity« (2006), das neue, aus Musik für Sam Shepards Bühnenstück »Tooth Of Crime« (1972/96) hervorgegangene, geichnamige Album. Burnett, mit einer Art Psycho-Blues, der Tradition schrägen Rock'n'Rolls nahe, etwas countryesk, ist und bleibt einer der erstklassigen Songwriter und Produzenten. Mit dem schon 1988 zusammen mit Roy Orbison und Bob Neuwirth geschriebenen »Kill Zone« scheint er dann sogar perfekt Macht über einen geradezu übersinnlich funkelnden Kosmos auszuspielen. In einer sonst eine harte, düstere Welt widerspiegelnden CD-Atmosphäre. Hochkarätig immer die Lyrics von speziellen Beziehungsdingen bis zu politischen Überlegungen.
EMMYLOU HARRIS, »ALL I INTENDED TO BE«: Der erste Eindruck des etwas zu Süßlichen und Pathetischen nicht gleich gewinnend, wobei es nicht das betont traditionelle Element der Songs ist, das stört. Denn deshalb hört man dann doch weiter, so dass man die Qualität der CD entdecken kann. Und das darf auch sein. Denn Harris ist nicht irgendwer: Sie begann mit keinem Geringeren als Gram Parsons. Ihre Duette sind Musikgeschichte: Harris mit Bob Dylan, Johnny Cash, Willie Nelson, um nur einige zu nenen. Sie hat also Größe zu zeigen. Und das gelingt ihr schließlich gerade noch. Zusammen mit Musikern mit Rang und Namen in der Countryszene. Insbesondere bei den beiden Liedern mit Mike Auldridges Backing Vocals und John Starling im Duett : »Beyond The Great Devide« und »Old Five And Dimers Like Me« : »...too far and too high and too deep ain't too much to be / too much ain't enough for old five and dimers like me...« So manche Country-Überzeugung und -Handlungsgewohnheit in Songs fast zu schön um wahr zu sein.
STEVE REICH, »DANIEL VARIATIONS«: Die Autobahn Minimal Musik. Die bei Reichs Kompositionen auf die hohe Ebene führt und in spirituelles Gebiet. Reich ist nie seichter Esoteriker. Der erste Teil, die »Daniel Variations«, mit dem Los Angeles Master Chorale, haben vier Themen und gehen vom Biblischen ins Profane. Die angestrengt wirkenden Chorstimmen ständig wie auf einen angesetzt um zu beunruhigen. Der zweite Teil, »Variations For Vibes, Pianos & Strings« mit der London Sinfonietta, fängt einen in einem bewegungsarmen Mittelteil geradezu mit Entdecken von Langsamkeit ein. Vorübergehend. Denn Reich wirkt sonst hauptsächlich stark vorwärtsstrebend und vorwärtstreibend. Wie meist. Aber beim Zuhören kann gleichzeitig ein Gefühl tranceartigen Stillstands und Ruhe entstehen. Einfallen kann einem Paul Virilios »rasender Stillstand«... Steve Reichs Stücke als eine Form des Reflektierens von Erscheinungsformen und Wirkungsweisen sozialer Beschleunigung auf individueller wie kollektiver Ebene.

www.billfrisell.com
www.tboneburnette.com
www.emmylouharris.com
www.stevereich.com

veröffentlicht: www.skug.at
(skug 76, print, 10-12/08)